OKV-Vorstand Jürgen Meier: „Geschäftspraktiken der Rückversicherer nicht immer nachvollziehbar“
Was bedeuten die großen Themen Rückversicherung, Solvency und Elementarschäden für ein kleineres Haus? Im Gespräch mit VWheute spricht Jürgen Meier, Sprecher des Vorstandes, OKV – Ostdeutsche Kommunalversicherung a. G., erfrischend offen über diese und weitere große Themen. Wer mehr von ihm hören will, er referiert morgen auf dem „Brennpunkt Rückversicherung“, den die aktuarielle Beratungsgesellschaft Meyerthole Siems Kohlruss (MSK) veranstaltet.
VWheute: Herr Meier, wenn über Rückversicherung gesprochen wird, abseits der morgigen MSK-Veranstaltung, natürlich dann meist aus Sicht der Großen. Wie schaut ein mittelständischer Versicherer darauf, welche Verbesserungen und Möglichkeiten sehen Sie?
Jürgen Meier: Die OKV hat eine regionale Ausrichtung. Daher suchen wir für die Rückversicherung Partner, die nicht nur eine internationale Sichtweise mitbringen, sondern auch die Besonderheiten des deutschen Marktes und der kommunalen Risiken kennen. Das spiegelt sich dann zum Beispiel in Klauseln zur Risiko-Exponierung. Die Zahl an Rückversicherern, auf die das zutrifft, ist begrenzt. Wir sind an einer langfristigen Zusammenarbeit interessiert. Wünschenswert wäre, dass sich nicht gleich die Konditionen ändern, wenn mal ein einzelner Sturm über Deutschland zieht. Bei großen Rückversicherern sind die Ausschlüsse oft international geprägt. Das kann dazu führen, dass die Geschäftspraktiken nicht immer nachvollziehbar sind – zugleich müssen wir gegenüber Versicherungsnehmern und Mitgliedern aber die Preise erklären. Der größte Mehrwert ist für uns, wenn ein Rückversicherer das jeweilige Geschäft versteht, sodass Zeitreihen und Schadenerfahrungen vorliegen und uns im Idealfall ein Sparringspartner gegenübersteht, mit dem man sich über kommunal orientierte Versicherung austauschen kann.
VWheute: Kommen grundsätzlich bermudabasierte Häuser infrage?
Jürgen Meier: Wenn ich auf den Bermudas einmal Ferien machen wollen würde – um dies mit einer Geschäftsreise zu verbinden, dann sicher ja! Aber abgesehen davon, dass das mit der Compliance schwer vereinbar wäre, halten wir uns selbst bei regionalen Veranstaltungen wie dem Rückversichererkongress in Baden-Baden zurück. Auch wenn ich den Austausch mit Erst- und Rückversicherern sehr schätze, überlassen wir – mit unserer regionalen Ausrichtung – diese Felder eher großen Gesellschaften.
VWheute: Apropos groß und klein: Wie bewerten Sie und Ihr Unternehmen Solvency II und die geplanten Anpassungen?
Jürgen Meier: Hier wäre zunächst zu fragen, wie es im Bankensektor zum Greensill-Desaster kommen konnte. Wie kann es sein, dass eine in Deutschland ansässige Bank, die voriges Jahr noch ein gutes Rating hatte, von heute auf morgen insolvent ist? Das ist nicht nachvollziehbar. Das verdeutlicht, wie wichtig ein gut arbeitendes Aufsichtsregime ist. Grundsätzlich wissen wir durchaus zu schätzen, dass Solvency II für Versicherer ein Anlass ist, sich mit der eigenen Risikosituation intensiv auseinanderzusetzen. Zwar würde ich schon sagen, dass das Bauchgefühl vor Solvency II meist eine gute Einschätzung ergab. Aber die Analysen, die nun durchgeführt werden, sind schon ein Mehrwert. Schade nur, dass es vom Arbeitsaufwand so überbordend ist. Aufwand und Nutzen stehen letztlich nicht im Verhältnis. Die Proportionalität, von der bei Solvency II oft die Rede ist, wird bei den Aufwänden für die kleineren Häuser nicht gewahrt. Wenn die ankündigten Anpassungen nun Erleichterungen bringen, wäre das sehr zu begrüßen.
