Strategischer Königsweg: Erfolgsfaktoren für Hyperautomation mit KI

Quelle: Elchinator/Pixabay

Kein Versicherer hat ideale Rahmenbedingungen für den breiten Einsatz der Künstlichen Intelligenz. Unabhängig von der Ausgangssituation sollten die folgenden Faktoren berücksichtigt werden, die eine weitgehende Automatisierung mit KI begünstigen oder behindern. Ein Gastbeitrag von Karl-Josef Krechel-Mohr von der Unternehmensberatung Scout4AI.

In „The Business of Artificial Intelligence“ bezeichnen die Autoren Brynjolfsson und McAfee Künstliche Intelligenz als die wichtigste Allzwecktechnologie unserer Zeit. Das McKinsey Global Institute, der volkswirtschaftliche Think-Tank von McKinsey, prognostiziert, dass KI in den nächsten Jahren deutlich höhere Wachstumseffekte als Dampfmaschinen, Industrieroboter und die Verbreitung der Informations- und Kommunikationstechnologie zu ihrer jeweiligen Blütezeit erzielen wird.

Der Megatrend der KI hat inzwischen auch die Versicherungswirtschaft erreicht. Entlang der gesamten Wertschöpfungskette wird der KI hier ein Milliardenpotenzial bei ihrem wertsteigernden Einsatz bescheinigt. Dies verwundert nicht, da die Versicherungswirtschaft als daten- und informationsbasierte Branche eine hervorragende Basis bietet, um mit KI Prozesse effizienter zu gestalten, Kundenbedürfnisse besser zu verstehen, Wachstumschancen zu erschließen oder die Präzision und Qualität von Entscheidungen zu erhöhen.

In den Versicherungsunternehmen wird zwar viel über Künstliche Intelligenz gesprochen, aber genutzt wird die Technologie im großen Umfang nicht, geschweige denn strategisch positioniert. Das Verständnis der Branche, was KI leisten kann, ist zwar gestiegen, nach wie vor besteht aber eine große Kluft zwischen der positiven Einschätzung und der geringen Nutzung. Um KI in der Breite einzusetzen, sind eine Reihe von Rahmenbedingungen zu beachten, die erfolgsentscheidend sind. Dieser Beitrag stellt ganzheitlich vor, unter welchen Rahmenbedingungen KI operationalisiert und in fast allen Geschäftsprozessen zur weitreichenden Automatisierung (Hyperautomation) genutzt werden kann.

Es ist festzuhalten, dass Künstliche Intelligenz keine universelle Methode für alle Einsatzfelder ist. Für jede einzelne spezifische Entscheidungsaufgabe werden unterschiedliche Methoden aus dem Baukasten der KI verwendet, wobei jeder Ansatz andere Problemlösungsfähigkeiten mit sich bringt und sich mehr oder weniger für eine Aufgabe eignet. Die fachliche Zielstellung entscheidet maßgeblich über die Auswahl der KI-Methodik und nicht umgekehrt. Im Übrigen fallen KI-Modelle bzw. KI-Lösungen nicht wie reife Früchte vom Baum. In einem experimentellen und iterativen Prozess basieren sie auf Trainings mit einem eingegrenzten Set von Daten und Algorithmen. Dabei wird so lange Parametertuning betrieben, bis ein zufriedenstellendes Modell daraus resultiert. Entscheidend ist am Ende, ob das entwickelte KI-Modell in der Praxis auch gute Vorhersagen trifft oder es wegen mangelnder Prognoseperformance verworfen werden muss. Praxistaugliche KI-Modelle können in halbwegs komplexen Prozessen nur einzelne Entscheidungen der Prozesskette lösen. Darüber hinaus müssen bestehende Geschäftsprozessanwendungen ganz oder teilweise auf die Funktionalität der KI-Modelle angepasst und letztendlich in die bestehende Anwendungslandschaft integriert werden.

