Vertrieb: Europäische Offenlegungsverordnung sorgt für Verwirrung

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Ab heute greift die europäische Offenlegungsverordnung. Finanzunternehmen müssen belegen, wie nachhaltig ihre Angebote tatsächlich sind. Die Verordnung richtet sich an alle Finanzmarktteilnehmer und Finanzberater. „Finanzmarktteilnehmer“ sind dabei auch all jene Versicherungsunternehmen, die Insurance-based Investment Products, kurz Versicherungsanlageprodukte, anbieten. Die Unklarheiten sind allerdings groß.

Finanzberater sollen künftig auf ihren Internetseiten Informationen zugänglich machen, wie sie Nachhaltigkeitsrisiken bei der Anlage- oder Versicherungsberatung berücksichtigen (Artikel 3 Abs. 2). Sie sollen darüber informieren, ob sie die wichtigsten nachteiligen Auswirkungen auf Nachhaltigkeitsfaktoren in der Versicherungsberatung berücksichtigen (Artikel 4 Abs. 5 lit. a).

„Im Grunde genommen handelt es sich um eine Abwägung der Verhältnismäßigkeit. Entscheiden sich Vermittler dagegen, müssen sie darlegen, warum sie solche Faktoren bei der Beratung nicht erwägen und unter welchen Umständen sie das tun würden (Artikel 4 Abs. 5 lit. b)“, erklärt Björn Thorben M. Jöhnke, Fachanwalt für Versicherungsrecht bei Das Investment.

Der Vermittler müsse im ersten Schritt abwägen, ob und inwieweit Nachhaltigkeitserwägungen seine Produktvermittlung beeinflussen. Im zweiten Schritt müsse er seine Nachhaltigkeitsstrategie offenlegen, die den Umfang dieser Erwägungen wiedergebe. Die Darstellung muss verpflichtend auf der Homepage des Vermittlers stehen und kann im Impressum erfolgen. Produktbezogen kann dort auf die Nachhaltigkeits-Erwägungen des ausstellenden Versicherers verwiesen werden. Sollten Vermittler darüber hinaus eigenständige Erwägungen zu Produkten unternehmen, sollten sie das begründen.

Vom Anwendungsbereich ausgeschlossen sind nach Art. 17 Abs. 1 Offenlegungs-VO „kleine“ Versicherungsvermittler, also jene mit weniger als drei Personen. Die EU-Staaten können die Offenlegungspflichten auf diese ausweiten (Art. 17 Abs. 2). Es bleibt jedoch abzuwarten, ob Deutschland diese Karte zieht.

Problemzonen

Indes verweist die Offenlegungsverordnung an einigen Stellen etwa auf delegierte Rechtsakte. Diese sollen die Verordnung konkretisieren. Tatsächlich sind sie noch nicht unter Dach und Fach, sondern werden erst nach und nach im Laufe des Jahres 2021 verabschiedet, berichtet die Bafin. So sei noch immer offen, ob registrierte Kapitalverwaltungsgesellschaften alternativer Investmentfonds (AIF) überhaupt unter die Verordnung fallen.

Ungeklärt ist auch die Frage, wann ein Finanzprodukt wirklich auf eine nachhaltige Investition abzielt oder wann es nur einzelne ökologische oder soziale Merkmale aufweist. Bei Finanzprodukten, die in ein breites Portfolio etwa aus Aktien und Anleihen investieren, wird nicht deutlich, ab wann sie als nachhaltig gelten, also ob und wie viel Beimischung erlaubt ist.

Die drei Europäischen Aufsichtsbehörden (European Supervisory Authorities – ESAs) haben Anfang des Jahres einen Brief an die Europäische Kommission geschrieben, in dem sie um mehr Klarheit bitten.

Umsetzungsfragen und Zeitstufen

Auch die Frage, ab wann die einzelnen Teile der Offenlegungsverordnung angewendet werden sollen, sorgt laut Bafin für Verwirrung. Die Verordnung ist formell am 29. Dezember 2020 in Kraft getreten. Ihr Text ist, wie schon beschrieben, ab dem 10. März 2021 anzuwenden.

So müssen zum Beispiel Unternehmen ihre Kunden darüber informieren, welche Strategien sie zu Nachhaltigkeitsrisiken verfolgen. Doch ab wann müssen sie ihre Kunden über nachteilige Auswirkungen von Investitionsentscheidungen informieren? Und wann müssen die geforderten vorvertraglichen Informationen vorliegen?

Diese Fragen werden unter anderem die delegierten Rechtsakte beantworten, die noch verabschiedet werden müssen. Zwar liegen erste Entwürfe der ESAs auf dem Tisch. Die Kommission muss sie aber noch prüfen und formell verabschieden. Das wird vermutlich auch nach dem 10. März noch einige Zeit dauern.

