Branche unter Druck: „Versicherungsbedingungen auf einen derart besonderen Fall wie Corona nicht ausgerichtet“

Hank Williams auf Pixabay

Seit dem 5. November 2020 ist wahr geworden, was viele befürchtet hatten: ein zweiter Lockdown, der neben der Kunst- und Veranstaltungsbranche insbesondere die Gastronomie und Hotellerie erneut hart trifft. Die Situation gleicht der des ersten Lockdowns im März. Versicherer müssen reagieren. Ulrich Keunecke und Frank Püttgen ordnen ein.

Viele Unternehmen müssen ihre Betriebe ganz oder teilweise schließen. Der Ruf nach Betriebsschließungsversicherungen („BSV“) wird daher wieder lauter – viele Versicherer und Versicherungsnehmer stehen vor den gleichen Fragen, wie zu Beginn der Pandemie im März: Ist eine Schließung des Betriebs aufgrund der neuen Corona-Anordnungen versichert? Misst sich der Versicherungsfall an den gleichen Kriterien, wie im Rahmen des ersten Lockdowns? Handelt es sich überhaupt um einen neuen Versicherungsfall? Aber auch in der seit dem ersten Lockdown vergangenen Zeit konnte bisher bezüglich der BSV keine Klarheit erzielt werden.

Keine Linie bei den Urteilen

Bereits im April kam es zu einem ersten Urteil im Zusammenhang mit Betriebsschließungen und dem hierauf bezogenen Versicherungsschutz. Das LG Mannheim wies in seiner Entscheidung vom 29. April 2020 zwar die Klage eines Betreibers von drei Hotels gegen seinen Versicherer auf Versicherungsleistung aus der BSV ab, begründete dies aber schlussendlich mit der prozessrechtlichen Erwägung einer nicht hinreichenden Darlegung der geltend gemachten Ansprüche, ging im Grundsatz jedoch von Versicherungsschutz aus (zur Thematik ausführlich: Keunecke/Püttgen, VW 07//2020, S. 76-79 8/2020, S. 76-83). In der Folge kam es zu diversen weiteren Urteilen mit unterschiedlichen Ergebnissen.

In mehreren Entscheidungen bejahte das LG München I Zahlungsansprüche der klagenden Versicherungsnehmer, wobei wiederkehrend darauf abgestellt wurde, dass die entscheidende Klausel über die versicherten Krankheiten und Krankheitsfolgen unwirksam sei. Wie das LG Mannheim, nahm auch das LG München I an, dass eine faktische Schließung eines Betriebes – weil der Betrieb, obwohl nicht vollständig untersagt nur in sehr unrentabler Form eines Außer Haus Verkaufs weiter möglich geblieben war – einer Schließung im Sinne der AVB gleichkomme.

Anders wiederum entschied das LG Oldenburg, dem Versicherungsbedingungen vorlagen, die die versicherten Krankheiten ohne Covid-19 zu nennen abschließend aufzählten. Das Gericht wies die auf Zahlung der Versicherungsleistung gerichtete Klage hier ab. Ähnlich entschied das OLG Hamm. Darüber hinaus gibt es weitere für die Versicherer positive Entscheidungen.

Laut BGH kein Raum für AGB-rechtliche Angemessenheitserwägungen

Ferner sind außergerichtliche Einigungen zwischen Versicherer und Versicherungsnehmer zu sehen, so etwa jüngst die Allianz mit dem Gastwirt Christian Schottenhamel, der die bekannte Gaststätte „Paulaner am Nockherberg“ betreibt.

Die entschiedenen Fälle zeigen, dass die Versicherungsbedingungen auf einen derart besonderen Fall wie das Corona-Virus nicht ausgerichtet sind. Die Instanzgerichte kommen hier zu unterschiedlichen Ergebnissen, auch wenn sich die Bedingungen häufig ähneln. Dabei dürfte das Argument, es liege eine unangemessene Benachteiligung der Versicherungsnehmer mangels hinreichender Transparenz der relevanten Klauseln vor, einen der maßgeblichen Gesichtspunkte für die Gerichte bilden, zuungunsten der Versicherer zu entscheiden.

