Ergo-Kunstexpertin Julia Ries: „Werke von künstlicher Intelligenz sind zunächst einmal reine ‚Abbilder'“
 VWheute Sprint 

Julia Ries, Abteilungsleiterin Kunst- und Valorenversicherung bei der Ergo Versicherung. Quelle: Ergo

Die Corona-Pandemie hat in den vergangenen Monaten auch deutliche Spuren im Kunstmarkt hinterlassen. Anlässlich des heutigen Weltkunsttages sprach VWheute exklusiv mit Julia Ries, Abteilungsleiterin Kunst- und Valorenversicherung bei der Ergo, über aktuelle Marktentwicklungen und ob Werke durch künstliche Intelligenz überhaupt versicherbar sind.

VWheute: Wie hat sich der Kunstmarkt im Jahr 2020 unter dem Eindruck der Corona-Krise entwickelt?

Julia Ries: Der aktuelle Art Market Report 2021 geht davon aus, dass der Kunstmarkt letztes Jahr infolge der Corona-Krise weltweit um 22 Prozent zurückgegangen ist.

Allerdings hat die Corona-Krise teilweise auch Entwicklungen beschleunigt – so zum Beispiel die Digitalisierung. Durch die infolge von Corona quasi erzwungene Veränderung von Konsumgewohnheiten haben Online-Formate im Kunsthandel große Popularität erlangt. Dies hat im vergangenen Jahr dazu geführt, dass der Anteil der Online-Verkäufe von neun auf 25 Prozent gestiegen ist.

Es zeigt sich: Kunst hat Konjunktur. Auch in schwierigen Zeiten, wie in der aktuellen Corona-Pandemie, werden Kunst- und Sammlungsobjekte erworben – sei es aus Tradition, Leidenschaft oder als Investment.

VWheute: Zahlreiche Galerien und Kunstmuseen mussten in den vergangenen Monaten mehrfach wegen des staatlich verordneten Lockdowns schließen. Welche Folgen hatte dies für den Kunstmarkt?

Julia Ries: Der Corona-bedingte Umsatzeinbruch im Kunsthandel ist für viele Galerien einschneidend bis existenzbedrohend. Hierfür verantwortlich sind sowohl die Galerieschließungen im Lockdown, als auch die Absage fast aller Kunstmessen durch die Galerien etwa 30 Prozent ihrer Jahresumsätze generieren.

Insgesamt hat Corona den Trend zur Digitalisierung im Kunstmarkt beschleunigt. Der Digitalisierungsschub ist dabei als Versuch zu sehen, neue Absatzkanäle zu finden und neue Kundengruppen anzusprechen.

So haben einige Galerien innovative Konzepte entwickelt, wie sie Kunstsammler trotz teilweise geschlossener Galerien weiter ansprechen können.

Auktionshäuser haben auf rein virtuelle Auktionen umgestellt mit teilweise hervorragenden Auktionsergebnissen.

VWheute: Welche Auswirkungen ergeben sich für den Kunstversicherungsmarkt?

Julia Ries: Aufgrund der Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie waren im Kunstmarkt insbesondere der Kunsthandel sowie Museen von behördlich angeordneten Schließungen betroffen. Aufgrund des globalen Charakters der Pandemie traf der Lockdown die gesamte Wertschöpfungskette des Kunstmarkts. Die weltweite Absage oder Verschiebung von Kunstmessen und Ausstellungen, verknüpft mit ausbleibenden oder verzögerten Kunsttransporten und Leihverkehr von Kunstobjekten, wirkte sich unmittelbar auf die Beitragseinnahmen der Versicherungswirtschaft aus. Denn ohne Risiken keine Risikobeiträge für Versicherungsschutz.

Die Versicherungswirtschaft verzeichnete daher im vergangenen Jahr aufgrund des Stillstands von Kulturbetrieben sowie des unterbrochenen Kunsthandels insgesamt rückläufige Beitragseinnahmen. Allerdings hat sich im Gegensatz dazu das Segment der privaten Kunstsammler, der Kunstsammlungen im Firmenbesitz (sogenannte Corporate Collections) oder von Stiftungen den Effekten der Corona-Krise weitgehend entzogen.

VWheute: Wie reagiert die Versicherungswirtschaft darauf?

