Aon erwartet Prämienerhöhung bei Dienstreise-Schutz: „Die Veränderung der Schadenpools weist einen besorgniserregenden Trend auf“
Auch nach der Pandemie werden Unternehmen hoch geschulte Fachkräfte international auf Dienstreisen entsenden. Risiken, die damit verbunden sind, deckt Aon International People Mobility. VWheute sprach mit dem Leiter Harald Gruber über Schadenbelastungen, Produkterweiterungen und das Thema Resilienz für die Belegschaft und Unternehmen.
VWheute: Herr Gruber, wie lange waren Sie nicht mehr auf Dienstreise bzw. welche Dienstreisen hatten Sie im vergangenen Jahr überhaupt unternommen?
Harald Gruber: Meine letzte Dienstreise hat tatsächlich im März 2020 stattgefunden. Seitdem wurden alle bis dato geplanten persönlichen Termine wegen Covid-19 abgesagt und wir haben komplett auf einen virtuellen Austausch umgestellt – egal ob mit Kollegen, Kunden oder anderen Geschäftspartnern.
VWheute: Wie wirkt sich die Corona-Krise auf die Dienstreisen und/oder Entsendungen aus?
Harald Gruber: Bereits in 2020 hat sich ein drastischer Rückgang der Dienstreisen abgezeichnet – gleiches gilt auch für Entsendungen in andere Länder. Einerseits war es in vielen Fällen schlichtweg nicht möglich, in das Entsendeland einzureisen, andererseits überlegten und überlegen die Unternehmen mittlerweile sehr genau, ob sie Mitarbeitende überhaupt entsenden bzw. auf Dienstreise schicken. Dies natürlich insbesondere mit Blick auf das potenzielle Ansteckungsrisiko, aber auch die Frage nach der (Kosten-)Effizienz steht einmal mehr im Vordergrund – wissen die Unternehmen, bei denen Homeoffice problemlos umsetzbar war, doch nun sehr genau um die Möglichkeiten virtueller Meetings etc.
VWheute: Macht das Versicherungsgeschäft mit Dienstreisen überhaupt noch Sinn während und nach der Pandemie?
Harald Gruber: Diese Frage muss man – trotz vorheriger Aussage – klar mit Ja beantworten. Spätestens, wenn es die Umstände rund um die Pandemie es wieder besser ermöglichen kann und wird es wieder Dienstreisen geben – wenn auch sicherlich nicht in dem Umfang, den wir vor 2020 noch gesehen haben. Man muss sich bewusst sein, dass es zu einer funktionierenden internationalen Wirtschaft den persönlichen Kontakt braucht. Gleichermaßen sind Unternehmen dazu angehalten, als Teil ihrer Arbeitgeberfürsorgepflicht ihre reisenden Mitarbeiter entsprechend zu schützen – und dazu gehört mehr als nur eine Auslandsreisekrankenversicherung. In Kombination gehen wir davon aus, dass veränderte Anforderungen und Bedürfnisse an Arbeitgeber und von Arbeitnehmern zu einem Wandel in der Produktpalette führen werden: Neue, in ihrer Leistung erweiterte Angebote werden die Folge sein, welche an ein Reiseverhalten im „New Normal“ angepasst sind.
VWheute: Werden wir nach der Krise wieder ein ähnliches Dienstreiseaufkommen sehen?
Harald Gruber: Allen voran der VDR befragt deutsche Unternehmen kontinuierlich zu diesem Thema und hier muss man festhalten: Der Optimismus der Arbeitgeber hält sich in Grenzen. In der aktuellsten Barometerumfrage rechnen lediglich drei Prozent der Organisationen damit, dass sich ihr Reiseniveau wieder an 2019 angleichen wird. Die überwiegende Mehrheit (60,6%) geht von einem Rückgang der Reisen um bis zu 30% nach Corona aus. In Gesprächen mit vielen unserer Kunden bekommen wir ein ähnliches Bild gespiegelt – ich gehe daher davon aus, dass sich diese Prognose mit hoher Wahrscheinlichkeit bewahrheiten wird.
VWheute: Zur Einschätzung – welche Schäden waren im IPM-Bereich bei Aon vor Corona die häufigsten und welche die geringsten (medizinische Risiken, Verspätungen oder z.B. Entführung/Erpressung).