Insoweit wird aber übersehen, dass es sich bei den in Rede stehenden Klauseln in den Versicherungsbedingungen um die Versicherungsfalldefinition handelt und hier für AGB-rechtliche Angemessenheitserwägungen kein Raum sein sollte (vgl. BGH, VersR 2014, 625).

Was übersehen wird

Übersehen wird im Übrigen auch, dass mittlerweile immer mehr Virologen der Überzeugung sind, dass ein etwaiges abstraktes Ansteckungsrisiko in Gaststätten und Hotels bei Einhaltung der AHA-Vorsorgemaßnahmen offenbar eher als gering bis sehr gering zu bewerten sei. Danach könnte den öffentlichen Einschränkungen des Betriebs ggf. in erster Linie eine übergeordneter generalpräventiver bzw. gesellschaftspolitischer Charakter beizumessen sein, um die Kontaktbeschränkungen zu perpetuieren. Die BSV zielt aber auf konkret von dem versicherten Betrieb ausgehende Infektionsgefahren ab.

Aus rechtlicher Sicht verständlich ist daher, dass verschiedene Versicherer damit begonnen haben, Änderungskündigungen auszusprechen, so etwa Allianz und HDI. Insoweit kann konstatiert werden, dass das Ausmaß und die Folgen der Pandemie sowie die Maßnahmen in deren Folge für niemanden wirklich absehbar waren. Den Gerichten ist daher zuzustimmen, wenn sie in ihren Urteilen anführen, dass weder Versicherer noch Versicherungsnehmer sich das Risiko einer weltweiten Pandemie im derzeitigen Ausmaß bei Vertragsabschluss vorgestellt haben. Erkennbar bestand daher für die Versicherer keine Möglichkeit, die Risiken einer solchen Pandemie in ihre Prämie einzukalkulieren.

„Ungünstige Gerichtsentscheidungen oder mit Versicherungsnehmern abgeschlossene Vergleiche werden schnell in der Öffentlichkeit bekannt und heizen die öffentliche Dikussion weiter an.“

Für die Vergangenheit bleibt es für die involvierten Versicherer aber vorerst dabei, dass das außergerichtliche und gerichtliche Handeln gut überlegt sein will. Dabei sollten weder die eigene Rechtsposition noch die möglichen Folgen für die Reputation des Unternehmens außer Acht gelassen werden. Es liegt auf der Hand, dass die Versicherer unter Druck stehen, schnelle Lösungen zu finden.

Der Druck entsteht dabei weniger im Hinblick auf die rechtlichen Aspekte der Thematik, die sicher einer höchstrichterlichen Klärung bedürfen, als vielmehr aufgrund der angespannten Situation der Versicherungsnehmer und dem derzeitigen öffentlichen Interesse an der BSV-Thematik. Für die Versicherer ist daher in besonderem Maße ein stringentes Auftreten zielführend.

Ungünstige Gerichtsentscheidungen oder mit Versicherungsnehmern abgeschlossene Vergleiche werden schnell in der Öffentlichkeit bekannt und heizen die öffentliche Diskussion weiter an. Auch soweit die Versicherer im Recht sind gilt es, einen langen Atem zu haben und die richtigen Entscheidungen zu treffen.

Autoren: Rechtsanwalt Ulrich Keunecke und Rechtsanwalt Frank Püttgen KPMG law 

Ein Kommentar

  • Die Bedingungen der BSV sind historisch vergleichbar mit der Betriebsunterbrechungsversicherung. Die „BU“ basiert darauf, dass die Betriebsunterbrechung eine Folge eines Sachschadens im Betrieb ist (bzw. Rückwirkungsschäden). So formulieren die Bedingungen der BU es ausdrücklich. Das wollten die Bedingungen der BSV auch ausdrücken, tun sie aber nicht. Die versicherte Betriebsschließung sollte eine Folge der Infektion im (!) Betrieb sein. Eine „infektionsfreie Störung“ (oder „sachschadenfreie Unterbrechung“ zum Vergleich) war nie erwogen worden. Die BSV wollte etwas anderes als ihre Bedingungen es formulieren. Betriebe im Kumul – zur Vermeidung von Infektionen -behördlicherseits zu schließen, entspricht nicht der Versicherungstechnik eines kalkulierbaren Risikos.

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