R+V-Vorstand Hasselbächer: „Versicherungsgeschäft liegt vielen Bankern nicht im Blut“

Jens Hasselbächer, Vertriebsvorstand der R+V Versicherung. Quelle: R+V

Der Verkauf von Versicherungspolicen im Bankenvertrieb fristet in Deutschland noch ein Nischendasein. Ein Grund: Das Versicherungsgeschäft lieg vielen Bankern „nicht im Blut“, konstatiert R+V-Vertriebsvorstand Jens Hasselbächer. Wie das Geschäft mit Bancassurance weiter vorangetrieben werden kann, erläutert der Manager des Genossesnschaftsversicherers im Exklusivinterview mit VWheute.

VWheute: In Deutschland wurden 2017 rund 20 Prozent aller Lebens- und fünf Prozent aller Sach- und Krankenversicherungen via Banken verkauft, wobei dieser Anteil in den vergangenen Jahren stagniert ist. Worin sehen Sie die Gründe für die Entwicklung und wo sollte die Versicherungsbranche ansetzen, um dem Bankenvertrieb von Versicherungen wieder neuen Schwung zu verleihen?

Jens Hasselbächer: Grundsätzlich stehen alle Banken heute vor diversen Herausforderungen in ihrem Kerngeschäft, Stichworte Niedrigzins-Umfeld, veränderte Kundenbedürfnisse und Digitalisierung. Das bedeutet, die Banken müssen ihr Geschäftsmodell transformieren, um wettbewerbsfähig und ertragreich zu bleiben. Zu einer wichtigen Ertragsquelle werden auch die Provisionseinnahmen aus dem Versicherungsgeschäft.

Allerdings liegt das Versicherungsgeschäft vielen Bankern „nicht im Blut“. Die Geschäftsfelder sind schon sehr unterschiedlich. Wie gelingt es Versicherern, sich noch intensiver im Bankenvertrieb zu integrieren? Indem wir die „Brille des Bankers“ aufsetzen, auf seine Anforderungen eingehen und Produkte und Abläufe so gestalten, dass sie für ihn schnell begreifbar und unkompliziert, am besten selbsterklärend zu handhaben sind und keine große Einarbeitung erfordern.  

VWheute: Der Verkauf von Versicherungspolicen über Banken ist derzeit vor allem für die Lebensversicherung von Bedeutung. Warum tun sich die Versicherer gerade mit dem Vertrieb von Sach- und Krankenversicherungen so schwer?

Jens Hasselbächer: Weil die Lebensversicherung als Anlage- und Sparprodukt viel näher am Kernbankengeschäft liegt als Sach- und Krankenversicherungen. Da fühlt er sich deutlich mehr zu Hause als in Komposit- oder Krankensparten. Um auch diese Sparten im Bankenvertrieb zu stärken, müssen wir ihre Bedeutung als Schutzschild des Banken-Kerngeschäfts begreifbar machen.

Ein Beispiel: Wird ein Kunde zum Pflegefall, muss er oftmals auf sein bei der Bank angelegtes Vermögen zurückgreifen, um alle Pflegekosten zu begleichen. Mit einer Pflegeversicherung schont er dieses Vermögen. Ähnlich schützen auch Unfall- oder Berufsunfähigkeitsversicherungen das Vermögen der Kunden und damit das Geschäftsmodell einer Bank.

Grundsätzlich müssen wir unser Angebote für die Banken so gestalten, dass sie sie möglichst einfach nutzen können.

VWheute: Auf der Bilanzpressekonferenz im Mai haben Sie unter anderem von einer „genossenschaftlichen Digital Bancassurance“ gesprochen. Was verstehen Sie unter diesem Begriff und welche konkreten Vorhaben der R+V sind damit gemeint?

Jens Hasselbächer: R+V wird gemeinsam mit ihren Bankpartnern dort sein, wo der Kunde ist: vor Ort in der Filiale und online. Für Versicherer im Bankenvertrieb ist der nächste Schritt klar: Ausbau der eigenen Plattformen und des Omnikanalmanagements sowie nahtlose Integration in das Onlinebanking, um unsere Vertriebsarbeit zu verbessern und neue Vertriebschancen zu schaffen. Wir wollen unsere Kunden zu jeder Zeit und über jeden Zugangsweg bedienen, ohne Medienbrüche.  

Deshalb entwickeln wir derzeit in der genossenschaftlichen FinanzGruppe eine Omnikanal-Vertriebsplattform, über die VR-Bank-Kunden das komplette genossenschaftliche Finanzdienstleistungsangebot verwalten, sich beraten lassen oder Produkte abschließen können. Alle großen Beratungsthemen für Privat- und Firmenkunden werden zukünftrig auf der Vertriebsplattform abgebildet – von Zahlungsverkehr und Finanzierung über Vorsorge, Vermögen und Immobilie bis Absicherung.

Die Vertriebsplattform soll allen Bankkunden und -beratern ein optimal vernetztes Angebot an Produkten und Dienstleistungen bieten. Der Kunde kann seinen Zugangsweg wählen (digital, digital-persönlich, persönlich) und jederzeit wechseln, beispielsweise von der Online-Recherche zum persönlichen Beratungsgespräch. Mit dieser Plattform wird der Bankvertrieb technisch und inhaltlich völlig neu aufgestellt, er wird radikal vereinfacht und digitalisiert.

