BdV: Solvenzlage der deutschen Lebensversicherer ist „dramatisch“

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Der Bund der Versicherten e.V. (BdV) hält die Solvenzlage der deutschen Lebensversicherer für „dramatisch“. Nur wenige Minuten nachdem Carsten Zielke seine diesjährige, für den BdV erstellte Studie „Solvenzberichte 2020 auf dem Prüfstand – Der Griff in die Kundengelder“ vorgestellt hatte, gab es bereits Widerspruch aus der Branche. Der Studie zufolge sind 23 der 80 untersuchten Lebensversicherer „angezählt“.

42 Unternehmen können die erforderliche Mindestsolvenz nur mithilfe von Übergangsmaßnahmen oder Kundengeldern nachweisen. Unter „dem Griff in die Tasche der Kund*innen“ versteht BdV-Chef Axel Kleinlein die noch nicht zugewiesenen Überschüsse, die den Versicherten gehörten; also freie RfB und Schlussgewinnanteile. Zur Entlastung der Solvenzsituation schlagen der BdV und Zielke die Aufhebung der Verrentungspflicht vor.

Die Studie der Zielke Research Consult GmbH untersucht verschiedene Solvenzquoten. Da ist zunächst einmal die in den SFCR-Berichten „ausgewiesene“, die sich 2020 zinsbedingt auf durchschnittlich 389 (436) Prozent verschlechtert hat. Diese Hürde wird von keinem Unternehmen gerissen. Im Minimum werden 156 (151) Prozent erreicht. Die „reine Solvenzquote“ berücksichtigt die Übergangsmaßnahmen und nicht eingezahltes Eigenkapital nicht. Dieser Wert hat sich auf 203 (256) Prozent verringert. 20 (16) Gesellschaften reißen hier die Solvenzhürde. Wird das nicht-eingezahlte Eigenkapital berücksichtigt, kommt man zu „rein-verwässerten“ Quote, die sich auf durchschnittlich 207 (260) Prozent beläuft.

Ohne die Mittel aus dem Überschussfonds kommt die Branche im Mittel auf einen Solvenzwert von nur noch 129 Prozent. Da dieser Wert erstmals erhoben wurde, gibt es keinen Vorjahreswert. „Würden die Versicherten tatsächlich alle die ihnen gehörenden Überschüsse ausgezahlt bekommen, dann ist mehr als die Hälfte der Versicherer angezählt“, so Kleinlein. Seiner Einschätzung nach werden „einige Versicherer die nächsten Jahre nicht überleben“. Eine Lösung könne der Verzicht auf den Verrentungszwang in der geförderten Altersvorsorge sein. Denn nach der Berechnungsmethode für Solvency II müssen Versicherer aktuell hohe Solvenzmittel vorhalten und damit hohe Risiken eingehen, um das Langlebigkeitsrisiko bei Rentenverträgen abzubilden.

„Dieser legale Betrug darf kein EU-Exportschlager werden und sich nicht auf Länder mit ähnlichen Märkten ausbreiten. EIOPA muss als EU-Aufsichtsbehörde dieser Abzocke einen Riegel vorschieben.“

Axel Kleinlein, Vorstandssprecher des Bundes der Versicherten (BdV)

Die Studie untersucht weitere Kriterien wie Marktrisiko, Diversifizierung und Gewinnerwartung und bewertet die Gesellschaften einzeln nach einem Ampel-System. Diese Bewertungen können auf der Seite des BdV eingesehen werden. Die ebenfalls untersuchte Transparenz der Berichte lobte Kleinlein mit Blick auf eine ähnliche Untersuchung großer europäischer Versicherer: „Die Transparenz der SFCR der deutschen Lebensversicherer stellt sich dabei als vergleichsweise gut dar. Die Gesellschaften nehmen dies ernst und tun eine gute Arbeit.“ Gleichwohl mussten die Studienautoren einräumen, dass aus den Berichten kaum zu ersehen ist, welche Gesellschaft unter „Manndeckung“ der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht steht.

Die Verwendung bereinigter Solvenzquoten stößt beim Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft auf Kritik: Die Solvenzlage der deutschen Lebensversicherer sei nachweislich besser als vom Bund der Versicherten (BdV) dargestellt. Die Methodik sei willkürlich. „Kein Kunde muss sich Sorgen um seine Lebensversicherung machen. Die garantierten Leistungen sind gesichert. Das geht auch aus Prognoserechnungen der Bafin hervor“, wird GDV-Hauptgeschäftsführer Jörg Asmussen in einer Verbandsmeldung zitiert.

„Die Solvenzlage der deutschen Lebensversicherer ist nachweislich besser als vom Bund der Versicherten (BdV) dargestellt. Die Methodik ist zudem willkürlich, denn der BdV stützt seine Aussagen zur Lebensversicherung nicht auf die durch Solvency II gesetzlich vorgegebene, sondern auf eine von Zielke Research Consult selbst ermittelte ‚reine‘ Solvenzquote.“

Jörg Asmussen, Hauptgeschäftsführer des GDV

Herbert Schneidemann bezeichnet in seiner Eigenschaft als Vorsitzender der Deutscher Aktuarvereinigung e.V. die Marktsituation aus aktuarieller Sicht weiterhin als „sehr stabil, da die Unternehmen unter anderem mit dem Aufbau der Zinszusatzreserve bereits seit 2011 Vorsorge für derartige Extremsituationen betreiben und die Übergangsmaßnahmen von Solvency II maßgeblich zur Stabilisierung der Branche beigetragen haben.“ Die coronabedingten Verwerfungen an den Kapitalmärkten hätten erwartbar ihre Spuren auch in den Solvenzkennzahlen hinterlassen. Berechnungen sogenannter „reiner Solvenzquoten“ ohne Berücksichtigung der Übergangsmaßnahmen sind vor diesem Hintergrund aufsichtsrechtlich keine validen Kennzahlen und können sogar zu Fehlinterpretationen führen.

Aus aktuarieller Sicht dürfe die Verwendung der Übergangsmaßnahmen nicht als Zeichen von Schwäche verstanden werden. Sie sei vielmehr das Ergebnis einer sorgfältigen Risikoanalyse und Unternehmensstrategie. Die bewusste Entscheidung für die Nutzung von Übergangsmaßnahmen  ermöglicht eine laufende und ressourcenschonende Verbesserung der Risikotragfähigkeit, die dem langfristigen Charakter des Lebensversicherungsgeschäfts entspreche.

Sie sei im Sinne eines kollektiven Verbraucherschutzes zu begrüßen. Ein prozyklisches Verhalten und die Umsetzung von Maßnahmen, z. B. aufseiten der Kapitalanlage zum Nachteil der Versicherten könne dadurch vermieden werden. Richtig sei aber auch, dass bis spätestens 2032 alle Anforderungen von Solvency II ohne die Anwendung der Übergangsmaßnahmen erfüllt werden müssen.

Autorin: Monika Lier

Ein Kommentar

  • Eine bemerkenswert beratungsresistente Studie von Zielke/BdV, die jährlich zu immer absurderen Schlussfolgerungen kommt.

    Man sollte schon das Grundprinzip der Lebensversicherung verinnerlicht haben, nämlich über Puffer der Ausgleich im Kollektiv und über die Zeit zu ermöglichen – aber das Studium bzw. die praktische Beschäftigung damit liegt wohl beim ein oder anderen schon zu lange zurück…

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