VWheute: Zurück zur Rückversicherung. Ist Ihre Rückversicherungspraxis eher vorsichtig oder gewagt? Anhand welcher Kriterien richten Sie sie jährlich neu aus?
Jürgen Meier: Wir haben in der Rückversicherung eher eine konservative Haltung. Vorstand und Kollegen sollen gut schlafen können. Zum Beispiel wurde 2020 mit „Sabine“ ein großer Orkan für Deutschland angekündigt – der dann so in unserem Geschäftsgebiet nicht eintrat. Aus Sabine wurde „Sabinchen“. Aber trotzdem, wenn man solche drohenden Ereignisse zum Anlass nimmt, einmal durchzurechnen und dann feststellt, dass die Rückversicherung gut eingestellt ist, verschafft das eine große Erleichterung. Für uns sind die Elementargefahren von großer Bedeutung. Wir müssen sicherstellen, dass nicht das gesamte Jahresergebnis durch ein einzelnes Extremereignis aufgebraucht wird. Daher zeichnen wir sog. Sleep-Easy-Cover-Verträge und haben einen hohen Transfer in die Rückversicherung von über 50 Prozent unserer Beitragseinnahmen. Hierbei sichern wir auch nicht nur ein 200-jähriges Ereignis ab. Aufgefangen werden kann dies unter anderem durch die kostengünstigen Strukturen der OKV.
VWheute: Die Elementarrisiken steigen, ist das für einen Versicherer mit einem begrenzten lokalen Einzugsgebiet eine besondere Herausforderung? Wie zeigt sich das in Ihrer Zeichnungs- und Rückversicherungspolitik?
Jürgen Meier: Für uns als rein lokal tätiger Versicherer ist das tatsächlich eine Herausforderung. Vor dem Hintergrund der historischen Sturm- und Hagelsaison von 2018 haben wir entsprechende Anpassungen der Rückversicherungsstruktur vorgenommen. Relevant sind für uns auch Überschwemmungsrisiken. Gemäß unserer Satzung versichern wir hauptsächlich Städte, Gemeinden und Landkreise und kommunale Unternehmen. Darin fallen auch in ZÜRS-Zone 3 und 4 gelegene Gebäude mit größter Exponierung. Teils können wir dies durch Gestaltung von Preis und Selbstbehalt differenzieren. Ein wesentliches Thema ist, das Verständnis für die Aufwände für die Rückversicherung in schadenarmen Jahren zu erzeugen. Die Strategie ist, unser gesamtes Rückversicherungsportfolio als Bouquet zu platzieren – um damit zu verhindern, dass von Jahr zu Jahr nur eine nicht-proportionale Elementardeckung in der Rückversicherung zu verhandeln ist, die durch Hurrikane in den USA und durch Faktoren wie Schwankungen in der Kapitalanlage bestimmt sind. Einbringen können wir da positive Ausgleichseffekte wie z.B. durch die Feuersachversicherung.
VWheute: Sie sind auch im Bereich Cyber tätig, wie beurteilen Sie den Markt, welche Risiken zeichnen Sie und wie sichern Sie diese ab?
Jürgen Meier: Wir vermitteln Cyberrisiken an einen Spezialversicherer. Entscheidend ist für uns, unseren Kunden im Schadenfall eine schnelle Hilfe zukommen zu lassen. Nach meiner Einschätzung wird sich Cyber zum Standard entwickeln, vergleichbar mit der Feuerversicherung.
VWheute: Die OKV hat in diesen Tagen 30-jähriges Firmenjubiläum. Wo soll es hingehen?
Jürgen Meier: Die Gründung der OKV vor 30 Jahren war die richtige Entscheidung. Die Grundidee, als kommunaler Versicherer ostdeutschen Städten, Gemeinden und Landkreisen zur Seite zu stehen, geht voll auf. Dies wollen wir weiterführen. Wir bieten eine besondere Verlässlichkeit und Stabilität zu äußerst attraktiven Konditionen, auch bei langfristigen, strukturellen Veränderungen wie zum Beispiel den zunehmenden Überschwemmungsrisiken.
Jürgen Meier, ist Sprecher des Vorstandes der OKV – Ostdeutsche Kommunalversicherung a. G. Morgen referiert er auf dem „Brennpunkt Rückversicherung“ von Meyerthole Siems Kohlruss – VWheute wird berichten.