BSV: „Eine Klagewelle bleibt zu befürchten“

Philipp Glock, Partner, Standortleiter Leipzig und Co-Head Legal Process & Technology bei KPMG, Quelle: KPMG

Mit ihrer Initiative für Hotel- und Gaststättenbetreiber im Hinblick auf die Betriebsschließungsversicherung wollte die bayerische Staatsregierung Corona-geschädigten Betrieben schnell Liquidität zukommen lassen. Doch die Annahme der Angebote erfolgt offensichtlich eher zögerlich, berichtet KPMG-Experte Philipp Glock im Interview. Mittlerweile seien Unmutsäußerungen von Versicherungsnehmern in den sozialen Netzwerken zu finden, die die Prognose zulassen, dass Versicherungsnehmer Klagen hinsichtlich der Versicherungsleistungen anstreben könnten.

VWheute: Die Debatte um die BSV nimmt Fahrt auf. Wie beurteilen Sie die Lage? Deckt eine Betriebsschließungsversicherung coronabedingte Schäden ab?

Philipp Glock: Das ist unklar. Die Policen sind wirtschaftlich für Einzelfälle kalkuliert, nicht für eine Pandemie. Die Versicherungsbedingungen der auf dem Markt üblichen Versicherungsverträge sind auch unterschiedlich ausgestaltet. Zur Bestimmung der relevanten Infektionskrankheiten beziehen sich Bedingungswerke teilweise nicht auf das Infektionsschutzgesetz (IfSG) in seiner aktuellen Fassung, sondern auf Altfassungen. COVID-19 bzw. Corona ist aber erst zum 1. Februar 2020 in den Katalog der nach dem IfSG meldepflichtigen Krankheiten aufgenommen worden.

Spezialisierte Verbraucherschutzanwälte stellen sich auf den Standpunkt, dass Verluste durch Corona unter den Versicherungsschutz fallen würden. Die Versicherer weisen dies zumindest zum Teil zurück und machen insbesondere darauf aufmerksam, dass wenn ein Betrieb allgemein wegen Corona geschlossen wurde, in der Regel der Versicherungsfall nicht ausgelöst ist. Ein Versicherungsfall liege grundsätzlich nur vor, wenn die Behörde per Verwaltungsakt den einzelnen Betrieb schließt, um das Ausbreiten einer Krankheit oder von Krankheitserregern im betroffenen Betrieb zu stoppen, wie etwa bei Coli-Bakterien im Restaurant.

VWheute: Die Initiative der bayerischen Staatsregierung indes wird kritisch bewertet …

Philipp Glock: Die bayerische Staatsregierung möchte betroffenen Betrieben schnell Liquidität zukommen lassen und hat eine Initiative für Hotel- und Gaststättenbetreiber im Hinblick auf die Betriebsschließungsversicherung veranlasst. An der Initiative teilnehmende Versicherer bieten ihren Kunden, die eine Betriebsschließungsversicherung haben, gut 15 Prozent der vertraglich vereinbarten Tagesentschädigung an. Sie argumentiert, dass die Versicherer damit 50 Prozent des tatsächlichen wirtschaftlichen Schadens tragen würden, weil staatliche Ersatzleistungen und Einsparungen des Versicherungsnehmers einberechnet werden müssten. Andere Versicherer außerhalb der Initiative bieten ähnliche Vergleiche.

VWheute: Worauf müssen sich Versicherer einstellen?

Philipp Glock: Das ist schwer zu sagen. Die Annahme der Angebote erfolgt offensichtlich eher zögerlich. Auch sind mittlerweile Unmutsäußerungen von Versicherungsnehmern in den sozialen Netzwerken zu finden, die die Prognose zu lassen, dass Versicherungsnehmer Klagen hinsichtlich der Versicherungsleistungen anstreben könnten. Wir beobachten auch, dass Verbraucheranwälte Angriffsformation aufnehmen und in emotionalisierter Form im Internet werben. Ende letzten Monats ist ein landgerichtliches Urteil bekannt geworden, mit dem Eilrechtsschutz auf Versicherungsleistung zwar zunächst aus prozessualen Gründen abgelehnt wurde.

Das Urteil zeigt, dass bereits Klagen anhängig sind und im Eilrechtschutz auch schon Entscheidungen getroffen werden. Eine Klagewelle bleibt zu befürchten. Von einer solchen gehen auch die Rechtsschutzversicherer aus. Die Rede war zuletzt von einem „Neuschaden-Tsunami“, der zu erwarten sei. Bedingungsgemäß und auch gerade um selbst reputative Wagnisse zu vermeiden, dürften die Rechtschutzversicherer ihre Versicherten bei der Geltendmachung der Ansprüche aus der Betriebsschließungsversicherung unterstützen, was wiederum die erwartete Klagewelle unterstützt.

Die Verbraucheranwälte haben sich in den letzten Jahren zu einer treibenden Kraft im Markt entwickelt, die man ernst nehmen sollte. Sie sind medial und untereinander gut vernetzt. Ungünstiger Vortrag, der in einem Verfahren hilft, kann schnell als Bumerang im zweiten landen – oder in der Presse. Ebenso schnell verbreiten sich ungünstige Gerichtsentscheidungen. Es hat insoweit eine enorme Professionalisierung stattgefunden; dies nicht zuletzt durch die Dieselthematik.

VWheute: Worauf kommt es für Versicherer bei der Anwaltswahl an?

Philipp Glock: Für Versicherer ist eine weitestgehende Abwehr und Lösung wünschenswert, welche sowohl die eigene Position als auch Reputationsgesichtspunkte nicht außer Betracht lässt. Bei einer Vielzahl gleichgelagerter Fälle bedarf es gegenüber den teilweise gut vernetzten Klägervertretern eines stringenten außergerichtlichen und gerichtlichen Auftretens. Nur wenige Kanzleien verfügen über die notwendige Kombination aus versicherungsrechtlicher Expertise und Know-how beim Handling von Masseverfahren. Versicherer sind gut beraten, auch das Projektmanagement und passende Softwarelösungen bei der Kanzleiauswahl nicht zu vernachlässigen.

Autor: VW-Redaktion