Auch unser digitaler VR-Versicherungsmanager, den wir in Kooperation mit Friendsurance entwickelt haben und mit dem wir vor einigen Monaten gestartet sind, zielt darauf ab, dass die Kunden der Genossenschaftsbanken alle ihre Versicherungsverträge – auch die von anderen Anbietern – bequem, einfach und jederzeit mobil in einer Anwendung sehen – ohne die Daten mühsam selbst einzutippen. Über den VR-Versicherungsmanager kann der Kunde zudem seine Versicherungssituation auch bewerten.

Der VR-Versicherungsmanager enthält ein integriertes Scoring der Versicherungstarife durch Franke und Bornberg. Auf Basis einer Zahlungsstromanalyse erhalten die Nutzer dann Hinweise, wie sie ihre Absicherung verbessern und an die aktuelle Lebenssituation anpassen können. Im Zielbild soll der VR-Versicherungsmanager die zentrale Kontaktfläche für den digital-persönlichen Vertrieb von Versicherungen in den VR-Banken werden.

Aktueller Stand: Seit April 2019 haben wir mit sechs Banken den VR-Versicherungsmanager als Anwendung mit ihren Funktionalitäten getestet und an einigen Stellen mit Blick auf die User Experience weiterentwickelt. Diese sogenannte Family & Friends-Phase ist erfolgreich abgeschlossen. Jetzt ist die Vermarktungsphase gestartet, in der über digitale und persönliche Kundenansprache die Kundengewinnung intensiviert werden soll.

Seit Oktober 2019 läuft das Onboarding neuer VR-Banken, die den VR-Versicherungsmanager einsetzen möchten. Unterstützt werden sie dabei von regionalen Einführungsteams.

Darüber hinaus integrieren wir uns zunehmend stärker mit einzelnen Produkten in die Kernprozesse der Primärstufe. Es geht hier um Versicherungsprodukte, die der Banker selbst verkaufen kann. Die R+V-Wohntraumpolice (Absicherung der Immobilie und der Familie des Bauherrn) ist beispielsweise fest in das Beratungsfeld „Immobilie“ der Banken integriert und damit Bestandteil des Beratungsgesprächs zur Immobilienfinanzierung. Wir sitzen dadurch sozusagen direkt im Gespräch mit dabei.

Die InsureBOX-App ist ein weiterer digitaler Baustein, bei dem sich Bank und Versicherung eng verzahnen. Die App ist ein Zugangskanal für junge, digital-affine Kunden mit Girokonto bei einer Volks- und Raiffeisenbank. Ist die Bewilligung zur Zahlungsstromanalyse einmal erteilt, werden alle Einkäufe über 250 Euro mit der EC- oder Kreditkarte automatisch mit einem Fünf-Tage-Sofortschutz abgesichert. Nach Ablauf des Sofortschutzes erhält der Nutzer dann automatisch ein Angebot für eine langfristige Versicherung.

Das Mitgliedergeschäft der Banken stärkt seit Jahresbeginn die neue Mitglieder-Plus Versicherung (VR-Mitglieder-PrivatPolice aus Hausrat, Wohngebäude, Haftpflicht, Rechtschutz und Unfall): Kunden, die auch Mitglieder von Genossenschaftsbanken sind, erstattet die R+V bis zu zehn Prozent der eingezahlten Beiträge zurück, wenn der Schadenverlauf günstig ist. Die Mitglieder einer einzelnen Bank bilden dabei ein Kollektiv, die Mitglieder-Plus-Gemeinschaft. Mit knapp 200.000 verkauften Verträgen seit Jahresbeginn ist sie die erfolgreichste Produkteinführung von R+V. Die Banken haben dadurch viele neue Mitglieder gewonnen und steigern ihre Rendite.

Insgesamt müssen wir das vorhandene Kundenwissen, das bisher noch an verschiedenen Kontaktstellen existiert, konsequent erfassen und bündeln. Wir müssen den „Datenschatz“ der genossenschaftlichen FinanzGruppe gemeinsam heben und nutzen. Digitale Kundenkontakte aus dem Onlinebanking können für die persönliche Beratung genutzt werden. Algorithmen unterstützen den Versicherungsberater, validieren und aktualisieren Daten und verknüpfen diese nach Kundenbedarf mit einem ganzheitlichen Ökosystem „Finanzen“. Wer ein solches neues Digital-Bancassurance-Modell konsequent aufbaut und das bestehende, erfolgreiche Geschäftsmodell damit eng verzahnt, hebt deutlich mehr Potenzial.

VWheute: Werfen wir einen kurzen Blick in die nähere Zukunft: Welche Entwicklungschancen und Potenziale sehen Sie in Bancassurance für die Versicherer und speziell die R+V?

Jens Hasselbächer: Die R+V ist im Marktvergleich gut aufgestellt. Damit es so bleibt, sind zwei Worte wichtig: konsequente Kundenorientierung. Um das Ziel zu erreichen, gilt es, Prozesse zu optimieren, Potenziale auszubauen, modulare Produktwelten aufzustellen und intelligent zu digitalisieren.

Unsere zentrale Aufgabe, die uns auch in 2020 beschäftigen wird, ist es, unser erfolgreiches Geschäftsmodell zu transformieren. Nur mit einer konsequenten Kundenzentrierung können wir auch unseren zukünftigen Erfolg sichern. Die Digitalisierung bietet uns dazu viele Möglichkeiten – sowohl online als auch im persönlichen Kundenkontakt.

Die Fragen stellte VWheute-Redakteur Tobias Daniel.

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