Harald Gruber: Zwar beschäftigen wir uns im Bereich IPM fast ausschließlich mit medizinischen Risiken, jedoch kann man mit Blick auf die vergangenen Jahre übergeordnet festhalten, dass sich kalkulierbare Schäden wie Arztbesuche, medizinische Unfallkosten oder ähnliches und schwer einschätzbare Risiken wie zum Beispiel medizinische Rückholungen relativ ausgeglichen die Waage halten. Durch diesen Mix hielt der deutsche Versicherungsmarkt im Bereich der Dienstreiseprämien auch bis vor Corona eine absolute Sonderstellung – sowohl innerhalb von Europa, als auch unter den Industrienationen weltweit.
VWheute: Wie haben sich die Schadenpools während der Krise verändert?
Harald Gruber: Die Veränderung der Schadenpools weist einen besorgniserregenden Trend auf. Zwar ist während der Pandemie sowohl die Zahl von Entsendungen und Dienstreisen als auch die der Schadenpools generell stark gesunken, jedoch bei weitem nicht in gleichen Ausmaßen. Für die Versicherer bedeutet dies eine große finanzielle Sonderbelastung, die sie in den kommenden Jahren wohl kompensieren werden müssen.
VWheute: Mit welchen Prämienanpassungen ist bei Dienstreisen und Entsendungen COVID-bedingt zu rechnen?
Harald Gruber: Bei Dienstreisen rechnen wir kurzfristig mit einer Erhöhung der Prämie, die sich spätestens mit den Stichtagsmeldungen zum 01.01.2022 nicht mehr umgehen lassen wird. Zwar gibt sich der Markt zum jetzigen Zeitpunkt noch bedeckt, doch ich gehe nicht davon aus, dass sich das aktuell bestehende niedrige Level länger halten lassen wird: Spätestens, wenn erste Prämienanpassungen von namhaften Versicherern zu verzeichnen sind, werden alle anderen rasch folgen.
Ähnlich sieht es meiner Einschätzung nach bei großen Kunden im Bereich der Expats aus: Auch hier ist mit Prämienanpassungen zu rechnen, allerdings werden diese wohl moderater ausfallen. Ausschlaggebender Faktor wird hierbei insbesondere die absehbare geringere Zahl von langfristigen Entsendungen sein.
VWheute: Wie beeinflusst es die Prämie, wenn sich ein häufig dienstreisender Manager nicht gegen Covid impfen lassen will?
Harald Gruber: Dieser Umstand kann und darf zum jetzigen Zeitpunkt keinen Einfluss auf die Prämie haben. Eine mögliche Ausnahme könnte nur dann bestehen, wenn das Zielland der Dienstreise die Impfung obligatorisch für eine Einreise vorschreiben würde. In allen anderen Fällen aber darf es keine Rückschlüsse von der Impfquote eines Unternehmens auf die Prämiengestaltung geben – das wäre meiner Ansicht nach schon datenschutzrechtlich höchst bedenklich.
VWheute: Welche Ansprüche stellt eine neue Generation von entsandten Mitarbeitern?
Harald Gruber: Ich denke per se muss festgehalten werden, dass eine neue Generation von Mitarbeitern immer auch neue oder veränderte Anforderungen an den Arbeitgeber mitbringt – Bedürfnisse hinsichtlich Dienstreisen oder Entsendungen sind hierbei nur ein Punkt von vielen. Gleichzeitig sehen wir aktuell jedoch auch, dass sich besagte Ansprüche heute deutlich schneller ändern als das noch vor ein paar Jahren der Fall war. Grund hierfür sind unter anderem die vielen neuen Formen des Arbeitens, welche durch die Corona-Pandemie einen Schub nach vorne erhalten haben. Als wohl naheliegendstes Beispiel ist hier das Arbeiten aus dem Homeoffice zu nennen – ein Umstand der in vielen Unternehmen von heute auf morgen umgesetzt wurde bzw. werden musste und innerhalb eines Jahres überdurchschnittliche Perfektion erlangt hat. Darüber hinaus dürfen aber auch andere, neue Arbeitsweisen nicht vergessen werden: Als Beispiel seien an dieser Stelle daher die sogenannten „Workations“ genannt – also ein Arbeiten an einem Urlaubsort, welches oftmals verbunden ist mit Urlaubszeit davor und/oder danach. Und auch Entsendungen direkt vom Homeoffice aus sind Arbeitsformen, welche auch bei internationalen Entsendungen immer wichtiger werden. Um solche neuen Varianten jedoch national und international regelkonform und mit der notwendigen Sicherheit umsetzen zu können, muss auch ein passender rechtlicher Rahmen geschaffen werden – und dies kann Unternehmen vor immense Herausforderungen stellen.
VWheute: Wie wird sich die Entsendepolitik in Zukunft verändern und wie sollten Unternehmen damit umgehen?
