Gesundheits-Apps: Private Krankenversicherer haben Nachholbedarf
Der Markt für Gesundheits-Apps wächst ungebremst. Das Angebot umfasst rund eine Million Applikationen mit gesundheitlichem Bezug, wie Fitness, Gesundheit, Lifestyle- oder Medizin. Doch ist die Technik wirklich so weit, wie sie verspricht?
App ist nicht gleich App, wie Tanja Wolf, Referentin Gesundheitsmarkt der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen, betont. Apps privater Anbieter unterliegen momentan noch keiner Regulierung und jeder Verbraucher müsse sich im Klaren darüber sein, dass seine Daten hier nicht unbedingt sicher sind. Das hat auch der BfDI ermittelt.
Grundsätzlich spreche zwar nichts gegen die datenschutzgerechte, transparente und anwenderfreundliche Nutzung von Wearables und Gesundheits-Apps. „Leider hat sich aber gezeigt, dass in der Praxis viele wichtige Aspekte noch nicht datenschutzkonform geklärt wurden“, wird bemängelt.
Werden Gesundheits-Apps bei Anamnese und Therapie eingesetzt, ist entscheidend, ob sie als Medizinprodukte gelten und die nationalen sowie europäischen rechtlichen Vorgaben für Medizinprodukte erfüllen. Zudem muss die ärztliche Schweigepflicht gewahrt werden. Und: Sozialversicherungsträger dürfen die Gesundheitsdaten der Apps nur entsprechend den Vorgaben des Sozialgesetzbuches verarbeiten, eine Einwilligung Betroffener reicht nicht aus.
Prüflisten ab Herbst
Den momentanen Wildwuchs an Apps in geordnete Bahnen zu lenken, werde aber dauern, sagt Wolf. Erst ab Herbst 2020 sei aufgrund der Prüffristen überhaupt mit ersten Genehmigungen zu rechnen. Die „Apps auf Rezept“ könnten auch den PKV-Markt erheblich verändern, mutmaßt Derek Proff, bei IBM Deutschland Experte für die Themen digitale Gesundheitsprogramme, elektronische Patienten- bzw. Gesundheitsakte.
„Die PKV-Unternehmen werden hier unter Druck kommen, da ihre Versicherten voraussichtlich mindestens gleichwertige digitale Versorgung verlangen werden wie gesetzlich Versicherte.“ Die steigende Akzeptanz der Verbraucher sei empirisch belegt. Die breite Einführung der elektronischen Patientenakte etwa werde ein wichtiger Meilenstein im Kontext der Telematikinfrastruktur (TI) sein. „Dass jeder seine eigene digitale Patientenakte führt, wird ab 2021 sukzessive so normal werden wie bereits heute ein Online-Bankkonto“, sagt er voraus. „PKV-Unternehmen müssen hier aufholen.“ Es sei für sie dringend nötig, ihre jeweilige digitale Roadmap zu überarbeiten, rät Proff.
PKV unter Zugzwang
Derzeit bieten viele private Krankenversicherer Gesundheits-Apps ausschließlich für die elektronische Einreichung und Bearbeitung von Belegen sowie für die Kommunikation zwischen Kunde und Versicherer an. Der Name „Gesundheits-App“ trifft hier den Kern der Dienstleistung nicht richtig. Andere Versicherer haben dagegen zum Teil eine Reihe von echten Gesundheits-Apps im Angebot, nicht selten in Verbindung mit Offline-Angeboten. Die Allianz etwa hält den Service „Doc-on-Call“ für ihre Krankenversicherten bereit. Hier können bei unklaren Beschwerden Mediziner telefonisch kontaktiert werden.
Mit der Vivy-App können Versicherte ihre elektronische Gesundheitsakte erstellen sowie Fitnessdaten verwalten. Vivy ist ein systemübergreifendes Ökosystem: Erstmals haben sich hier gesetzliche und private Krankenversicherer zu so einer gemeinsamen Lösung zusammengetan. Daneben gibt es Apps, die auf spezielle Krankheiten zugeschnitten sind und bei der Behandlung helfen, wie Tinnitracks für Patienten mit Tinnitus sowie MySugr für Diabetiker. Alle Angebote sind für Vollversicherte kostenfrei, teilweise auch für Zusatzversicherte.