Die Kombination macht’s – deterministische Regeln und KI-Modelle

Leistungsfähigere Hardware, immer besser werdende KI-Algorithmen und ständig anwachsende Datenmengen erschließen der Künstlichen Intelligenz Einsatzpotenziale für das Automatisieren von Geschäftsprozessen (GP), die mit traditionellen Methoden und Konzepten des Geschäftsprozessmanagements nicht erschlossen werden können. Ganzheitliches Prozessdesign beinhaltet auch eine datengetriebene bzw. KI-Sicht, die nicht selten dazu führt, dass bestehende Prozesse stark verändert werden. Unter Umständen ermöglicht die Nutzung von KI-Services nicht nur die Optimierung von Prozessen, sondern sogar eine Veränderung des Geschäftsmodells.

Mit der heutigen KI-Technologie ist es unmöglich, halbwegs komplexe Geschäftsprozesse als Ganzes ausschließlich mit einem einzigen KI-Service zu automatisieren. Dies gelingt nur mit einem intelligenten Mix aus deterministischen Entscheidungen in Verbindung mit zahlreichen, unterschiedlich komplexen KI-Modellen. Denn KI-Modelle lösen immer nur einzelne spezialisierte Aktivitäten, die in den Gesamtprozess eingebettet sind. Die Kombination von deterministischen Regeln und KI-Modellen bildet die perfekte Symbiose bei der Prozessoptimierung. Auch wenn generell darauf hinzuzielen ist, deterministische Regeln durch KI zu substituieren, sollte dies pragmatisch geschehen. Denn selbst bei der intensiven Nutzung von KI-Komponenten darf die ungeheure Wirkungskraft explizit vom Menschen definierter deterministischer Regeln nicht unterschätzt werden.

Königsweg eines ganzheitlichen Geschäftsprozessdesigns ist die Kombination von deterministischen Regeln und Künstlicher Intelligenz. Hiermit kann in den GPs der Versicherungswirtschaft eine sehr hohe dreistellige Anzahl von Prozessteilen gefunden werden, die mit KI weiter zu optimierten und zu automatisieren sind. KI ermöglicht einen Neugestaltungsschub bei den Geschäftsprozessen und führt zu erheblichen Organisationsinnovationen. Generell stellt sich damit die Frage, ob die erforderliche Flexibilität der Kernversicherungssysteme in den Unternehmen gegeben ist, um KI in der Breite zu nutzen.

Für Prozessinnovationen benötigt KI eine flexible Anwendungsarchitektur

Micro-Service-Architekturen eignen sich sehr gut dazu, flexible, leicht anpassbare und skalierbare Anwendungssysteme zu entwickeln. Hierbei wird die Funktionalität des Gesamtsystems über eine Summe autonomer, fachlich designter Services abgebildet. Im Idealfall sind Microservices Container-basiert umgesetzt und werden über eine Business Process Management Plattform (BPM) orchestriert. Weil Geschäftsprozesse hierbei schnell modifiziert, ergänzt oder in der Prozessreihenfolge verändert werden können, ist dieser Architekturstil auch die ideale, vielleicht sogar unabdingbare Voraussetzung für eine breite Nutzung der Künstlichen Intelligenz. BPM und Microservices ermöglichen im Entwicklungsstadium der Prozessoptimierung eine hohe (zumindest tägliche) Änderungsfrequenz aller Architekturkomponenten und schaffen damit hervorragende Voraussetzungen, das Potenzial der KI voll zu nutzen.

Datenqualität ist Managementaufgabe

Der Wert zuverlässiger, semantisch klar spezifizierter Daten als Rohmaterial wird immer stärker zur strategischen Größe und wichtiger Schlüsselfaktor für Automatisierung. Schon allein deswegen ist es unabdingbar, die Ontologie des Versicherungsunternehmens in einem Geschäftsdomänenmodell (Business Capability Map) zu strukturieren und bis auf Attributebene fachlich exakt zu beschreiben. Das Vorliegen eines unternehmensintern abgestimmten Domänenmodells ist Grundvoraussetzung für eine systematische KI-Nutzung. Das Domänenmodell ist darüber hinaus eine wichtige Basis des Designs von Micro-Service-Architekturen. Beide Effekte bieten genügend Vorteile, um die Entwicklung eines eigenen Geschäftsdomänenmodells ganz oben auf die Prioritätenliste zu setzen.

