„Kein Unternehmen kann auf die Hälfte der Bevölkerung verzichten“: Neues Diversitätsgesetz krempelt Branche um

Diverse Teams sind erfolgreicher, dennoch braucht Deutschland ein Gesetz für mehr Frauen in Führungspositionen. Bild von Gerd Altmann auf Pixabay

Eingriff oder Notwendigkeit? Das zweite Führungspositionen-Gesetz (zFG) soll den Anteil von Frauen in Führungspositionen erhöhen. Es sieht verbindliche Vorgaben für die Wirtschaft und den öffentlichen Dienst vor und hat auch Auswirkungen auf die Versicherungsbranche.

Der Kern des Gesetzes ist es, dass börsennotierte Aktiengesellschaften mit mehr als 2.000 Mitarbeitern künftig mindestens eine Frau in den Vorstand berufen müssen, wenn dieser aus mehr als drei Personen besteht. Das sei ein Angriff auf die unternehmerische Freiheit, erklären zahlreiche Arbeitgeberverbände und lehnen das Gesetz ab.

Allerdings gibt es für das Gesetz gute Gründe wie Michael Niebler, Geschäftsführendes Vorstandsmitglied der Versicherer als Arbeitgeber (AGV), im Editorial des Branchenmagazins Vis-a-Vis erläutert. Bereits im Jahr 2015 wurde ein Gesetz vorgelegt, dass im Grunde das forderte, was nun in Gesetzestext gegossen wurde.

Ein Mindestbeteiligungsgebot von einer Frau gilt für Vorstände mit mehr als drei Mitgliedern von börsennotierten und paritätisch mitbestimmten Unternehmen. Davon werden über 70 Unternehmen betroffen sein, von denen 31 aktuell keine Frau im Vorstand haben. Wichtig ist, dass Unternehmen in Zukunft begründen müssen, warum sie sich das Ziel setzen, keine Frauen in den Vorstand zu berufen. Auf diese Begründungen darf  sich jeder schon jetzt freuen. Unternehmen, die keine Zielgröße melden oder keine Begründung für die Zielgröße Null angeben, werden künftig „effektiver sanktioniert“.

Bundeskanzlerin Angela Merkel erklärte im Juli im Bundestag, dass sie es für „absolut unzureichend“ halte, dass es immer noch börsennotierte Unternehmen gibt, in denen nicht eine einzige Frau im Vorstand sitzt. „Das ist ein Zustand, den man nicht vernünftig finden kann.“

Das ist auch die Meinung von Tijen Onaran, Geschäftsführerin und Gründerin von Global Digital Women, einem Netzwerk für „female digital pioneers“, dem Partner wie die Gothaer und Axa angehören. „In den letzten Jahren haben wir gesehen, wohin freiwillige Selbstverpflichtungen führen – ins Nichts. Eine Quote bewirkt keine ad-hoc-Veränderung, sie ist aber das richtige und wichtige Mittel, um den Status quo langfristig zu verändern.“ Wenn Unternehmen die „Zielgröße Null“ als erklärtes Ziel für Frauen im Vorstand ausgeben, sei das kein Ziel, „sondern eine Haltung“.

Das zFG sei „ein erster Schritt in die richtige Richtung“, aber „weitaus kein ausreichender“. Um echte Veränderung zu bewirken, brauche es echte Gleichstellung. „Kein Unternehmen der Welt darf und kann es sich erlauben auf die Hälfte der Bevölkerung zu verzichten“, erklärt Onaran. Vielfalt müsse in jedem Unternehmensziel die gleiche Wertigkeit und Wichtigkeit haben wie jedes Innovationsprogramm. Daher brauche es neben dem politischen Instrument in Bezug auf Frauen in Führungspositionen „klare unternehmerische und messbare Ziele“, anhand derer Führungskräfte und ihr persönlicher Erfolg gemessen werden. „Wer auf Vielfalt setzt, setzt auf Innovation“, erklärt sie abschließend.

