Trotz Investitionsabkommen: China kann nicht aufatmen

Business-Viertel in Schanghai. Quelle: hy

Vor wenigen Wochen haben sich die Europäische Union (EU) und China auf ein umfangreiches Investitionsabkommen geeinigt. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sprach zwar von einem „Meilenstein in unseren Beziehungen zu China und für unsere wertebasierte Handelsagenda“. Dennoch ist der Deal nicht unumstritten.

Zwei aktuelle Entwicklungen in Europa werden dabei in der chinesischen Öffentlichkeit und Finanzwelt zu Ereignissen beobachtet, die man mit großer Spannung verfolgt und viel diskutiert. Zum einen wird sich öffentlich mit dem Investitionsschutzabkommen zwischen der EU und China auseinandergesetzt. Zum anderen wird darüber diskutiert, welche Haltung und Strategie die EU gegenüber China nach der Amtsübernahme des neuen US-Präsidenten einnehmen soll.

Die chinesische Geschäfts- und Finanzwelt betrachtet das Abkommen durchweg positiv. So begünstige es nicht nur Investitionen von Ausländern in China. Es werde auch die Umsetzung der Politik von „Go to the world“ von vielen chinesischen Unternehmen erleichtern, so die Meinung vieler Chefs großer Unternehmen in China. Der Vizechef der Pacific Health Insurance, eine der größten chinesischen Privatkrankenversicherungen, Zhou Bing schätzt: „Ausländische Investoren, die in die bisher nicht voll geöffneten Finanz- und Medizinsektoren investieren wollen, werden mit Sicherheit Unterstützung von chinesischer Regierung bekommen.“

Denn das würde die Wiederbelebung der Weltwirtschaft und weltweiten Lieferketten fördern, was schließlich auch für China als größte Werkstatt und größten Exporteur der Welt von Vorteil sei, so Zhou. Seiner Einschätzung nach verfolgen viele chinesische Unternehmen die Strategie, zunächst in EU-Ländern zu produzieren und anschließend mit dem verdienten Geld Reinvestments oder Finanzinvestitionen in qualitativ gute Objekte zu tätigen. Große Kapitalgesellschaften wie CICC, Huatai Security und Wanhe Security prognostizieren, dass durch das Abkommen das Tor zum chinesischen Markt für Investoren aus dem Westen noch weiter geöffnet sei und dies den Wettbewerb fördere.

Für viele chinesische Marktbeobachter ist es daher unverständlich, dass das Abkommen im Westen zum Teil mit Skepsis betrachtet wird. Man zweifelt daran, dass China seine Märkte wirklich öffnen will. In der Tat ist China bisher kein völlig abgeschotteter Markt. Die deutsche Automobilindustrie verkauft dort seit Jahren Abermillionen Autos. Versicherer aus dem Westen wie MetLife aus den USA, Prudential aus Großbritannien, Axa aus Frankreich und Allianz aus Deutschland haben schon vor vielen Jahren auf dem chinesischen Markt Fuß gefasst.

Laut einer Studie der Chinesischen Handelskammer in der EU (CCCEU) und Roland Berger erzielten Unternehmen aus den EU-Ländern in China in 2018 einen gesamten Umsatz von etwa 400 Mrd. Euro. Im Vergleich dazu konnten chinesische Unternehmen für dasselbe Jahr nur 210 Mrd. an Umsatz in der EU vorweisen.

Sorgen bereitet chinesischen Wirtschaftseliten allenfalls die Frage, ob die Europäer sich der Anti-China-Haltung der USA anschließen werden. Potenzielle chinesische Investoren fürchten ein durch eine China-unfreundliche Politik beeinflusstes Wirtschaftsklima, in dem Geschäfte ihren Reiz verliere. Tatsächlich verlieren chinesische Investoren gewisse Freude am Geschäft in der EU.

Die gleiche Studie belegt einen Rückgang der Direktinvestitionen aus dem Reich der Mitte mit 10,3 Mrd. Euro in 2017 auf 8,9 Mrd. Euro in 2018. Dies ist der bisher stärkste Rückgang. Statistiken des chinesischen Handelsministeriums zufolge zeichnet sich in EU-Ländern, in denen China besonders kritisch betrachtet wird, eine starke Abnahme der chinesischen Direktinvestitionen ab.

In Deutschland gingen chinesische Investition von ca. 2,7 Mrd. Euro in 2017 und 1,46 Mrd. Euro in 2018 auf 1,45 Mrd. Euro in 2019 zurück. In Frankreich investierten chinesische Unternehmen in 2017 noch 950 Mio. Euro, in 2019 nur noch 87 Mio. Euro. Bemerkenswert ist, dass die rückläufigen Zahlen gerade in die Zeit fielen, zu der die USA-Regierung eine massive Anti-China-Politik betrieb.

Eine kausale Beziehung zwischen der Investitionsbereitschaft und dem politischen Klima kann natürlich nicht hundertprozentig nachgewiesen werden. Dennoch kann davon ausgegangen werden, dass sich chinesische Investoren durch eine china-unfreundlichen Wetterlage trotz des gelobten Abkommens verunsichert fühlen. Wenn sich die Europäer in das Lager der USA einreihen würden und China zum Gegner oder gar zum Feind erklärt werden würde, würde das die wirtschaftliche Beziehung zwischen der EU und China noch deutlicher beeinträchtigen.

Es könnte die Chinesen zur Erkenntnis führen, dass es zur Schaffung eines besseren Klimas gar nichts nütze, seine Märkte noch weiter zu öffnen. Chinesische Wirtschaftseliten haben durchaus Verständnis dafür, dass die EU vor einem Dilemma steht. Einerseits will sich die EU bündnistreu zeigen, anderseits will man sich die Gewinnaussichten am chinesischen Markt nicht entgehen lassen.

Ein möglicher Ausweg für die Europäer, die im Umgang mit Großmächten seit jeher die gleiche Augenhöhe anstreben, könnte darin bestehen, sich zu einer multipolaren Weltordnung zu bekennen, bei der die EU neben China und den USA ein ernstzunehmender und souveräner Pol ist. Dieser Ansatz könnte die Europäer im Umgang mit den USA womöglich aus einigen Zwangslagen befreien.

Autor: Heng Yan

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