Ebenfalls den Zugang zu einer elektronischen Gesundheitsakte stellt die Ergo seit Ende vergangenen Jahres mit „Meine DKV-App“ zur Verfügung. Bereits Ende 2017 ging die „DKV Gesundheitsberatung App“ an den Start, die telemedizinische Funktionen beinhaltet. Per Telefon, Mail, Chat und Video-Telefonie beraten Ärzte und informieren zu gesundheitsrelevanten Themen, wie Reisemedizin, Ernährung, Impfen und zur medizinischen Zweitmeinung.
Gut für ältere Menschen
Bereits seit 2016 bietet die Generali ihr Vitality-Programm an. Die Kunden können mit einer App das eigene Gesundheits- und Fitnessniveau ermitteln, indem sie ihre Fitnesstracker verbinden und Punkte durch Sport oder Bewegung sammeln. Die gesammelten Punkte wiederum können gegen Belohnungen eingetauscht werden, wie Vergünstigungen bei Amazon.de, Adidas, Garmin oder Expedia. Neu seit Februar 2020 und schon sehr beliebt sei der Apple Watch Benefit, bei dem Kunden, die sich viel bewegen, den Kaufpreis einer Apple Watch vollständig rückerstattet bekommen können. Andere Mitglieder sammeln Punkte durch Vorsorgeuntersuchungen beim Hausarzt und die Nutzung der integrierten Tests zu Ernährung und Gesundheit.
Die App sei einfach zu bedienen und eigne sich daher nicht nur für Bewegungsaktive, sondern auch für ältere Menschen und solche, die körperlich eingeschränkt sind. Zusätzlich zum Versicherungsbeitrag sind für die App fünf Euro pro Monat zu bezahlen. Kunden von Berufsunfähigkeits- oder Risikolebensversicherungen erhalten allerdings bei der Versicherungsprämie Rabatte von bis zu 16 Prozent. Die Kundendaten, so versichert der Sprecher, werden bei der rechtlich getrennten Generali Vitality GmbH gespeichert, ohne dass die Versicherungsgesellschaften Zugriff darauf haben. Sie würden lediglich den Status aus den gesammelten Punkten des Kunden erhalten.
Alternative zum Arztbesuch
Seit diesem Jahr können vollversicherte Kunden der R+V die App TeleClinic nutzen. In Zeiten von Corona ein gern genutztes Angebot als Alternative zum Arztbesuch vor Ort, verdeutlicht ein Sprecher. Seit 2017 können zudem auch Nicht-Kunden per App nach dem passenden Arzt suchen, seit 2018 können Eltern von versicherten Kindern mit einer funktionalen Sehschwäche die Caterna-App kostenlos nutzen. Viele gesetzliche und einige private Krankenkassen kommen ebenfalls dafür auf. Daneben übernimmt die R+V die Kosten für eine große Anzahl von Gesundheits-Apps zur Prävention, Beratung und für Kurse. Die Versicherungskammer hat seit 2016 insgesamt sechs Gesundheits-Apps eingeführt, alle in Kooperation mit entsprechenden Partnern.
Für die Apps werden entweder keine Kosten erhoben oder diese werden bis zu 100 Prozent erstattet. Nutzer der App „Meine Gesundheit“ können im Kalenderjahr bis zu 125 Euro durch Punkte sammeln, die als Wertgutscheine bei ausgewählten Partnern aus den Bereichen Sport, Ernährung und Entspannung genutzt werden können. Verlässliche Zahlen zur Nutzung der Apps generell könne man nicht nennen, betont ein Sprecher. Nur, dass rund 20 Prozent der berechtigten Kunden – die der Beihilfe-Comfort-Tarife – die App „Meine Fitness“ nutzen und auch rege Fitnesspunkte einlösen, wisse man sicher.
Autorin: Elke Pohl
Mehr zum Thema lesen Sie in der aktuellen Juli-Ausgabe des Magazins Versicherungswirtschaft.