Industrieversicherung: Digitalisierung unzureichend und „Jahre hinterher“

Der Cybermarkt ist lukrativ aber gefährlich. Quelle: Bild von S. Hermann & F. Richter auf Pixabay.

Die Industrieversicherung wird durch die Corona-Pandemie in vielen Segmenten teurer werden. Gleichzeitig beklagen Unternehmen und Softwareexperten, dass die Digitalisierung des Geschäfts weiterhin vollkommen unzureichend ist.

„Wir haben in der Industrieversicherung den härtesten Markt aller Zeiten“, sagte Dirk Schilling von der HDI Global SE auf der MCC-Konferenz „IndustrieRisiken 2021“. Der Trend zu geringen Kapazitäten und hohen Prämien habe sich durch die Corona-Pandemie noch verstetigt. Besonders betroffen sind nach Einschätzung von Schilling die Cyber- und die Managerhaftpflicht-Versicherung (D&O). Nach Erkenntnis des Managers gibt es weltweit eine regelrechte Zeichnungsunwilligkeit vieler Assekuranzen.

Markt unsicher

Insgesamt wäre der Industrieversicherungsmarkt derzeit von großer Unsicherheit geprägt. Denn die Folgen der Pandemie würden von den Assekuranzen sehr unterschiedlich interpretiert. „Volatile Zeiten sind aber nicht die schlechtesten Zeiten für die Branche“, so Schilling. Nun würden sich die Kunden deutlich stärker ihrer Risiken bewusst. Große Probleme mit den weltweiten Lieferketten dürften sich zudem auf die Schadenkosten auswirken. So könnten aufgrund von Materialmangel bestimmte Anlagen oder Produkte gar nicht wiederhergestellt werden.

Diese Misere wird wohl noch eine ganze Zeit anhalten. Das zeigen Umfragen des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK). Rund 40 Prozent der befragten Unternehmen rechnen für 2021 mit anhaltenden Problemen in der Lieferkette und Logistik. Im Herbst 2020 waren nur 31 Prozent der Unternehmer von Schwierigkeiten der weltweiten Handelsströme ausgegangen. Vera Philipps, Leiterin Referat Ostasien im Bereich Internationale Märkte beim DIHK, rechnet damit, dass es den Lieferkettenrückstau noch mindestens bis Ende 2021 gibt.

Die Pandemie habe nun gezeigt, dass die jahrelange Entwicklung der Just-in-Time-Produktion für die Industrie brandgefährlich ist. Trotzdem geht sie davon aus, dass nur wenige Unternehmen ihre Risikostruktur maßgeblich ändern werden und wieder eine größere Lagerhaltung beginnen. „Die Probleme, die auch die Blockade des Sueskanals offengelegt hat, werden schnell wieder in Vergessenheit geraten“, so die Expertin.

Rohstoffpreise sinken wieder

Eine Entspannung prognostizierte Philipps bei den Rohstoffpreisen. Hier sehen 26 Prozent der Befragten in der Eurozone derzeit ein Risiko. Im vorigen Jahr waren es nur acht Prozent gewesen. Es gebe aber kein grundsätzliches Problem mit Rohstoffen. „Die Produzenten haben in der Corona-Pandemie ihre Produktion runtergefahren und kommen nun nicht mehr so schnell nach“, erklärt Philipps.

Der gesellschaftliche Wandel wird sich in seinem Tempo deutlich beschleunigen. Damit rechnet Lukas Herrmanns, Chief Executive Officer (CEO) bei Marsh Deutschland & Zentral und Osteuropa. Die Pandemie habe gezeigt, dass man sich schnell anpassen müsse, wenn man überleben wolle. „Daher müssen wir künftig die Veränderungsgeschwindigkeit unserer Kunden annehmen“, mahnt der Versicherungsmakler. „Wir haben kein Produkt, sondern eine Beratungsdienstleistung. Unser Job ist es zuzuhören“, so Herrmanns.

Als große Themen, die alle Unternehmen betreffen nannte er den Klimawandel und die Nachhaltigkeit, die stärkere Spaltung der Gesellschaft und die Digitalisierung. Wer Nachhaltigkeit tatsächlich in seinem Unternehmen umsetze, könne besser junge Talente gewinnen. Die würden dann bei Marsh beispielsweise dazu eingesetzt, die ältere Generation in sozialen Medien fit zu machen.

Fehlerkultur fördern

Die Pandemie habe den Menschen gezeigt, wie komfortabel digitale Lösungen sein können. Damit habe sich der Druck auf Real-Time-Lösungen deutlich verstärkt. Eine Lieferung von drei Tagen über Amazon mache die Kunden schon unzufrieden. Die Lieferung eines Hybridfahrzeuges in sechs Monaten sei ein Unding. Der Versicherungsmakler forderte die Branche auf, deutlich mehr Mut für neue Entwicklungen zu zeigen und eine Fehlerkultur zu entwickeln.

Nach Einschätzung von Mathias Harrassowitz vom Softwarehersteller sum.cumo Sapiens, hinken die Industrieversicherer derzeit in der digitalen Entwicklung rund acht bis zehn Jahre hinterher. Er forderte die Versicherer auf, endlich ein Portal zu bauen, das alle nutzen können. „Die Komplexität in der Industrieversicherung ist nur eine Ausrede“, so Harrassowitz. Es gebe keinen Prozess, der nicht einfacher gestaltet und digitalisiert werden könne. Die einheitliche Datenbasis sei bei den Industrieversicherern immer noch eine Katastrophe. Unverständlich sei, dass die Makler, über die 75 Prozent des Industrieversicherungsgeschäfts laufen, nicht gemeinsam mit den Assekuranzen ein Portal bauen würden.

Komplexität nur Ausrede

Einig waren sich die Teilnehmer einer Podiumsdiskussion darin, dass der Streit um Leistungen aus der Betriebsschließungsversicherung (BSV) deutlich zeige, dass die Produkte viel zu kompliziert sind und das tatsächliche Leistungsversprechen vielfach gar nicht klar sei. Die Industrie ist weiterhin mit Makler und Assekuranzen unzufrieden. Es würden große Mengen an Risikodaten abgefragt, diese aber scheinbar gar nicht richtig verarbeitet.

„Wir können zudem nicht die Risikoanträge in 30 verschiedene Versicherungssysteme laden. Wir müssen sie in ein Portal hineinschießen können“, forderte Lars Müller, Risk-Manager bei der Nordzucker AG. Versicherungsmakler und Assekuranzen waren sich an dieser Stelle in ihrer Problemanalyse einig: Sie haben selbst noch viel zu viele digitale Baustellen im eigenen Haus, die sie daran hindern, effektive Lösungen für ihre Kunden zu finden.

Nach Einschätzung von IT-Experte Harrassowitz wird es in fünf Jahren nur noch eine Handvoll Industrieversicherer auf dem internationalen Markt geben. „Die betreiben dann ein Portal, in das sich der Rest der Marktteilnehmer einklinken muss.“

Autor: Uwe Schmidt-Kasparek