KPMG-Expertin Fell: „Innovative Arbeitsmodelle werden zum relevanten Wettbewerbsfaktor“

Claudia Fell. Quelle: KPMG

Die Arbeit von zu Hause hat in Corona-Zeiten eine Renaissance erlebt und entwickelt sich zu einem Zukunftsmodell für Arbeitgeber. Die Politik will sogar einen gesetzlichen Anspruch auf Heimarbeit einführen. Was dies für die Versicherer bedeutet, erläutert KPMG-Expertin Claudia Fell im Exklusiv-Interview mit VWheute.

VWheute: Homeoffice ist durch Corona mittlerweile „hoffähig“ geworden und gehört in Zeiten von Social Distancing nunmehr zum guten Ton. Wie hat die Versicherungsbranche diese Herausforderung bislang gemeistert und wo sehen die derzeit noch die größten Baustellen?

Claudia Fell: Die Branche hat generell sehr schnell und professionell auf die Herausforderungen der Corona-Pandemie reagiert und ihren Belegschaften ein Arbeiten von zu Hause ermöglicht. In den meisten Häusern hat die technische Infrastruktur gut funktioniert und es haben sich schnell neue Routinen etabliert. Regelprozesse und das „Abarbeiten“ von Aufgaben lassen sich remote gut erledigen. Kreative Prozesse, neue Aufgaben oder neue Team-Konstellationen leiden auf Dauer aber unter dem Fehlen von persönlichem Kontakt und Austausch. Hierfür braucht es gerade während fortgesetzter Lockdown Phasen neue Ansätze.

VWheute: Anfang 2020 war die Einstellung der Mitarbeiter und Vorgesetzten gegenüber dem Homeoffice eher negativ. Nunmehr können sich laut einer jüngsten Studie rund 90 Prozent der Versicherungsbeschäftigten einen Umzug ins heimische Büro vorstellen. Woher kommt aus Ihrer Sicht der Sinneswandel und wie nachhaltig dürfte dieser sein?

Claudia Fell: Die Akzeptanz für mobiles Arbeiten ist hoch, weil sich über die letzten Monate gezeigt hat, dass es für viele Beschäftigte Vorteile mit sich bringt, z.B. hohe Flexibilität hinsichtlich der räumlichen und zeitlichen Erbringung der Arbeitsleistung, Vermeidung von Pendel-Zeiten und Ärger im Stau sowie weniger „gefühlte Kontrolle“ durch Kollegen und Vorgesetzte. Aber es gibt auch negative Einschätzungen, die z.B. mit „ständigen“ Videokonferenzen, verschwimmenden Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit sowie fehlendem (auch informellem) persönlichen Kontakt zu tun haben. Daher wird die generelle Akzeptanz für das Homeoffice nur nachhaltig sein, wenn für die Herausforderungen, die zwangsläufig damit einhergehen, kreative Lösungen gefunden werden, die für die Unternehmen und die Belegschaften gangbar sind.

VWheute: Die Versicherer zählen bislang zu den konservativsten Branchen: Wie können die Versicherungsunternehmen beim Thema Homeoffice nun eine Vorreiterrolle einnehmen?

Claudia Fell: Innovative Arbeitsmodelle werden zum relevanten Wettbewerbsfaktor z.B. bei der Gewinnung und dem Halten von Talenten. Von daher wäre es wünschenswert, dass die Versicherer das Thema proaktiv gestalten. Die Branche hat hier die Chance auf eine Vorreiterrolle, weil sie einen hohen Anteil an Tätigkeiten aufweist, der prinzipiell auch remote erbracht werden kann. Allerdings müssen Homeoffice oder neue hybride Modelle von weiteren Elementen flankiert werden, um eine positive Wirkung zu entfalten. Ein umfassender Wandel im Mindset bzgl. Führung, Zusammenarbeit und Entwicklung, ein anderer, erweiterter Umgang mit relevanten Daten und KPIs und eine Fokussierung auf Technologie als Unterstützer in der neuen Arbeitswelt sind zwingend erforderlich.

VWheute: Werfen wir einen kurzen Blick in die Glaskugel von VWheute: Wie nachhaltig werden die entsprechenden Homeoffice-Modelle in der Zukunft sein? Welche Chancen rechnen Sie agilen Modellen für den zukünftigen Arbeitsalltag in der Branche aus?

Claudia Fell: Um den Trend zu Homeoffice und flexiblerem Arbeiten nachhaltig zu machen, müssen in den Unternehmen umfassende neue Prinzipien und Regeln vereinbart werden. Welcher Teil der notwendigen Tätigkeiten kann remote, welcher vor Ort erledigt werden? Wie differenziert können dabei einzelne Rollen / Stellen betrachtet werden? Wie soll Erfolg und Leistung gemessen werden? Und wie wird Zusammengehörigkeitsgefühl mit dem Team und Identifikation mit dem Unternehmen sichergestellt?

Diese und weitere Fragen müssen in einem ganzheitlichen Ansatz geklärt und auch mit den Mitbestimmungsgremien verhandelt werden, um die Arbeitswelt von Morgen nachhaltig und positiv zu gestalten. Dabei werden auch agile Arbeitsansätze und Zusammenarbeitsmethoden ihren Platz haben – vor allem in kreativen und komplexen Prozessen wird sich agiles Vorgehen auch in Versicherungen als Vorteil erweisen. Eines sehe ich aber ganz klar in Ihrer Glaskugel: Auch in fünf Jahren werden Menschen am liebsten mit Menschen arbeiten, lachen, sich über Niederlagen ärgern und Erfolge gemeinsam feiern. Dies wird wieder ohne Maske und deutlich unter 1,5 Meter möglich und gewollt sein – auch im Büro.

Die Fragen stellte VWheute-Redakteur Tobias Daniel.

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