Start-up-Gründer Wiens: Pandemie wird Unternehmen aussortieren, die kein nachhaltiges Geschäftsmodell haben
Die Corona-Krise trifft die globale Wirtschaft mit voller Wucht. Sie macht auch vor Startups nicht halt. Digitale Versicherer, die sich mit ihren Dienstleistungen direkt an Kunden wenden, könnten von der Krise allerdings profitieren. Die Auswirkungen der Coronavirus-Pandemie werden in der Weltwirtschaft deutlich zu spüren sein.
Kein Startup hat so etwas je erlebt – die Krise wird also als Stresstest für sie sein. So ergab eine Umfrage des Start-up-Beirats beim niedersächsischen Wirtschaftsministerium, dass zwei Drittel der jungen Unternehmen um ihre Existenz bangen.
Besonders betroffen sind dabei Startups im Touristik- oder Mobilitätsbereich, darunter auch etablierte Jungunternehmen wie Flixbus, AirBnB oder GetYourGuide. Weil viele Menschen jedoch verunsichert sind, schieben sie Kaufentscheidungen auf oder verzichten ganz. Dadurch weiten sich die Probleme nun auch auf andere Startups aus. Als erstes Startup musste vor wenigen Tagen der Berliner Kindermode-Versender Tausendkind Insolvenz anmelden – obwohl der Umsatz eigentlich wuchs.
Die besondere Schwierigkeit für Startups: Ihnen sind traditionelle Finanzierungswege verschlossen, weil die Geschäftsmodelle als risikoreich gelten. Fast jedes Startup schreibt in den ersten Jahren rote Zahlen. Die Anschubfinanzierung kommt daher von Wagniskapitalgebern, die jedoch derzeit vor Investitionen zurückschrecken. Viele Startups werden dadurch in eine Schieflage geraten. Die Bundesregierung hat bereits zugesichert, dass auch Startups Mittel aus dem sogenannten Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF) beantragen können.
Das ist ein positives Zeichen, geht jedoch nicht weit genug. Denn nur die wenigsten Startups könnten die Voraussetzung für den Corona-Schutzschirm erfüllen: Sie müssten – so ist der Presse derzeit zu entnehmen – in mindestens einer abgeschlossenen Finanzierungsrunde von privaten Kapitalgebern seit 2017 einen Firmenwert von 50 Millionen Euro vorweisen können.
Der Startup-Verband hat deshalb einen Vier-Stufen-Plan ausgearbeitet und dem Bundeswirtschaftsministerium und der Kreditanstalt für Wiederaufbau vorgelegt. Der Clou: Der Plan sieht vor, die finanziellen Hilfen nicht den Startups selbst, sondern den Investoren zu geben. Auf diese Weise wird sichergestellt, dass nicht Start-ups gerettet werden, die bereits vor der Krise kein aussichtsreiches Geschäftsmodell hatten. Um das große Sterben der Startups zu vermeiden, hoffe ich sehr, dass die Regierung den Vorschlag des Startup-Verbands umsetzt. Dennoch wird die Pandemie jene Unternehmen aussortieren, die kein nachhaltiges Geschäftsmodell haben. Was heißt das nun für Insurtechs?
Die Coronavirus-Pandemie beschleunigt derzeit den digitalen Wandel quer durch alle Bereiche der Gesellschaft. Insurtechs könnten davon profitieren. Mit ihrer modernen technischen Infrastruktur und ihren digitalen Lösungen sind sie gegenüber traditionellen Versicherungsunternehmen im Vorteil: Sie sind nicht auf physische Vertriebsstrukturen oder papierbasierte Prozesse angewiesen und könnten ihren technologischen Fortschritt gegenüber traditionellen Konkurrenten weiter ausbauen.
Versicherer, Vermittler und Makler, die sich nicht an digitale Strukturen angepasst haben, werden dagegen Schwierigkeiten haben: Ihr Vertrieb stürzt ein, und ist nur beschränkt handlungsfähig; es fehlt die Technologie, aber insbesondere auch die Erfahrung, digital zu beraten und zu verkaufen.
Auch das Nachwuchsproblem im Vertrieb wird beschleunigt, da der selbständige Beruf des Versicherungsvermittlers noch unattraktiver wird. Zuletzt: Personen- und papierintensive Prozesse im Underwriting, Kundenservice und der Schadensbearbeitung stellen die Unternehmen in Zeiten des Homeworkings vor große Herausforderungen und wirken sich letztlich negativ auf die Kundenzufriedenheit aus.
Digitale Versicherer und Insurtechs sind hier im Vorteil. Bei getsafe etwa sind sämtliche Policierungs- und Schadensprozesse 100 Prozent digital. Menschen sind jetzt viel mehr am Handy und PC – und genau da sind wir auch. Unser Kundenservice arbeitet seit zwei Wochen von zu Hause, ohne dass Kunden irgendeine Veränderung bemerken. Zudem profitieren wir von unserem digitalen Vertrieb: Wir sind nicht auf Makler oder Vermittler angewiesen und bauen auf eine starke technologische Infrastruktur, die es uns ermöglicht, unser Tagesgeschäft fortzusetzen. Sämtliche Abstimmungen oder Bewerbungsgespräche führen wir digital.
Letzte Woche haben wir gleich mehreren Personen einen Vertrag angeboten und wie geplant unsere neue Hundehalterhaftpflicht auf den Markt gebracht. Das klingt sehr einfach, aber für traditionelle Versicherer ist das sehr viel schwieriger. Insofern glaube ich, dass die Pandemie als Brandbeschleuniger gesehen werden kann, der die digitale Transformation in der Versicherungsbranche vorantreibt.
Die traditionellen großen Unternehmen werden nicht über Nacht in Konkurs gehen; und es wird dauern, bis Insurtechs signifikante Marktanteile vorweisen werden. Doch vor allem die kleinen und mittleren Unternehmen
wird die Krise weiter zurückwerfen als bisher.
Das Versicherungsgeschäft ist ein langfristiges Geschäftsmodell. Wer hier bestehen will, braucht einen langen Atem. Der durchschnittliche Kunde einer Versicherung ist zwischen 40 und 50 Jahre alt und wird seine Beiträge noch 30 oder 40 Jahre zahlen. Für Versicherungsunternehmen gab es in der Finanzkrise 2008/09 keinen dringenden Bedarf, sich zu verändern – anders als bei den Banken. Auch die Coronakrise trifft die Versicherungswelt weniger stark als viele andere Branchen – das Bestandskundengeschäft läuft vielfach weiter wie bisher.
Doch die Coronakrise beeinflusst das Neukundengeschäft. Die Kunden überlegen sich dreimal, ob sie einen persönlichen Termin beim Makler wahrnehmen oder nicht. Sie wechseln zu digitalen Versicherern und lernen die Vorzüge kennen. Nach der Krise werden viele von ihnen nicht zurückwechseln. Das ist die größte Gefahr für Versicherer – und die größte Chance für Insurtechs.
Autor: Christian Wiens, Gründer und CEO von Getsafe