GDV-Hauptgeschäftsführer Asmussen: „Es gibt keine Nischenprodukte – weder betriebswirtschaftlich noch in Fragen der Reputation“

GDV-Hauptgeschäftsführer Jörg Asmussen. Quelle: GDV

Im September 2021 wird ein neuer Bundestag gewählt. „Das Ergebnis ist offen wie lange nicht mehr, das sorgt natürlich für Spannung“, sagt Jörg Asmussen. Im VWheute-Sommerinterview spricht der GDV-Hauptgeschäftsführer über die Forderungen an die Politik, Reformen in der Altersvorsorge und die Debatte um die BSV.

VWheute: Herr Asmussen, Sie sind nun seit mehr als einem Jahr in Amt und Würden: Wie fällt Ihre persönliche Bilanz aus?

Jörg Asmussen: Ich bin weiterhin voller Tatendrang und mit Freude an der Aufgabe. Unter den Bedingungen der Pandemie war der Start natürlich ungewöhnlich: Die meisten Mitarbeiter*innen im Homeoffice; Dienstreisen waren kaum möglich, vor allem der persönliche Austausch in Brüssel bei den EU-Institutionen, aber auch hier im politischen Berlin, das fehlt.

Aber man muss das Beste aus dieser Situation machen. Weil der persönliche Kontakt in der Gremienarbeit des GDV kaum möglich ist, versuche ich  – unter strenger Einhaltung der jeweils aktuell geltenden Corona-Regeln – bei Besuchen vor Ort  Mitgliedsunternehmen kennenzulernen. Insgesamt habe ich in diesem Jahr einen Sektor kennengelernt, der ebenso leistungsstark wie vielfältig ist. Da kommen regional verankerte Unternehmen und Weltmarktführer, Hunderte Jahre alte Traditionsfirmen und InsurTechs zusammen; da sind die deutschen Töchter europäischer und internationaler Versicherer, Erst- und Rückversicherer, alle Rechtsformen in einem Verband. Diese Einheit und Vielfalt, die macht uns stark.

VWheute: Die Corona-Pandemie hat die Versicherer in den letzten Monaten geprägt. Wie ist die Branche Ihrer Ansicht nach durch die Krise gekommen? Welche Stärken und Schwächen hat die Versicherungswirtschaft in dieser Zeit aus Ihrer Sicht offenbart?

Jörg Asmussen: Wir hatten sicher ein anspruchsvolles Jahr, aber im Vergleich zu anderen Branchen sind wir insgesamt glimpflich durch die Krise gekommen. Das hängt damit zusammen, dass rund 90 Prozent der Versicherungsnachfrage auf private Haushalte entfällt. Hier haben die umfangreichen Hilfsmaßnahmen der Bundesregierung geholfen, vor allem die Ausweitung des Kurzarbeitergeldes. Denn diese Mittel haben die verfügbaren Einkommen der privaten Haushalte gestützt und verhindert, dass unsere Kund:innen ihre Verträge kündigen.

Hinzu kommt, dass die IT in den Unternehmen weitgehend unabhängig davon arbeitet, ob Mitarbeiter:innen vor Ort sind oder nicht. So konnten Brüche im Geschäftsbetrieb verhindert werden. Und zu guter Letzt hat sich die Flexibilität unserer Zahlungsmodelle in dieser Krisensituation als vorteilhaft erwiesen: In der Lebensversicherung haben wir ein Wachstum bei den Einmalbeiträgen, also bei den Produkten mit flexiblen Einzahlungen, während die laufenden Beiträge der Lebensversicherung stabil geblieben sind.

VWheute: Die Debatte um die Betriebsschließungsversicherung (BSV) hat der Branche bislang erhebliche Kritik eingebracht. Die Gerichte entscheiden über die Klagen recht unterschiedlich – der BGH dürfte wohl auch bald entscheiden. Können Sie die Kritik nachvollziehen? Und wie steht die Politik zu den Plänen einer staatlich-privaten Pandemieversicherung?

Jörg Asmussen: Ja, ich kann die Kritik verstehen. Natürlich hat sich das Verständnis von Hoteliers und Gastronomen in Grenzen gehalten, dass wir nur für Schäden zahlen, die auch versichert sind. Ich gebe zu: Diese Diskussion hat Spuren bei unserem Image hinterlassen. Aber wir haben auch daraus gelernt. Erste Erkenntnis: Es gibt keine Nischenprodukte – weder betriebswirtschaftlich noch in Fragen der Reputation. Zweite Erkenntnis: Die Vertragsbedingungen aller unserer Produkte müssen regelmäßig geprüft und aus Kund:innensicht klar, verständlich und transparent formuliert sein. Das haben wir mit der Anpassung unserer Musterbedingungen für die BSV schnell nachgeholt. 

Was die künftige Pandemieabsicherung angeht: Wir haben einen Vorschlag für eine öffentlich-private Absicherung für zukünftige Pandemien gemacht, da Pandemien allein privatwirtschaftlich nicht versicherbar sind. Wir arbeiten zurzeit unser Modell weiter aus und bringen uns weiter in den politischen Raum ein. Der Vorschlag wird sicherlich breiter diskutiert, wenn wir denn die akute Phase der Corona-Pandemie hinter uns haben.

