Schifffahrt: IUMI-Präsident Turner warnt vor leichtfertiger Dekarbonisierung
Stillstand sei angesichts des derzeitigen Wandels für den Seeversicherungssektor keine Option. Zu diesem Schluss kam Präsident Richard Turner im Rahmen der Eröffnung der diesjährigen virtuellen Jahreskonferenz der International Union of Marine Insurance (IUMI) in Seoul. Turner deutete an, dass es Möglichkeiten gebe, um das Marine Underwriting künftig zu erweitern. Die Coronakrise und der Klimawandel seien dagegen akute Probleme.
„Die Pandemie hat Schwachstellen in unseren globalen Lieferketten aufgedeckt, was zu unerwünschten Verzögerungen und Unterbrechungen geführt hat – diese müssen angegangen werden“, sagte er.
„In der Seeversicherung hat Covid-19 die Verlagerung auf Online-Vermittlungen, die Entwicklung von Unfalluntersuchungen aus der Ferne und den verstärkten Einsatz der Digitalisierung beschleunigt. Auch wenn die Auswirkungen noch nicht in vollem Umfang spürbar sind, werden sich diese Veränderungen durchsetzen. Im Inland werden die Versicherer wahrscheinlich weiterhin immer mehr Geschäfte von zu Hause aus abwickeln und die Auslandsreisen einschränken“.
Mit Blick auf die langfristige Perspektive sprach Turner das Thema Umwelt und Nachhaltigkeit an. „Wir können eindeutig sagen, dass die Häufigkeit und Schwere von Naturkatastrophen in den letzten Jahren zugenommen hat. Dazu gehören nicht nur Wirbelstürme und Taifune, sondern auch noch nie da gewesene sintflutartige Regenfälle auf den meisten Kontinenten sowie der Ausbruch von schweren Waldbränden. Das Intergovernmental Panel on Climate Change (Zwischenstaatlicher Ausschuss für Klimaänderungen) prognostiziert in alarmierender Weise, dass Küstenüberschwemmungen, die nur einmal in hundert Jahren auftreten, zu jährlichen Ereignissen werden könnten. Wenn man bedenkt, wie stark der Gütertransport in Häfen und Küstengebieten gefährdet ist, könnte der Seeversicherungssektor diesem Druck auf unsere Küsten unverhältnismäßig stark ausgesetzt sein“.
Streben nach Dekarbonisierung
In diesem Zusammenhang verwies Turner auch auf die Entwicklung von Offshore-Windparks, die eine Abkehr von fossilen Brennstoffen und die allgemeine Dekarbonisierung der Schifffahrt ermöglichen. Neue Antriebsmethoden für Schiffe würden die derzeitigen Risikoprofile verändern und müssten erst vollständig verstanden werden, bevor angemessene Versicherungsprodukte entwickelt werden könnten.
„Wir sollten das Streben nach Dekarbonisierung voll und ganz unterstützen“, sagte er, „aber es müssen auch Schritte unternommen werden, um zu gewährleisten, dass die Sicherheit ebenfalls Priorität hat und aufrechterhalten wird. Einige der neuen potenziellen alternativen Kraftstoffe sind nicht ohne Risiko, und es bedarf gemeinsamer Anstrengungen aller Beteiligten – und zweifellos einer Weiterentwicklung des rechtlichen Umfelds –, wenn wir diese kommende Risikophase ohne Pannen bewältigen wollen.“
Menschliches Urteilsvermögen und Maschinelles Lernen
Indes würden sich Daten und Digitalisierung zunehmend auf das Underwriting in der Schifffahrt auswirken, insbesondere auf die Art und Weise, wie Risiken ausgewählt und bepreist werden und wie das Geschäft verteilt und platziert wird. Sie werden auch in die Prozesse der Prämien- und Schadenabwicklung einfließen. Turner plädiert hier für eine „Mischung aus Kunst und Wissenschaft“.
„Wir müssen die Bereiche verstehen, in denen menschliches Urteilsvermögen gültig und wichtig ist, aber auch die Bereiche, in denen Maschinelles Lernen die Arbeit effizienter und genauer erledigen kann. Das Underwriting der Zukunft wird eine Kombination aus menschlicher und Computeranalyse sein. Die Digitalisierung kann die Konsistenz der Preisgestaltung, die Risikoselektion, die Kostensenkung und den Service verbessern – aber ich bezweifle, dass die Technologie ein vollständiges Bild liefern wird, und ich sehe eine weitere Rolle für qualifizierte Fachleute, die das notwendige Urteilsvermögen in den Prozess einbringen.“
In diesem Zusammenhang wies Turner darauf hin, dass das Marine Underwriting ein spezialisierter Bereich der Versicherung bleiben müsse, der Fachleute beschäftige, die sich mit dem Schifffahrtsgeschäft auskennen. Zudem sagte er voraus, dass mehr Daten- und Computertechnik-Experten benötigt werden, um einige der traditionelleren Rollen auszugleichen.
Autor: VW-Redaktion