Transaktionen brechen ein: Ist das Run-off-Geschäft am Ende?

Der Provisionsanspruch basiert in der Regel auf dem Beitrag, je höher die Prämie, desto mehr Provision. Bildquelle: Mohamed Hassan/ Pixabay

Nur rund eine Dekade nach dem ersten Erblühen des Run-offs in Kontinentaleuropa scheint dieser Zweig der Versicherungswirtschaft schon wieder zum Stillstand gekommen zu sein. Das zumindest suggerieren die
Zahlen. In Wahrheit hat das Geschäft mit dem Ankauf von Altbeständen noch gar nicht sein vollstes Potenzial ausgeschöpft, glaubt Arndt Gossmann, geschäftsführender Gründer der Gossmann & Cie.-Gruppe. Denn nicht der Zinssatz sei ein Game Changer, sondern die Digitalisierung.

Die Abgabe von eingestelltem Geschäft, den sogenannten Legacy-Portfolios, an spezialisierte Dienstleister ist im vergangenen Jahr im Vergleich zum Vorjahr erheblich eingebrochen. Wurde 2019 noch ein Portfoliovolumen von rund 3,5 Milliarden Euro an spezialisierte Run-off-Unternehmen veräußert, waren es zwischen dem 1. Juli 2020 und dem 30. Juni 2021 nur noch insgesamt acht Transaktionen mit einem Gesamtvolumen von rund 200 Millionen Euro. Das entspricht einem Rückgang von weit über 90 Prozent.

Der Rückgang bei dem veräußerten Volumen im Zeitraum 2020/2021 mag damit zusammenhängen, dass mehrere sehr große Transaktionen bereits im Vorjahr abgewickelt wurden. Allerdings war das Transaktionsvolumen in den Vorjahren eher stabil. Als wesentlichen Faktor sehen wir tatsächlich die Covid-19-Pandemie. Viele Versicherungsunternehmen haben sich 2020 zunächst darauf konzentriert, den laufenden Geschäftsbetrieb sicherzustellen. Auch bedurfte es etwas Zeit, analog geübte Vorbereitungsprozesse in einem rein digitalen Umfeld umzusetzen, wie zum Beispiel einen Datenraum mit Schadenakten. Selbst im zweiten Corona-Jahr wird von einzelnen Häusern noch darauf hingewiesen, dass derzeit nur dringliche Projekte angegangen werden. Die Freisetzung von Kapital gehört bei der überwiegend sehr gut kapitalisierten Assekuranz nicht dazu.

Die Run-off-Branche läuft sich erst warm

Aber auch unabhängig von aktuellen Einflussfaktoren und unter Berücksichtigung eines normalen Transaktions-Stromes kann man feststellen, dass das Geschäft mit der Freisetzung von Eigenkapital über die Abgabe von Legacy-Portfolios noch nicht sein volles Potenzial entfalten konnte. Nach unseren Schätzungen hat die Branche bisher weniger als ein Prozent der europaweiten Rückstellungen für Legacy-Portfolios pro Jahr über Run-off-Verkäufe freigesetzt. Betrachtet man die durchschnittliche Dauer einer Run-off-Transaktion, steht die Versicherungswirtschaft tatsächlich noch am Anfang. Unserer Erfahrung nach dauert der Verkauf eines Portfolios an einen Dienstleister regelmäßig zwischen zwölf und 18 Monaten.

Der Vorlauf in den Versicherungen für die Identifikation geeigneter Testportfolios und die Vorbereitung einer Ausschreibung sind hier noch gar nicht mitgerechnet. So gesehen läuft sich die Branche gerade erst warm. Insgesamt gibt es aber noch erhebliches Potenzial für Versicherer, sich von eingestelltem Altgeschäft zu befreien, Verwaltungsaufwand zu reduzieren und das durch die notwendigen Rückstellungen blockierte Eigenkapital freizusetzen.

Starker Wettbewerbsdruck

Auf der Käuferseite hat sich das Interesse an der Übernahme und der Abwicklung von Legacy-Portfolios dynamischer entwickelt. Dies wird vor allem durch das enorme Interesse von Investoren getrieben. Derzeit gibt es zwischen acht und zehn Gesellschaften, die sich im europäischen Markt regelmäßig an Ausschreibungen für Run-off-Portfolios beteiligen. Angesichts eines eher verhaltenen Stroms von Transaktionen lässt sich ein stärkerer Wettbewerbsdruck unter den Gesellschaften beobachten. Da sich das erforderliche Leistungsspektrum der verschiedenen Bieter in diesem Segment aufgrund strenger Regulierung im Versicherungswesen naturgemäß nicht sehr stark voneinander unterscheidet, wurden viele dieser Ausschreibungen in den vergangenen Jahren vor allem über den Preis gewonnen.