Harald Gruber: Wie bereits erläutert, bin ich überzeugt davon, dass Unternehmen auch weiterhin darauf angewiesen sein werden, hoch geschulte Fachkräfte international zu entsenden. Allerdings – und auch dies hatte ich bereits anklingen lassen – wird das Für und Wider einer Entsendung zukünftig genauer durchleuchtet und auf Sinnhaftigkeit geprüft werden – und das nicht nur mit Blick auf die Kosten. Unternehmen sei hier geraten, angesichts der sich ständig ändernden rechtlichen Rahmenbedingungen nicht auf „gut Glück“ zu entsenden, sondern sich umfassend vorzubereiten und mit einem Partner zusammenzuarbeiten, der sich in diesem Bereich auskennt und nicht nur die Tücken und Herausforderungen kennt, sondern auch über das notwendige internationale Know-how und die benötigten Kapazitäten weltweit verfügt.
VWheute: Warum sollten Firmen ein Mitarbeiterunterstützungsprogramm in Betracht ziehen?
Harald Gruber: Mitarbeiterunterstützungsprogramme – international als Employee Assistance Programme (EAP) bezeichnet – gibt es vor allem im englischsprachigen Raum schon seit vielen Jahrzehnten. Ihren Ursprung hatten diese zu Beginn des 20. Jahrhunderts und die direkten Nachfolger sind auch heute noch aktiv – zum Beispiel unter der Bezeichnung der „Anonymen Alkoholiker“. Obwohl die Einführung solcher Programme in Deutschland ein noch recht neuer Trend ist, sind EAPs im internationalen Raum schon lange fest etabliert. Während meiner Zeit in Irland wurde mir dies bestätigt – Mitarbeiterunterstützungsprogramme sind dort aus dem Arbeitsleben nicht mehr wegzudenken.
Auf die Frage nach dem Warum muss man erst einmal erläutern, was sich konkret hinter dem Begriff EAP eigentlich verbirgt: Ein gutes EAP bietet Mitarbeitern eines Unternehmens und deren Familien schnelle, direkte und zu 100% vertrauliche Hilfestellung in nahezu allen Lebenslagen. Von Suchtproblemen über Geldsorgen bis hin zu familiären Streitigkeiten kann man sich diskret an fachlich geschultes Personal wenden und erhält direkte und kostenlose Hilfe – ohne dies mit Arbeitgeber oder Vorgesetztem zu besprechen.
Im Umkehrschluss profitiert auf diese Weise auch das Unternehmen in großem Maß von dieser Hilfestellung für seinen Mitarbeitenden. Neben der direkten Unterstützung und damit Aufrechterhaltung von seelischer und häufig damit verbunden auch physischer Gesundheit der Mitarbeiter, formt ein EAP auch einen zusätzlichen Bindungsfaktor an die Firma. Der Return on Investment eines qualitativ hochwertigen und gleichermaßen intern gezielt kommunizierten Mitarbeiterunterstützungsprogramm ist mit Blick auf die daraus entstehenden finanziellen Vorteile, welche die Kosten bei Weitem übersteigen, schlussendlich für jedes Unternehmen ein strategischer Mehrwert innerhalb der eigenen, gesamtheitlichen Wellbeing-Strategie.
VWheute: Wie wichtig ist das Thema Resilienz für Belegschaft und Unternehmen?
Harlad Gruber: Wenn wir ehrlich sind, kannten dieses Wort in 2019 wohl nur die wenigsten – dagegen ist es heute aus unserem täglichen Sprachgebrauch kaum noch wegzudenken. Und das meiner Einschätzung nach mit gutem Recht. Die Corona-Pandemie hat dazu geführt, dass viele Mitarbeitende heute vor ganz neuen und häufig zusätzlichen Herausforderungen stehen. Dauerhaftes Homeoffice, verbunden mit der Ausbildung der Kinder im Home-Schooling, finanzielle und beziehungstechnische Hürden, die alles andere als geplant, geschweige denn vorhersehbar waren. Die Liste ließe sich wohl beliebig verlängern. Der Druck und die Belastung des Einzelnen und damit verbunden – mit Blick auf Belegschaften –des gesamten Unternehmenskollektivs ist sprunghaft gestiegen, was sich schlussendlich häufig auch auf die Gesundheit der Betroffenen niederschlägt.
Unternehmen, die rechtzeitig in die Resilienz, also die Widerstandsfähigkeit ihrer Belegschaft investiert haben, sind heute nicht nur vor den unmittelbaren Folgen gefeit, sondern zählen häufig auch zu den angesehensten Arbeitgebern, die eine gesunde und motivierte Mitarbeiterschaft die eigene nennen können.