Zurich-Chef Schildknecht im Interview: „Geschäftlich ist es uns gelungen, das Schiff zu drehen“

Carsten Schildknecht, CEO Zurich Deutschland, Quelle: Zurich

Seit 2018 hat Carsten Schildknecht bei der Zurich Deutschland die Zügel in der Hand. Der Versicherer wächst wieder – deutlich schneller als der Markt. Das Programm aus Kulturwandel und Neuausrichtung der Strategie scheint Früchte zu tragen. Im Exklusiv-Interview mit der Versicherungswirtschaft spricht der Top-Manager über Thomas Cook, Corona und unternehmerische Perspektiven.

VWheute: Sie sind seit 2018 Vorsitzender der Zurich Gruppe Deutschland. Ziehen Sie bitte Bilanz, was lief gut, was war schwieriger als erwartet?

Carsten Schildknecht: In den letzten drei Jahren haben wir gemeinsam viel in Bewegung gesetzt und konnten zahlreiche Erfolge für uns verbuchen. Geschäftlich ist es uns gelungen, das Schiff zu drehen. Wir wachsen wieder, und zwar deutlich schneller als der Markt. Das kombinierte Programm aus Kulturwandel auf der einen und Neuausrichtung der Strategie auf der anderen Seite funktioniert. Deshalb fiel unsere Halbzeitbilanz im Hinblick auf unser Fünf-Jahres-Programm bis 2023 sehr positiv aus. Natürlich gibt es noch Einiges zu tun, das möchte ich nicht verbergen.

Aber wir sind in allen Dimensionen vorangekommen. Ein besonderer Erfolg ist, dass wir erst kürzlich unsere exklusive Partnerschaft mit der Deutschen Bank um weitere zehn Jahre verlängert und sogar auf die Postbank erweitert haben. Das ist eine Bestätigung unserer langjährigen, vertrauensvollen und sehr erfolgreichen Zusammenarbeit mit der Bank. Mit der Vereinbarung setzen wir nicht nur ein Zeichen im Hinblick auf Kontinuität und Verlässlichkeit gegenüber unseren Kunden, sie bietet auch enormes Potenzial, um gemeinsam noch stärker in Beratung, Produkte und Angebote zu investieren und das Geschäft ab 2023 auch über die Postbank deutlich auszubauen.

VWheute: Sie sind Digitalisierungsexperte, welchen Weg hat die Zurich genommen und was liegt voraus?

Carsten Schildknecht: Ich bin immer wieder überrascht, wenn das Thema Digitalisierung als „Zukunftsthema“ betitelt wird. Nehmen wir mal die Herausforderungen durch die Corona-Pandemie, die ganz praktisch gezeigt hat, wie entscheidend schon heute die Digitalisierung für den wirtschaftlichen Erfolg ist. Für diejenigen, die sich frühzeitig und ernsthaft mit dem Thema befasst haben, hat sich dieses Investment sichtbar ausgezahlt. Auch wir waren durch unsere massiven Investitionen in eine hochmoderne IT-Infrastruktur beispielsweise beim ersten Lockdown im März 2020 in der Lage, von jetzt auf gleich in den „working@home“-Modus zu wechseln.

VWheute: Was ist eigentlich aus dem Thomas-Cook-Fall geworden?

Carsten Schildknecht: In der Rückschau kann ich sagen, dass wir die uns betreffenden Folgen der Insolvenz von Thomas Cook insgesamt recht gut gemanagt haben. Als Versicherer für die Reisesicherungsscheine sind wir von Anfang an aktiv auf die Thomas-Cook-Kunden zugegangen und haben nicht gewartet, bis die Schäden eingereicht werden. Wir haben unsere Pflicht erfüllt und hatten damals die Rückführung von fast 140.000 Reisenden innerhalb von rund zwei Wochen sichergestellt.

Die berechtigten Ansprüche haben wir dann auch so zügig wie irgend möglich reguliert und konnten im Oktober letzten Jahres sogar einen zweiten Zahlungslauf mit erhöhter Quote starten. Dass Zurich hier einen guten Job gemacht hat, wurde uns auch von verschiedenen Seiten gespiegelt. Der Versicherungswirtschaft konnte ich entnehmen, dass Gerd Billen, Staatssekretär des BMJV geäußert hatte, dass Zurich „die Rückführung vorbildlich gelöst“ hat.

„Die breite öffentliche Kritik an der gesetzlichen Regelung hat die Bundesregierung schließlich dazu veranlasst, Thomas-Cook-Kunden mit Ausgleichszahlungen zu entschädigen und auch grundsätzlich die überfällige Neuregelung des Gesetzes anzugehen.“

Carsten Schildknecht, Vorstandsvorsitzender der Zurich Deutschland

VWheute: Dennoch hat die Justizministerin bereits vor über einem Jahr öffentlich geäußert, dass sie eine Klage gegen Zurich in Erwägung zieht und Zahlungen über die Haftungsgrenze von 110 Mio. Euro hinaus fordert …

Carsten Schildknecht: Wir haben uns in den Gesprächen mit dem Justizministerium stets gesprächsbereit gezeigt und sind das auch heute. Gleichzeitig ist die von der Ministerin geäußerte Haltung für uns nicht nachvollziehbar, denn als Versicherer haben wir uns auf geltendes Recht verlassen. Mit der klaren gesetzlichen Deckelung der Haftung des Versicherers bei 110 Mio. Euro hatte der Gesetzgeber die Intention, einerseits die Versicherer vor zu großen Schäden zu schützen, andererseits das Risiko der Insolvenz des Reiseveranstalters versicherbar zu machen.