VWheute: Bei früheren Umfragen waren die Grünen vor der Union und SPD. Was würde eine grüne Kanzlerin für die Versicherer bedeuten und was sind die Forderungen der Versicherer an eine neue Bundesregierung?

Jörg Asmussen: Das Ergebnis der Bundestagswahl ist offen wie lange nicht mehr, das sorgt natürlich für Spannung. Wir Versicherer sind mit allen demokratischen Parteien im Gespräch und debattieren über unsere politischen  Positionen, unter anderen in einem eigens dafür geschaffenen Format.

Worauf es uns ankommt in der nächsten Legislaturperiode, sind im wesentlichen folgende Inhalte:

Erstens ein neuer Umgang mit dem Risiko Klimawandel. Das Thema Nachhaltigkeit liegt mir persönlich sehr am Herzen, aus meiner Sicht ist es mit der Digitalisierung eines unserer strategischen Zukunftsthemen. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts hat uns gezeigt: Hier muss mehr und schneller gehandelt werden, und die Bundesregierung hat mit der Novelle des Klimaschutzgesetzes den Ball ja auch schon aufgenommen. Für uns ist das wichtig, denn unsere Schadenzahlungen wachsen mit den Folgen des Klimawandels.  Wir können und wollen unsere Mittel für grüne Anlagen zur Finanzierung der Transformation unserer Volkswirtschaft bereitstellen, auf dem Wege hin zu einer dekarbonisierten Wirtschaft. Wir sind bereit, die Schritte in Richtung auf ein nachhaltiges Finanzsystem mitzugehen, denn wir sind auf deutlich mehr grüne Kapitalanlagen angewiesen, um mehr grüne Finanzprodukte auf den Markt bringen zu können.

Zweiter Punkt: Die Folgen aus der Corona-Pandemie. Die Pandemie hat uns Schutzlücken offenbart, die weit über das Gesundheitssystem hinausgehen, etwa bei der Aufrechterhaltung der globalen Lieferketten oder bei Betriebsschließungen und -unterbrechungen, insbesondere in der mittelständischen Wirtschaft. Gleichzeitig haben die notwendigen staatlichen Hilfen zur Abmilderung der wirtschaftlichen Folgen Dimensionen erreicht, die nach anderen – wenn Sie wollen – nachhaltigeren Lösungen über die Ad-hoc-Hilfen hinaus rufen: Wir haben deshalb einen staatlich-privaten Pandemieschutz vorgeschlagen, denn wir Versicherer wollen mithelfen, bei künftigen Pandemien Unterstützung für Unternehmen vorausschauend, berechenbar und schneller zur Verfügung zu stellen. 

Ein drittes Thema möchte ich nennen: digitale Souveränität. Wir erleben gerade, wie das Spannungsfeld zwischen Chancen und Risiken in der Nutzung digitaler Möglichkeiten neu vermessen wird. Jede und jeder erfährt das durch die Veränderungen in unserer Lebens- und Arbeitswelt. Stichworte wie ‚Künstliche Intelligenz‘ und ‚Datenökonomie‘ sind nicht mehr allein ein IT-Thema.  Wir brauchen dafür ein innovationsfreundliches Datenschutzrecht: Hohe Datenschutzstandards und die Souveränität der Verbraucherinnen und Verbraucher über ihre Daten müssen mit praxistauglichen Möglichkeiten einhergehen, damit Daten vernetzt und für KI-Anwendungen herangezogen werden können. Daten der öffentlichen Hand etwa oder Geodaten und Mobilitätsdaten sollten einfacher zugänglich gemacht werden, um innovative Geschäftsmodelle und Forschungen zu unterstützen.  

Und vierter Punkt: Altersvorsorge. Wenn man bedenkt, dass der sogenannte Medianwähler bei der Wahl im September 54 Jahre alt ist und wir damit  in einer stark alternden Gesellschaft leben, dann ist die Altersvorsorge eines der zentralen Themen der kommenden Jahre. Leider ist hier in den vergangenen vier Jahren fast nichts passiert. Nach vorne blickend braucht man ein Gesamtkonzept bestehend aus allen drei Säulen, eine sinnvolle Mischung aus Umlagefinanzierung und Kapitaldeckung, aus staatlicher und privaten Elementen. Die gesetzliche Rentenversicherung braucht ein tragfähiges Finanzierungskonzept, das über die ständige Ausweitung des Bundeszuschusses hinausgeht. Die zweite Säule, die betriebliche Altersversorgung, erfährt aus meiner Sicht eine zu geringe Wahrnehmung, sie ist ein ‚Hidden Champion‘, ein kollektives System, das weiter verbreitet werden sollte, zum Beispiel auf mehr Beschäftigte in KMUs. Hier bedarf es weiterer Modernisierungen, vermutlich ein Betriebsrentenstärkungsgesetz 2.0. Die dritte Säule, die private, auch geförderte Altersvorsorge, hat sicher Reformbedarf, ist aber reformfähig: Vereinfachte Förderung und abgesenkte Garantien, wir können zudem über ein einfaches, auch digital vertreibbares Standardprodukt reden. Es gibt viel zu tun, wir leisten dazu gerne unseren Beitrag.

Die Fragen stellte VWheute-Redakteur Tobias Daniel.

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