Nachhaltigkeit: Mehr Standards für grüne Finanzen

Jeon Sang-O auf Pixabay

Nachhaltigkeit in der Finanzwirtschaft ist ein breit diskutiertes Thema. Allerdings kristallisiert sich erst langsam heraus, was genau unter dem Leitwort der „Nachhaltigkeit“ genau zu verstehen ist. Auf EU- und nationaler Ebene gibt es dazu eine Reihe von Initiativen, die zu mehr Klarheit und Einheitlichkeit führen sollen. Doch der Weg ist noch ziemlich lang.

Viel Unsicherheit gibt es trotz oder gerade wegen zunehmender Regulierung des Marktes für Sustainable Finance, also nachhaltiges Investment. Zu dieser Auffassung kam Lisa Watermann, Partnerin und Expertin für Bank- und Finanzaufsicht der Wirtschaftskanzlei GSK Stockmann, während des gestrigen Nachhaltigkeitsforums der Süddeutschen Zeitung.

Nachdem sich sowohl in der Gesellschaft als auch am Markt das Thema Nachhaltigkeit bereits weit entwickelt hat, versucht nun die Regulatorik auf beide Felder Einfluss nehmen, meint sie. Bereits 2018 hat die EU-Kommission mit ihrem „EU Action Plan on Sustainable Finance“ die Grundlagen für eine Vereinheitlichung auf diesem Gebiet gelegt.

„Es wird klar, dass das Finanzwesen eine Schlüsselrolle in dem Prozess übernehmen wird“, ist sie überzeugt. Es gehe zum einen darum, die fehlende Vergleichbarkeit und Transparenz von nachhaltigen Finanzprodukten zu überwinden sowie durch gezielte Lenkung des Kapitals die Klimaziele bis 2050 zu erreichen sowie für mehr Transparenz zu sorgen. Wesentliche Bestandteile des EU-Action Plans sind die Taxonomie-Verordnung und die Offenlegungs-Verordnung.

Er wird aber auch Auswirkungen auf andere Rahmenregelwerke wie MiFID II und IDD haben. Was die Taxonomie- und die Offenlegungsverordnung betrifft – letztere muss bereits ab 10. März angewendet werden ­-, so handelt es sich dabei um verbindliche Standards, nicht um Richtlinien, die noch in nationales Recht umgesetzt werden müssen und entsprechend ausgelegt werden können.

Das Problem der neuen Verordnungen besteht laut Watermann darin, dass sie nicht miteinander vernetzt sind. So misst die Taxonomie-Verordnung die Nachhaltigkeit im Wesentlichen an ökologischen Parametern. Die Offenlegungs-Verordnung geht dagegen auf Nachhaltigkeitsrisiken, Nachhaltigkeitsfaktoren und nachhaltige Produkte bzw. Investitionen ein. Und MiFID II schließlich definiert Nachhaltigkeitspräferenzen. „Es ist schade, dass keine Vergleichbarkeit gegeben ist. Das macht das ohnehin komplexe System noch undurchsichtiger“, befürchtet sie.

Ein Modell für alle?

Das von der EU gewünschte und verfolgte allgemeingültige Modell für alle Branchen wirft weitere Fragen auf, behauptete Oliver Glück, ebenfalls Finanzexperte und Partner von GSK Stockmann. Vor allem, weil sich alle Marktteilnehmer von unterschiedlichen Startpositionen und mit unterschiedlichem Tempo bewegen würden. Zudem gebe es einen Zeitkonflikt, der sich aus den unterschiedlichen Reifegraden der Verordnungen ergebe. So müsse man mit der Offenlegung demnächst schon anfangen, obwohl bei der Taxonomie noch nicht alle Standards definiert sind.

Zur Erinnerung: Anzuwenden ist die Verordnung ab dem 1. Januar 2022 auf Klimaschutz und Anpassung an den Klimawandel sowie ab dem 1. Januar 2023 auf die übrigen Umweltziele, also nachhaltige Nutzung und Schutz von Wasser- und Meeresressourcen, Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft, Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung sowie Schutz und Wiederherstellung der Biodiversität und der Ökosysteme. Diese Unschärfen werden dazu führen, dass es zu brancheneigenen Standards kommen und die gewünschte Einheitlichkeit noch nicht erreicht werde.

„Eigene Standards können im Rahmen der neuen Regulatorik weiter genutzt werden“, beruhigte Lisa Watermann und betonte, dass man die Taxonomie-Vorgaben nutzen könne, nicht müsse. Sie rät dazu, die Gesetzgebung genau im Blick zu behalten und davon unabhängig Auflage und Vertrieb nachhaltiger Finanzprodukte zu forcieren sowie die Anforderungen der Offenlegungs-Verordnung umzusetzen.