Julia Ries: Versicherungsgesellschaften haben keinen Einfluss auf die Situation der Kunden, können aber Versicherungsnehmern im Einzelfall entgegenkommen, z.B. bei den Zahlungsmodalitäten für Prämien, oder bei der Bewertung neu erworbener Kunstobjekte behilflich sein.

„Wenn man Künstliche Intelligenz als einen eigenständigen Produzenten betrachtet, dann sind die Werke, die geschaffen werden, zunächst einmal reine ‚Abbilder‘. Diese beruhen auf Fotos oder Bildern, die durch Algorithmen nach Ähnlichkeiten und Regelmäßigkeiten gefiltert wurden.“

Julia Ries, Abteilungsleiterin Kunst- und Valorenversicherung bei der Ergo

VWheute: Künstliche Intelligenz (KI) hält auch im Kunstmarkt Einzug. So wurde jüngst mittels dieser Technologie Schuberts unvollendete Sinfonie „vollendet“. Kann man hier überhaupt von einem „Kunstwerk“ sprechen und wie bewerten Sie die Auswirkungen von KI auf den Kunstmarkt?

Julia Ries: Wenn man Künstliche Intelligenz als einen eigenständigen Produzenten betrachtet, dann sind die Werke, die geschaffen werden, zunächst einmal reine „Abbilder“. Diese beruhen auf Fotos oder Bildern, die durch Algorithmen nach Ähnlichkeiten und Regelmäßigkeiten gefiltert wurden. Nur weil das Endergebnis dem Werk eines berühmten Künstlers, wie z.B. dem Maler Turner ähnelt, ist das Bild aber noch kein Turner. Es handelt sich bei dem Akt der Künstliche Intelligenz um keine genuine Kreativität, bei der Einflüsse, wie etwa der kunsthistorische Diskurs oder das Leben des Künstlers frei verarbeitet und als Inspirationsquelle in den Werkprozess einfließen.

Zudem wird Künstliche Intelligenz nicht von alleine aktiv, sondern muss von einem Menschen bedient werden. Der Erschaffer bleibt somit der Mensch bzw. der Künstler dahinter, der die Maschine mit Informationen und Bildern speist.

Was viel interessanter ist, ist die Frage, warum Künstler Künstliche Intelligenz in ihrer Kunst einsetzen und was sie damit bewirken. Die künstlerische Idee steht noch vor dem eigentlichen schaffenden Prozess und wird mit Hilfe eines Mediums umgesetzt. Künstliche Intelligenzist daher eher auch ein Medium für den Künstler, um Kunst zu erschaffen. Das Medium hat aber immer auch eine direkte Auswirkung auf die Darstellung. Neue Medien setzen auch neue Kräfte frei und zeigen uns unsere bedingte und gefilterte Wahrnehmung der Realität.

Wenn man die Theorie der künstlerischen Idee und des Mediums verbindet, dann sind das Spannende die Fragen über den Umgang mit Maschinen, die durch den Einsatz von KI in der künstlerischen Praxis aufgeworfen und sichtbar werden. Hieraus lassen sich auch jenseits der Kunst Rückschlüsse auf unseren Alltag oder die Arbeitswelt ziehen und wie KI unsere Wirklichkeit und Wahrnehmung mitgestaltet.

VWheute: Im Oktober 2018 wurde ein KI-Kunstwerk bei Christie’s für einen Rekordwert versteigert. Inwieweit lassen sich solche KI-Kunstwerke heute versichern?

Julia Ries: In der Tat, im Jahr 2018 wurde ein von einem Algorithmus angefertigtes Kunstwerk für gut 432.000 Dollar versteigert. Es war die erste Arbeit einer künstlichen Intelligenz (KI), die bei einem großen Auktionshaus versteigert wurde. Der Druck „Edmond de Belamy“ zeigt ein Motiv nach Art der Arbeiten von Rembrandt oder Vermeer. Der Algorithmus wurde durch das Künstlerkollektiv Obvious programmiert.

„Edmond de Belamy“ mag zwar keine Kunst sein, aber auch ein durch Künstliche Intelligenz geschaffenes Werk ist versicherbar. Lediglich der Schaffensprozess selbst bzw. der Algorithmus ist nicht versicherbar – zumindest nicht im Rahmen einer Kunstversicherung. Der klassische künstlerische Akt ist ja auch nicht Gegenstand einer Kunstversicherung.