Gleichzeitig haben wir beobachtet, dass sich die abgebenden Versicherer zunächst für eine Abgabe solcher Legacy-Portfolios entscheiden, die sich als kapitalintensiv, langabwickelnd oder aufwendiger in der Abwicklung beschreiben lassen. In einem neuen Markt ist das ein verständliches Vorgehen, sich erst einmal von schwierigeren Policen und höheren Risiken zu trennen. Wenn solche Portfolios in einem Bieterwettkampf dann zum geringsten Preis vergeben werden, besteht jedoch immer die Gefahr, dass die Abwicklungsvergütung nur noch geringe Margen ermöglicht. Das ist kritisch, weil damit langfristig die Stabilität der Legacy-Versicherer unter Druck geraten könnte. Run-off-Transaktionen ermöglichen eine sehr effiziente Bereinigung der Bilanzstruktur. Dennoch müssen die zum Teil sehr langfristigen Verpflichtungen beachtet werden. Dies ist ein Appell sowohl an die Aufsichtsbehörden, die ein adäquates Pricing im Auge haben sollten, als auch an die Käufer. Ein ruinöser Preiswettbewerb hilft langfristig niemandem.

Mehrzahl der Transaktionen hat sich gelohnt

Eine interne Analyse der Transaktionen aus den letzten Jahren bestätigt, dass die Mehrzahl der Transaktionen wirtschaftlich und finanziell solide war. Die Mehrheit der Käufer auf dem Markt kalkuliert realistisch, mit angemessenen Abwicklungskosten und einem angemessenen Risikoaufschlag. Zusätzlich schaffen es die guten Anbieter ihrerseits, durch Outsourcing, Skalierung und auch durch Expansion in neue Märkte Effizienzressourcen zu heben und sich so im Wettbewerb zu behaupten. Betrachtet man die verbleibenden Transaktionen der Vergangenheit, so ist davon auszugehen, dass nicht alle die wirtschaftlichen Erwartungen des Käufers erfüllen.

Unter dem Strich kalkuliert die Mehrheit der Käufer von Run-off-Portfolios solide und konnte zeigen, dass der Verkauf ein weiteres, wertvolles Instrument der Versicherer ist, Risiken abzugeben und Eigenkapital freizusetzen. Interessant ist auch die Entwicklung des Transaktionsvolumens. Größere Versicherer gingen zumindest vor Covid-19 sehr beherzt ans Werk. Für ein kleineres Unternehmen ist auch schon eine Bereinigung zwischen zehn bis zwanzig Millionen Euro interessant. Hier könnte es für die Käufer mittelfristig problematisch werden, da der Aufwand bei einer Portfoliogröße von 25 Millionen Euro ähnlich ist wie der Aufwand für ein Portfolio zehnfacher Größe.

Game Changer Digitalisierung

Zu einem wirklichen Game Changer im Run-off-Management könnte perspektivisch nicht der Zinssatz, sondern die Digitalisierung werden. Hier liegt erhebliches Potenzial verborgen, da Portfolios sich nicht nur präziser bewerten lassen, sondern mittelfristig auch effizienter betreut und wirtschaftlicher abgewickelt werden können. Eine Herausforderung, der sich sowohl die abgebenden Versicherer als auch die Käufer von Legacy Portfolios gegenübersehen, ist die Portfolio-Analyse und die Frage, welche Schadenentwicklung, welche Reserven und welches wirtschaftliche Potenzial tatsächlich in einzelnen Schäden enthalten ist. Diese Fragen werden derzeit nur durch aktuarielle Auswertungen der Prämien- und Schadenverläufe prognostiziert. Hinzukommen stichprobenartige, manuelle Sichtungen der Schadenakten.

Das ist eine plausible Annäherung, die auf der Basis der Vergangenheit den zukünftigen Verlauf prognostizierbar machen soll. Gleichzeitig ist es jedoch mit erheblichem Aufwand an Expertise und Zeit verbunden, einzelne Schadenakten zu sichten. Das erschwert nicht nur die zügige und präzise Analyse eines Portfolios für den Verkäufer und den Käufer, es macht auch die Preisfindung schwieriger und führt fast immer zu höheren Risikoaufschlägen, die einen Verkauf möglicherweise unattraktiver machen, als er sein müsste.

Völlig neue Möglichkeiten, Schadenakten systematisch auszuwerten, ergeben sich aus der Digitalisierung. Ein Portfolio mit vollständig digitalisierten Schadenakten erlaubt nicht nur die vollständige Aufnahme aller Schadenakten, sondern auch die extrem schnelle Analyse der Schadenentwicklung, der Kostenarten und der individuellen Verfahren. Sie macht es überdies möglich, typische Verläufe zu analysieren, daraus Abwicklungsstrategien abzuleiten und sogar durch automatisierte Früherkennung und die Anwendung erfahrungsbasierter Entscheidungsbäume die Abwicklung bestimmter Schäden automatisiert ablaufen zu lassen. Digitalisierung bezieht sich hier nicht nur auf das Vorhandensein gescannter Schadenakten, sondern auf die Maschinenlesbarkeit, die eine Textanalyse ermöglicht. Die Rechenleistung für diese Art der Digitalisierung ist mittlerweile vorhanden.

Lesen Sie den vollständigen Beitrag in der neuen Oktober-Ausgabe der Versicherungswirtschaft.

Autor: Arndt Gossmann, geschäftsführender Gründer der Gossmann & Cie.-Gruppe

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