Erfolgsfaktoren: Die Top Ten

Neben den Erfolgsfaktoren

  • Ganzheitliches Geschäftsprozessmanagement
  • Verwendung eines KI-Vorgehensmodells
  • Flexible serviceorientierte Anwendungsarchitektur
  • Breite KI-Methodenkenntnis
  • Präzises Geschäftsdomänenmodell
  • Professionelles Datenmanagement

gibt es weitere Aspekte, die eine weitreichende Automatisierung mit KI begünstigen oder behindern. Die vier größten Hindernisse für den Einsatz von KI bei Finanzdienstleistern sind laut einer aktuellen Studie der Economist Intelligence Unit

  • Kosten der Technologie
  • Unzureichende Infrastruktur für neue KI-Technologien      
  • Unzureichende Qualität für Test und Überprüfung der KI-Ergebnisse
  • Mangel an ausreichend qualifizierten Mitarbeitern

Die Top Ten können eine gute Orientierungshilfe sein, um die KI-Readyness des eignen Unternehmens zu bewerten und bei der Priorisierung direkter oder indirekter KI-Aktivitäten zu objektivieren.

Was ist zu tun?

Kein Unternehmen der Versicherungsindustrie hat ideale Rahmenbedingungen für den breiten KI-Einsatz.  Weil die Ausgangsvoraussetzungen jeweils sehr unterschiedlich sind, muss jeder seinen eigenen Weg gehen. Während einige Große der Branche bereits zahlreiche KI-Projekte produktiv eingesetzt haben, befindet sich die Hälfte der Unternehmen noch in der Pilot- oder Proof-of-Concept-Phase. Für die KI-Starter gilt es, zunächst kleine Schritte zu unternehmen, Know-how zu entwickeln und mit einem KI-Kompetenzzentrum zu starten. Statt groß dimensionierte Projekte anzugehen, sollten sie danach streben, überschaubare Ziele zu setzen und zunächst „low hanging fruits“ zu ernten. Während die „Kleinen“ bzw. KI-Starter mit ersten Use Cases beginnen sollten, können die KI-Leader sich auf den Weg zur Hyperautomation ihrer Geschäftsprozesse machen.

KI im Zentrum der Digitalisierungsstrategie

Alles in allem stellt KI für Versicherer nicht nur eine Chance dar, sie ist in erster Linie wichtig, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Daher ist es höchste Zeit, eigene KI-Fähigkeiten aufzubauen und eine Strategie zu erarbeiten, wie die Künstliche Intelligenz erfolgreich in das Geschäftsmodell integriert werden kann. Dazu werden Versicherer teilweise an ihren Fundamenten rütteln müssen. IT-Systeme sind zu flexibilisieren, Daten verfügbarer zu machen, Prozesse neu zu gestalten, Investitionen zu tätigen und die hier aufgeführten Rahmenbedingungen zu managen. Dazu ist eine KI-zentrierte Digitalisierungsstrategie nicht nur erstrebenswert, sondern zwingend erforderlich. Künstliche Intelligenz wird in den nächsten Jahren zu einem dominierenden Gestaltungselement für Versicherer. KI wird zunehmend zum Taktgeber für die weitere Digitalisierung und Automatisierung in der Versicherungswirtschaft. Künstliche Intelligenz wird ihr Antreiber und leitet eine neue Ära ein, die zu fundamentalen organisatorischen Veränderungen führen wird. Der Wettlauf hat längst begonnen.

Lesen Sie den vollständigen Beitrag in der Mai-Ausgabe der Versicherungswirtschaft.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.

3 × drei =