VWheute: Welche neuen Technologie-Trends zeichnen sich im Kunstmarkt aktuell ab?

Julia Ries: Während Corona sind neben Online-Formaten im Kunsthandel sowie im Museumsbereich auch neue digitale Kunstformen entstanden. So ist es mittels sogenannter Non Fungible Token (NFT) gelungen, digitale Kunstwerke mit einer einmaligen kryptographischen Signatur zu versehen und auf diese Weise über eine Blockchain Technologie einzigartig. Denn die NFT-Zertifizierung macht aus einer beliebig reproduzierbaren Datei ein Original und damit ein potenziell wertvolles Sammlerstück. Bekanntestes Beispiel ist die bei Christie’s für 69.346.250 Dollar versteigerte digitale Collage „Everydays: The first 5000 days“. Kein Ergebnis Künstlicher Intelligenz, sondern das Werk des Künstlers Beeple.

Der Gebrauch von Blockchains lässt sich schon seit ein paar Jahren in der Kunstwelt beobachten, zum Beispiel auch bei 4ART Technologies AG. Die Blockchain Technologie wird u.a. genutzt, um ein reales Werk mit einem einzigartigen digitalen Fingerabdruck zu erfassen und die Provenienz sowie die Authentizität digital unveränderbar zu dokumentieren.

Hintergrund: Was ist der Weltkunsttag?

Der Weltkunsttag wurde 2019 auf der 40. Tagung der Generalkonferenz der UNESCO im Jahr 2019 ins Leben gerufen. An diesem Tag sollen die Verbindung zwischen künstlerischem Schaffen und Gesellschaft sowie das Bewusstsein für die Vielfalt künstlerischer Ausdrucksformen gestärkt werden. Zudem soll der Beitrag von Künstlern zur nachhaltigen Entwicklung hervorgehoben werden.

Der Aktionstag findet alljährlich am 15. April statt – dem Geburtstag des italienischen Universalgelehrten Leonardo da Vinci. Begleitet wird dieser von verschiedenen Aktivitäten wie Debatten, Konferenzen, Workshops, kulturellen Veranstaltungen und Präsentationen oder Ausstellungen.

VWheute: Werfen wir einen kurzen Blick in die Zukunft in Nachpandemie-Zeiten: Mit welchen mittel- bis langfristigen Folgen rechnen Sie durch die Corona-Krise auf den Kunstversicherungsmarkt?

Julia Ries: Die Digitalisierung im Kunstmarkt wird weiter fortschreiten mit der Etablierung des Online-Handels vor allem im Auktionsbereich sowie das Online-Viewing bei Ausstellungen und Messen in Form virtueller Rundgänge.

Die Digitalisierung wird damit den Kunstmarkt, wie wir ihn heute kennen, verändern und um neue Möglichkeiten ergänzen. Allerdings wird die Digitalisierung den unmittelbaren Kunstgenuss nicht ersetzen, denn die Rezeption vor dem Original wird sicherlich auch weiter noch eine große Rolle spielen. Hier können digitale Ausstellungsräume nur eine Ergänzung bei der Vermittlung darstellen.

Gleichzeitig ist zu erwarten, dass eine weitere Monopolisierung und Markenbildung im hochpreisigen Segment global gehandelter Kunst stattfindet. Allerdings ist auch ein Trend der Regionalisierung im Mittelpreissegment zu beobachten.

Je mehr Kunden ihre Konsumgewohnheiten auf Online-Käufe umstellen, desto mehr wird die Erwartung zunehmen, online erworbene Kunst auch online versichern zu können. Versicherer müssen ihre Geschäftsprozesse zunehmend entlang der Customer Journey ausbauen.

Ähnlich wie hochpreise Werke weiterhin bei Galerien vor Ort und auf Messen gekauft werden, wird eine individuelle Beratung und Underwriting dieser Kunden weiterhin vonnöten und gewünscht sein. Die Begegnung und der Besuch des Kunden wird zum besonderen Verkaufsmoment der Versicherung.

Die Fragen stellte VWheute-Redakteur Tobias Daniel.

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