Die Bafin geht davon aus, dass die Detailregelungen frühestens ab dem 1. Januar 2022 gelten.

Ausnahmen

Indes sieht auch die Verordnung selbst Ausnahmen von der generellen Anwendbarkeit ab 10. März vor. So müssen große Finanzmarktteilnehmer erst ab dem 30. Juni 2021 offenlegen, ob und wie sich Investitionsentscheidungen nachteilig auf die Nachhaltigkeit auswirken.

Die wichtigste Ausnahme soll laut Experten darin bestehen, dass Unternehmen erst ab dem 1. Januar 2022 verpflichtet sein sollen, Anleger in regelmäßigen Berichten über ökologische und soziale Merkmale ihrer Finanzprodukte zu informieren. Diese Pflicht betrifft alle regelmäßigen Berichte im Sinne der Artikel 8 und 9 der Offenlegungsverordnung. Bislang waren Finanzmarktteilnehmer davon ausgegangen, dass sie noch bis 2023 Zeit hätten. Das aber ist nicht mit dem Rechtstext der Offenlegungsverordnung vereinbar.

Zudem ist die Offenlegungsverordnung durch die Taxonomieverordnung angepasst worden: Ab Anfang 2022 gelten für bestimmte Finanzprodukte zusätzliche vorvertragliche und periodische Informationspflichten. Für alle Finanzprodukte, die nicht unter die Offenlegungsverordnung fallen, verlangt die Taxonomieverordnung dann einen Warnhinweis. Die Informationspflichten zu Klimaschutz und Anpassung an den Klimawandel setzen am 1. Januar 2022 ein. Was die übrigen Umweltziele angeht, so setzt die Offenlegungsplicht erst ein Jahr später ein.

‚Übersichtliches‘ Chaos

„Die gesetzliche Aufgabenstellung ist klar formuliert. Doch erneut wird in der gesetzlichen Regulierungswut nicht festgelegt, wie dieses Vorhaben in der Praxis umgesetzt werden soll. Der Berater muss nun nicht nur die Präferenz zu Produkten abfragen, er muss künftig auch über die Nachhaltigkeitsfaktoren der Produkte berichten“, sagt Bernward Maasjost. „Wie Vermittler und Makler an belastbare Informationen gelangen sollen, ist noch völlig unklar. Wer kann überschauen, was in einem Fonds tatsächlich enthalten ist? Kinderarbeit? Kriegswaffengeschäfte? Kohleförderung? Darf sich der Makler allein auf die Angaben des Fondsanbieters verlassen?“

Auch dem Geschäftsführer der PMA Finanz- und Versicherungsmakler GmbH fehlen sowohl die technischen Regulierungsstandards, die Details zur Umsetzung enthalten, als auch eine Anpassung der Delegierten-Verordnung (EU) 2017/2359 zum Vertrieb von Versicherungsanlageprodukten. „Und jetzt? Ich meine, wir sollten uns in der Branche nicht davon abhalten lassen, uns mit der Offenlegungsverordnung zu befassen und erste Entscheidungen zu treffen.“

Man müsse die kommenden Monate als Übergangsphase betrachten und gleichzeitig den Druck auf Anlageanbieter erhöhen, die Produkte transparent darzulegen. Aktuell sei es noch sehr schwer, Maklern Unterstützung anzubieten, da viele Details der Verordnung noch im Ungenauen liegen.

„Ich finde es richtig, dies ins Portfolio der Finanzdienstleistung aufzunehmen. Doch damit kommen neue und zusätzliche Aufgaben auf die Berater zu“, sagt Maasjost. „Ich kritisiere jedoch, dass diese Aufgaben mangels klarer Regelungen aktuell kaum zu lösen sind. Derzeit herrschen Orientierungs- und Planlosigkeit in der Praxis vor. Die Produktgeber stellen noch nicht ausreichende Informationen zur Verfügung – denn keiner weiß wirklich, was gefragt ist. Es ist ein ‚übersichtliches‘ Chaos. Was beim Kunden ankommt: Kopfschütteln und Durcheinander.“

Versicherungsvermittler müssen per Gesetz weitgehende Informationspflichten erfüllen. Das hat der Gesetzgeber bewusst so eingerichtet, um Verbraucher damit zu schützen. Wenn Vermittler ihre Informationspflichten nicht erfüllen, drohen wettbewerbsrechtliche Abmahnungen. Die zuständige Aufsichtsbehörde kann auch aufsichtsrechtliche Maßnahmen verhängen.  

Autor: Michael Stanczyk