Die deutsche gesetzliche Regelung bot leider für die Reisenden nicht den Schutz, der vom europäischen Gesetzgeber eigentlich intendiert war – dies wurde spätestens durch die Thomas-Cook-Insolvenz, bei der die Kunden ja nur mit einer Quote zu entschädigen waren, für alle Welt sichtbar. Mit anderen Worten: Die aktuelle gesetzliche Regelung in Deutschland enthält eine enorme Lücke – und deshalb ist auch der Gesetzgeber aufgefordert, diese Lücke im Sinne der Verbraucher zügig zu schließen.

Die breite öffentliche Kritik an der gesetzlichen Regelung hat die Bundesregierung schließlich dazu veranlasst, Thomas-Cook-Kunden mit Ausgleichszahlungen zu entschädigen und auch grundsätzlich die überfällige Neuregelung des Gesetzes anzugehen. Im Juni 2020 hat sie immerhin ein entsprechendes Eckpunktepapier für eine neue gesetzliche Regelung vorgestellt, die die offensichtlichen Schwächen der aktuellen Gesetzgebung beheben soll. Bei diesem Eckpunktepapier ist es dann aber bislang leider geblieben.

VWheute: Wir sind wieder tief im Lockdown. Verzögert er Projekte oder Maßnahmen?

Carsten Schildknecht: Wir gehen grundsätzlich zuversichtlich in das Jahr 2021. Natürlich ist es bedauerlich, dass der Lockdown bisher noch nicht die gewünschten Erfolge beim Infektionsgeschehen gebracht hat. Die Mutationen des Virus und die Verzögerungen bei den Impfungen kommen erschwerend hinzu. Als Unternehmen haben wir – wie auch beim ersten Lockdown im März 2020 schnell, verantwortungsvoll und vorausschauend agiert. Unser umfassendes Abstands- und Hygienekonzept hat so dazu beigetragen, dass die Zahl der Infektionen in der Mitarbeiterschaft bislang glücklicherweise recht niedrig war.

Damit ist unser wichtigstes Ziel bereits erreicht. Dennoch wird sich die Pandemie – je länger sie dauert – auch in den Zahlen abbilden. Aber nicht substanziell – unsere Basis ist solide. Natürlich spürt man den Lockdown auch in der Herangehensweise an neue Projekte. Andererseits werden durch ihn auch neue Arbeitsweisen und Technologien beschleunigt, was sich sicher positiv auf die Arbeitswelten und Erfolge der Zukunft auswirken wird.

„Soziale Kontakte und das Gefühl von Zusammenhalt lassen sich nicht ohne Weiteres in virtuelle Räume übertragen.“

Carsten Schildknecht, Vorstandsvorsitzender der Zurich Deutschland

VWheute: Corona wird die Arbeitswelt verändern. Weniger Präsenz, mehr Heimarbeit. Ist die frisch eröffnete Zentrale in der Messe City Köln-Deutz nun zu groß?

Carsten Schildknecht: Ich glaube, dass es noch viel zu früh ist, darüber eine Aussage zu treffen, wie die Arbeitswelten in der Nach-Corona-Zeit aussehen werden. Dass das Thema Homeoffice in der Post-Corona-Zeit eine größere Rolle spielen wird, zeichnet sich schon jetzt ab. Uns hat vielmehr überrascht, dass einige Unternehmen das Thema Homeoffice erst mit der Corona-Krise für sich entdeckt haben. Wir haben dagegen weit vor der Pandemie das Flexwork-Konzept umgesetzt und Homeoffice angeboten.

Natürlich beobachten wir derzeit: Was läuft im „working@home“-Modus gut, was können wir beibehalten? Aber auch: Was oder wer leidet möglicherweise darunter? Da genügt aber keine Momentaufnahme, sondern man muss schon genauer hinschauen, wie die unternehmerischen Interessen und die der Mitarbeitenden auf einen Nenner zu bringen sind.

Es ist ja eine falsche Annahme, dass sich jeder Mitarbeitende auf Dauer einen Homeoffice-Arbeitsplatz wünscht. Soziale Kontakte und das Gefühl von Zusammenhalt lassen sich nicht ohne Weiteres in virtuelle Räume übertragen. Viele unserer Mitarbeitenden freuen sich etwa, dass wir während des Lockdowns alle Vorkehrungen getroffen haben, damit unter den geltenden Abstands- und Hygieneregelungen und in stark beschränktem Umfang die Vorteile der Büroinfrastruktur genutzt werden können.

Was das Thema Anwesenheit angeht, so setzen wir dabei voll auf Freiwilligkeit und Flexibilität. Das wird durch unseren kulturellen Wandel sehr befördert, denn mehr Flexibilität bedeutet auch mehr Verantwortung für die Mitarbeitenden und auch ein Umdenken in der Führung.

Die Fragen stellte VWheute-Redakteur Maximilian Volz.

Das vollständige Interview lesen Sie in der neuen Februar-Ausgabe der Versicherungswirtschaft.

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