Accenture-Stratege Richter: „Eine große Herausforderung für Insurtechs sind die hohen Kosten der Kundenakquise”

Christian Richter, Versicherungsexperte von Accenture Strategy. Accenture.
VWheute: Insurtechs „rocken“ derzeit die Versicherungsbranche. Wie bewerten Sie den aktuellen Status quo der deutschen Insurtech-Szene? Und wie ist es dabei im internationalen Vergleich bestellt?
Christian Richter: Insurtechs sorgen derzeit für viel Aufmerksamkeit. Es gibt kaum ein etabliertes Unternehmen, das sich nicht mit den Chancen und Risiken der neuen Marktteilnehmer auseinandersetzt. Im internationalen Vergleich kann sich die deutsche InsurTech-Szene mit ihren deutlich über 100 Unternehmen behaupten und findet hierzulande, nicht zuletzt durch die investitionsfreudigen und global führenden deutschen Versicherungskonzerne, attraktive Rahmenbedingungen vor. Dies belegen auch die Ergebnisse unseres aktuellen Accenture Insurtech Watchtower zu den aktuellen Trends der Risikokapitalfinanzierung von versicherungsnahen Start-ups. Im vergangenen Jahr konnte die deutsche InsurTech-Szene ein Investitionsvolumen von 255 Millionen Euro für sich verbuchen und findet sich damit global unter den Top 5 Märkten wieder. In Europa liegt Deutschland im Ländervergleich hinter Großbritannien deutlich auf Platz 2.
VWheute: Trend und innovativ oder nur viel heiße Luft: Halten deutsche Insurtechs wirklich, was sie versprechen? Ist der Hype in Deutschland und weltweit wirklich gerechtfertigt?
Christian Richter: Insurtechs haben den Vorteil, dass sie über eine innovationsfreudige, anpassungsfähige und auf Kooperation ausgelegte Kultur verfügen. Diese ermöglicht es ihnen, sich hervorragend in Ökosysteme zu integrieren. Während etablierte Versicherungskonzerne mit Altlasten, wie Legacy-Systemen oder einer behäbigen Organisationsstruktur kämpfen, bringen Insurtechs die nötige Flexibilität mit, digitale Innovationen schnell zu entwickeln und am Markt zu erproben. Damit liefern Insurtechs attraktive Synergiemöglichkeiten für etablierte Konzerne und gelten zurecht als ein maßgeblicher Innovationstreiber im deutschen Versicherungsmarkt.
Auch mit ihrer Risikofreude sorgt die deutsche Insurtech-Szene für mehr Dynamik im Markt. Das gilt insbesondere für die Full Carrier, die als Vollversicherer auftreten. Eine große Disruption der Versicherungsbranche durch neue Player ist bisher allerdings ausgeblieben, ist aber nicht ausgeschlossen. Besonders erfolgsversprechend scheinen Geschäftsmodelle zu sein, die B2B mit etablierten Finanzdienstleistern kooperieren, zum Beispiel bei der Integration eines Bancassurance-Angebots in das Online Banking einer Bank.
Schaut man sich die Gründungsteams der deutschen InsurTech-Szene an, wird schnell klar, dass viele Entrepreneure sowohl Fachwissen als auch strategische Erfahrungen in der Versicherungs- und Finanzdienstleistungsbranche mitbringen. Von heißer Luft kann deshalb keine Rede sein.
VWheute: Nicht alle Insurtechs können sich dauerhaft am Markt etablieren. Prominentestes Beispiel ist Knip: Wie sehen Sie die zukünftige Entwicklung auf dem deutschen Versicherungsmarkt im internationalen Vergleich?
Christian Richter: In den vergangenen Jahren erlebten wir einen wahren Boom an Insurtech-Neugründungen. Inzwischen hat eine gewisse Marktkonsolidierung eingesetzt – sowohl national als auch international. Das ist jedoch kein ungewöhnliches Phänomen. Während ein signifikanter Anteil sicher auf Dauer nicht erfolgreich sein wird, werden sich andere Player am Markt etablieren und wachsen.
Eine der großen Herausforderungen für viele InsurTech-Start-ups sind die hohen Kosten der Kundenakquise, die eine rasche Skalierung des Geschäftsmodells mit sich bringt. Kooperationen sind hier der Schlüssel zum Erfolg – und zwar nicht ausschließlich mit finanzkräftigen Versicherungskonzernen, sondern auch mit anderen Start-ups oder branchenfremden Unternehmen.