Pensionskassen greifen Lebensversicherer in Schweizer Vorsorgedebatte scharf an
In der Alpenrepublik brennt der Baum. Die Pensionskassen beschuldigen die Lebensversicherer, sich bei der geplanten Reform der beruflichen Vorsorge (BVG) zu bereichern. Die Angegriffenen weisen den Vorwurf von sich. Der Schweizer Versicherungsverband (SVV) steht zwischen den Stühlen und hat einen Kompromissvorschlag.
Bei der Reform steht viel auf dem Spiel. Themen sind unter anderem Renten, Lohnabzüge und Umverteilung; es geht also um Milliarden, wie die NZZ analysiert. Im Zentrum der Debatte steht der gesetzliche Umwandlungssatz, der über die Höhe neuer Renten entscheidet.
Der heutige Satz ist „überhöht“, was für die meisten Pensionskassen kein großes Problem ist, da ihre Leistungen das gesetzliche Minimum „oft deutlich übertreffen“. Zu kämpfen hätten aber Vorsorgeeinrichtungen, die kaum oder gar nicht über das Minimum hinausgehen, „wie dies bei Lebensversicherern oft der Fall ist“.
Schwierig ist die Position vor allem für Personen, die in den nächsten zehn bis 15 Jahren pensioniert werden. Ihnen bleibt wenig Ansparzeit, weswegen in der diskutierten Reformvariante Kompensationszahlungen vorgesehen sind. Das ist der Kern des Streits zwischen Versicherern und Pensionskassen.
Zusammen oder jeder für sich?
Sollen die einzelnen Vorsorgeeinrichtungen die Zusatzzahlungen individuell finanzieren – oder wird eine solidarische Lösung benötigt? Letzteres würde bedeuten, dass alle Angestellten und Arbeitgeber im Land zusätzliche Lohnbeiträge abliefern müssen, analysiert die Zeitung.
Der Verband der Pensionskassen kämpft mit Verbündeten – „Mittelweg“ – für die individuelle Lösung. Bei einer Solidarleistung würden ausgerechnet diejenigen Kassen und Firmen bestraft, „welche die Probleme bereits aus eigener Kraft gelöst haben“. Eine solidarische Finanzierung würde laut Mittelweg wegen der systemfremden Umverteilung zulasten der Jüngeren gehen und die Akzeptanz des BVG „infrage stellen“. Im Gegensatz dazu wollen die Lebensversicherer und ihre Vertrauten eine solidarische Lösung.
Die Kassen kritisieren, dass die Vorsorgeeinrichtungen schon lange Rückstellungen bilden (müssen), um die Renten trotz zu hohem Umwandlungssatz zu sichern. Diese Rückstellungen können teilweise aufgelöst werden, wenn die Reform gelingt. Falls nun aber über zusätzliche Lohnbeiträge mehr Geld ins System komme, könnten Lebensversicherer die frei werdenden Rückstellungen nutzen, „um Risiken zu minimieren und die Gewinne zu stabilisieren“, argumentiert Mittelweg. Dies gelte für den wichtigen Bereich der Vollversicherung, die nur noch von fünf Häusern angeboten wird: Swiss Life, Helvetia, Bâloise, Allianz Suisse und Pax.
Faktisch falsch?
Der SVV verwehrt sich gegen den Vorwurf. Die Argumentation sei schlicht „falsch“. Die Versicherer könnten „benötigte Rückstellungen nicht vereinnahmen, sondern müssten sie dem Überschussfonds und damit den Versicherten zuweisen“. Es sei „nicht möglich“, dass die Unternehmen von frei werdenden Rückstellungen profitieren.
Welche Sicht der Dinge richtig ist, darüber streiten Parteien, Experten und Unternehmen. Der Versicherungsverband skizziert derweil einen denkbaren Kompromissvorschlag. Die monatlich ausbezahlten Rentenzuschläge sollen durch einmalige Kapitalzuschüsse ersetzt werden. Gewichtiger ist, dass der neue Vorschlag zwar ebenfalls eine für die zweite Säule untypische, solidarische Finanzierung vorsieht, gleichzeitig aber der Kreis der Nutznießer „stärker eingeschränkt ist“. Das hilft bei den Kosten. Laut dem Versicherungsverband wäre der Vorschlag mit knapp 0,3 Prozent zusätzlichen Lohnbeiträgen zu haben, andernfalls wäre es 0,5 Prozent.
Ob der Vorschlag verfängt? Die Sozialkommission des Nationalrats trifft sich heute zu einer dreitägigen Sitzung. Im September wird der Nationalrat Stellung beziehen.
Autor: VW-Redaktion