Mit ihrer Meinung ist sie nicht allein, so hat McKinsey-Deutschland-Chef Cornelius Baur erklärt, dass gemischte Teams bessere Entscheidungen treffen und erfolgreicher sind. Die Kraft diverser Teams hat auch die Sprachexpertin und Diversity-Trainerin Barbara Materne bereits anschaulich dargelegt. „In meiner Vorstellung einer idealen Arbeitswelt bestehen Teams und Management daher aus Menschen unterschiedlicher individueller Lebenssituationen, ethnischer und sozialer Herkunft, unterschiedlichen Alters und Geschlechts. Je vielfältiger, desto besser“, erklärt sie.

Misogynes Deutschland?

Der Blick über den Tellerrand zeigt, dass andere Länder weiter sind als Deutschland, hebt Niebler hervor. Vergleiche man den Frauenanteil in den Vorständen der führenden Unternehmen in Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Polen, Schweden und den USA, „landet Deutschland auf dem letzten Platz“. In den USA beispielsweise liege der Frauenanteil bei 28,6 Prozent und „steige weiter“.

Der AGV setzt sich seit Jahren für mehr Diversität in der Branche ein, betont Niebler. Der Frauenanteil in den Vorständen der Versicherungswirtschaft ist permanent am Steigen, von 5,7 Prozent im Jahr 2012 auf elf Prozent im Jahr 2019. Mit Initiativen wie insurwomen@networks will der AGV Kurs halten.

Der Hauptgeschäftsführer des Gesamtverbandes der deutschen Versicherungswirtschaft, Jörg Asmussen, erklärt für seinen Verband: „Wir haben seit der letzten Mitgliedsversammlung zwei qualifizierte Frauen im Präsidium, und wir suchen aktiv eine weibliche Stellvertreterin von mir. Das sind aus meiner Sicht begrüßenswerte Schritte auf dem Weg zur Normalität.“

Die Munich Re erklärt, dass im eigenen Haus ein „besonderer Fokus“ auf dem Thema Frauen in Führungspositionen liege. „Bis zum Jahr 2025 sollen 40 Prozent der Managementpositionen unterhalb der Vorstandsebene mit Frauen besetzt sein.“ Dies sei die „Konzernposition“.  Momentan ist noch etwas zu tun, bei neun Vorständen findet sich derzeit nur eine Frau. Allerdings sollte den Münchenern, wie jedem anderen Unternehmen, die Zeit eingeräumt werden, den Vorstand nach und nach anzupassen.

Eingriff oder Notwendigkeit?

Viele Arbeitgeberverbände und die Partei FDP lehnen einen Eingriff in die Vorstände ab, der Staat solle sich aus unternehmerischen Fragen heraushalten. Auch Niebler schreibt, dass er verbindliche Frauenquoten für das Management „persönlich ablehne“, er mittlerweile aber Zweifel an seiner Sicht habe.

Den Hinweis auf die staatlichen Eingriffe lässt Onaran nicht gelten. „Unternehmen haben mehr denn je eine gesellschaftliche Verantwortung und nicht in die unternehmerische Freiheit einzugreifen wäre verantwortungslos. Denn: Wollen wir als deutsche Wirtschaft nicht wettbewerbs-, und innovationsfähig sein? Dazu braucht es Vielfalt.“ Aus ihrer Sicht ist Vielfalt der Treiber für Kreativität, Innovation und Unternehmertum. Wer dieser gesellschaftlichen Verantwortung nicht nachgehe, werde „nicht zukunftsfähig“ sein.

Bei der Diversität hat Deutschland noch Arbeit vor sich. Dass zeigt schon der Umstand, dass die Politik den Weg per Gesetz vorgeben muss.

Autor: Maximilian Volz

Das lesenswerte Editorial von Hr. Niebler zum Thema finden Sie hier.

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