Transparenz durch Standards

Über den Arbeitsstand des 2019 ins Leben gerufenen Sustainable Finance Beirats der Bundesregierung berichtete Kristina Jeromin, deren stellvertretende Vorsitzende sie ist. Die ersten Ergebnisse werden coronabedingt etwas verspätet erst am 25. Februar publiziert, erklärte sie. Die zentrale Frage für sie und den Beirat ist, ob das Finanzsystem in seiner jetzigen Form nachhaltig, also zukunftsfähig ist bzw. wie es tatsächlich zukunftsfähig gemacht werden kann. Die Branche selbst, unterstrich sie, muss ein großes Interesse daran haben zukunftsfähige Strukturen zu finanzieren, um sich selbst für die Zukunft aufzustellen. Mit dem Beirat sei man „spät dran in Deutschland“, da die EU bereits 2016 den Startschuss gegeben habe.

Es gehe im Wesentlichen darum, wie die Finanzbranche die Realwirtschaft unterstützen könne, das Ziel des Pariser Klimaabkommens zu erreichen. Um dies zu forcieren, konzentriere sich der Beirat vor allem darauf, die Transparenz in der Beziehung Finanz- und Realwirtschaft zu fördern. Derzeit würden zum Beispiel nicht alle Daten berichtet, Qualität und Aussagekraft der Berichte seien sehr unterschiedlich. Mehr Transparenz sei nicht nur auf nationaler, sondern mindestens auf europäischer Ebene erforderlich.

„Kapitalflüsse machen ja auch nicht an Landesgrenzen halt“, erläuterte sie. Nachhaltiges Investment dürfe nicht isoliert gesehen werden, sondern müsse integraler Bestandteil der Unternehmensprozesse werden, ist sie überzeugt. Dafür müsse die Politik Rahmenbedingungen mit geeigneten Standards schaffen. Die Analysen von ESG-Ratingagenturen seien hilfreich, aber nicht ausreichend.

Zudem rät sie dazu, notwendige Transformationen frühzeitig anzustoßen, weil die sozialen Folgen ansonsten enorm seien – wie das Beispiel Kohleausstieg zeigt. Alle Beteiligten sollten sich auf Veränderungen einstellen können. Für die Finanzbranche ergibt sich nach Jeromins Auffassung durch langfristige nachhaltige Investments die Chance zur Reduzierung von Verwerfungen am Kapitalmarkt. Dazu zählt nach ihrer Meinung auch, dass die Offenlegungshorizonte deutlich länger werden müssen, also auf fünf Jahre und länger ausgelegt sind.

ESG in der Kapitalanlage kommt noch zu kurz

Das Thema Corporate Social Responsibility (CSR)-Berichterstattung gewinnt an Bedeutung. Seit 2018 müssen börsennotierte Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitern jährlich einen Bericht über ihre CSR abliefern. Darin geht es vor allem um die Themen Umwelt, Arbeitnehmerrechte, Soziales, Menschrechte und Korruptionsbekämpfung. 46 dieser CSR-Berichte deutscher Versicherer für das Jahr 2019 hat das Beratungsunternehmen Zielke Research Consult mit Blick auf die Aspekte Soziales, Governance und Umwelt analysiert. Laut Zielke ist vor allem noch viel Luft nach oben, was die konkrete Berücksichtigung ökologischer und sozialer Kriterien in die Kapitalanlagenpolitik betrifft.

„Nur ein Drittel der Versicherer gab an, dies zu tun. Viele fokussieren sich zu sehr auf leicht umsetzbare, kurzfristige Projekte, statt dieses entscheidende Thema anzugehen“, so die Kritik. Am besten im Gesamtranking schnitten die Gothaer, Helvetia, SV Sparkassenversicherung, Allianz und Munich Re ab. Weit abgeschlagen waren dagegen die Basler, der Continentale Versicherungsbund und die VHV Gruppe.

Lars Heermann, Bereichsleiter Analyse der Ratingagentur Assekurata Assekuranz Rating-Agentur, hält die Aussagekraft der CSR-Berichte in der jetzigen Form insgesamt für begrenzt. Zum einen seien die Informationen häufig selektiv, je nach dem Schwerpunkt, den sich das betreffende Unternehmen setzt. Bei großen Versicherern gehe es häufig um den Klimawandel, bei kleineren dagegen um soziale Themen wie lokale Förderprojekte. Ein unternehmensübergreifender Vergleich der Daten sei zudem schwierig – selbst wenn Informationen zur gleichen Kennzahl zur Verfügung gestellt würden.

Anfang 2021 hat sich auch der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) zu Nachhaltigkeitspositionen bekannt. Die Assekurata entwickelt derzeit gemeinsam mit Pilot-Unternehmen eine speziell auf das Geschäftsmodell von Versicherern ausgerichtete Methodologie für ein umfassendes Nachhaltigkeitsrating.

Autorin: Elke Pohl

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