R+V-Chef fordert LV-Branche auf, den Garantiezins freiwillig unter ein Prozent zu senken

Norbert Rollinger. Quelle: R+V

Seit 2017 liegt der Höchstrechnungszins für klassische Lebensversicherungen bei 0,9 Prozent. Weil die Bundesregierung eine weitere Senkung wegen der Coronakrise vorerst vertagt hat, soll die Branche freiwillig den Garantiezins weit unter einem Prozent senken. Dafür plädiert Norbert Rollinger, Vorstandschef des nach Beitragseinnahmen zweitgrößten Lebensversicherers Deutschlands R+V .

Der Höchstrechnungszins wird von der Bundesregierung in Absprache mit den Aktuaren und der Bafin festgelegt und behält mehrere Jahre Gültigkeit. So ist die Vorgehensweise zumindest in normalen Zeiten. 2020 ist alles andere als normal und so könnte es auch ein Novum in der Versicherungsbranche geben: Eine freiwillige Senkung unter den Garantiezins von einem Großteil der deutschen Versicherer. In der Tat dürfen Versicherer ihren Kunden zwar eine geringere, aber keine höhere Verzinsung fest zusagen als von der Bundesregierung festgelegte.

Die Deutsche Aktuarvereinigung (DAV) drängt schon lange darauf, dass der Höchstrechnungszins auf 0,5 Prozent sinken sollte. Die Bundesregierung ist derzeit mit anderen Sorgen beschäftigt und hat die Entscheidung vertagt. Daher führt für Norbert Rollinger kein Weg an einer Senkung des Garantiezins vorbei. „Ich frage mich, welches Versicherungsunternehmen künftig noch einen Garantiezins von 0,9 Prozent für wesentliche Produkte seines Neugeschäfts anbieten will. Natürlich ist die Festlegung Sache jedes einzelnen Unternehmens, und der Branchenverband GDV kann dazu keine Vorgaben machen. Aber auch die Bafin hat bereits angeregt, dass die Branche den Garantiezins deutlich senkt“, sagte der R+V-Chef dem Handelsblatt.

„Wir werden mehr externe Run-offs sehen“

Rollinger gibt zu verstehen, dass es komfortabler für die Branche gewesen wäre, wenn die Politik eine Richtlinie vorgegeben hätte. Aber auch ohne die Politik müsse eine Senkung erfolgen. Als Konsequenz der Niedrigzinsphase kann Rollinger nachvollziehen, dass sich Versicherer immer mehr von Altbeständen trennen. „Ich glaube, dass wir durch den steigenden Druck in der Branche in den kommenden Jahren mehr sogenannte externe Run-offs bei Lebensversicherungen sehen werden. Zumal sich die schlimmsten Befürchtungen der Verbraucherschützer bisher nicht bewahrheitet haben. Es hat sich eher zu einem normalen Geschäft entwickelt. Wir als R+V Versicherung haben weiter nicht vor, diesen Weg zu gehen. Aber natürlich wäre es fahrlässig, einen solchen Schritt für alle Zeiten auszuschließen“, erklärt der R+V-Chef.

Autor: VW-Redaktion

3 Kommentare

  • Konkret ist es Aufgabe des nicht weisungsgebundenen Verantwortlichen Aktuar jedes Lebensversicherers, den Garantie-/Rechnungszins im Neugeschäft festzulegen.

    Die Festlegung des Garantie- oder Rechnungszinses für das Neugeschäft eines Lebensversicherers fiel bis zur Deregulierung 1994 in den Aufgabenbereich der Versicherungsaufsicht, denn jeder Tarif war genehmigungspflichtig – nun aber nicht mehr. Durch die EU-rechtlich erforderliche Deregulierung fällt dies seitdem in die Verantwortung des vom Lebensversicherer mit Zustimmung der Aufsichtsbehörde bestellten Verantwortlichen Aktuars. Auch wenn der regelmäßig nur angestellt ist, so ist er doch für seinen Verantwortungsbereich fachlich nicht weisungsgebunden, und kann sich auch nicht auf Weisungen des Versicherervorstands berufen.

    Wenn der Verantwortliche Aktuar sagt, dass nur noch mit 0,5 Prozent Garantiezins gerechnet wird, dann wird ebenso nur noch damit gerechnet, wie die Vögel tot von den Bäumen fallen, wenn Kinski sagt, dass sie tot von den Bäumen fallen sollen. Von Freiwilligkeit beim Unternehmen kann da gar keine Rede sein – der Verantwortliche Aktuar ersetzt hier die Aufsicht.

    Sollte er indes seinen Aufgaben hier nicht ordnungsgemäß nachkommen, kann die Aufsichtsbehörde seine Abberufung verlangen.

    Und auch sein Berufsverband – die Deutsche Aktuarvereinigung e.V (DAV) – kann gegen ihn ein berufsständisches Verfahren einleiten, wenn er deren fachliche Hinweise nicht beachtet.

    So kann also auch jeder Versicherungsvorstand eines anderen Lebensversicherers eine berufsständische Beschwerde bei der DAV gegen jeden widerspenstigen Aktuar eines Konkurrenzunternehmens führen, die dann ggf. zu einem standesrechtlichen Disziplinarverfahren gegen diesen durch die DAV führt.

    Wenn es erforderlich ist, den Garantiezins bei einem Lebensversicherer herabzusetzen, kann also von Freiwilligkeit gar keine Rede sein – vielmehr ist es faktisch ein Zwang, mit sehr starker Sanktionsmöglichkeit.

  • Man muss unterscheiden zwischen Garantiezins, den die Kunden erhalten und Rechnungszins, mit dem die Deckungsrückstellung für die HGB-Bilanz ermittelt wird. Theoretisch könnte man sich ja sogar eine Anti-ZZR (also Kompensation der ZZR) schaffen, indem man nur 0,5% garantiert, aber in der Bilanz weiter mit 0,9% abzinst…
    Es muss aber klar sein, dass bei den meisten Häusern so etwas wie Riester mit 100% Garantie der Beiträge mit 0,5% Garantiezins nicht mehr funktionieren wird…und ob man das je nach Produkt unterschiedlich formulieren sollte ist auch die Frage?
    Starke Häuser mit hoher Solvenzquote und nicht zu hohem Anteil an Garantiegeschäft können m.E. aber durchaus bei den 0,9% bleiben, insbesondere wenn in der Neuanlage weiterhin über 0,9% nachgewiesen werden.

  • Die aktuelle Niedrigzinsphase bringt viele Versorgungsträger in Bedrängnis bei der Realisierung Ihrer ursprünglichen Versprechen. Am Ende steht immer der Arbeitgeber nach BetrAVG in der Subsidiärhaftung. Dabei ist der Rechnungszins des Versorgungsträgers eine erfolgskritische Größe.

    Vor diesem Hintergrund ist eine Status Quo Überprüfung für den Arbeitgeber aktuell eine angesagte Handlungsoption. Einen solchen bAV Quick Check sollte man unabhängig organisieren, um eine objektive Sicht zu erhalten:
    https://youtu.be/0BCf1_bKhpI

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