IVS-Aktuare ziehen die Notbremse in der bAV

Um die betriebliche Altersversorgung (bAV) gegen die Auszehrung durch Niedrigzinsen stärken, fordert das Institut der Versicherungsmathematischen Sachverständigen für Altersversorgung e.V. (IVS) tief greifende Veränderungen wie die Entkollektivierung von Beständen und die Stärkung der Risikotragfähigkeit durch die Trägerunternehmen. „Ich kann den Trägerunternehmen (…) nur dringend empfehlen, dem Vorbild vieler Firmen zu folgen und ihre Versorgungseinrichtung mit zusätzlichen Eigenmitteln oder Garantieerklärungen auszustatten. Ansonsten drohen weitere Sanierungsfälle, die das Bild der hocheffizienten und leistungsfähigen bAV nachhaltig beschädigen könnten“, sagte IVS-Vorsitzender Dr. Friedemann Lucius vor der Presse.

Lucius, der im Hauptberuf Vorstand der Heubeck AG ist, sieht die betrieblichen Versorgungssysteme durch Corona in ihrer Funktionsfähigkeit nicht gefährdet, fürchtet aber die langfristigen Wirkungen des demografiebedingten Spar- und Anlagedrucks in Verbindung mit den billionenschweren Anleihenankaufprogrammen der Europäischen Zentralbank. „Diese werden die tiefen Zinsen auf unabsehbare Zeit zementiert“, erklärt Lucius.

Unter dem Schlagwort „Generationengerechtigkeit“ plädiert der IVS für eine teilweise Abkehr vom Kollektivgedanken. Notleidende, weil hoch verzinste Bestände sollten innerhalb einer bAV-Einrichtung isoliert werden können, um das restliche Kollektiv zu stärken. „Dazu brauchen wir mehr Flexibilität im Arbeits- und Aufsichtsrecht, beispielsweise wenn es darum geht, notleidende Bestände zu sanieren, ohne gleich die ganze Pensionskasse in den Abgrund zu ziehen“, so Lucius. Als Folge der Niedrigzinsen kommt es zu Mittelverschiebungen zwischen den unterschiedlichen Generationen, denn der steigende Finanzbedarf für alte Zusagen mit hohen Leistungsversprechen und hohen Zinsgarantien muss letztlich aus Überschüssen und zusätzlichen Mitteln gedeckt werden.

Weniger Garantien als Lösung?

 Darüber hinaus spricht er sich dafür aus, das Garantieniveau für Neuverträge auf ein „erträgliches Maß“ zu reduzieren. Das sind für Lucius nicht die „viel diskutierten 80 Prozent“, sondern ein Betrag von mindestens 50 Prozent, damit es einen Abstand zur reinen Beitragszusage gibt. Bei einem Rechnungszins von Null müssten Beitragszusagen mit Mindestleistung aufsichtsrechtlich zu jederzeit voll bedeckt sein, so dass es keine Möglichkeit gebe, nennenswerte Teile des Beitrags risikoreicher, dafür aber mit Aussicht auf mehr Leistung anzulegen. Es gelte in der Bevölkerung „die vorherrschende Garantiefixierung sukzessive aufzubrechen und dem Gedanken zum Durchbruch zu verhelfen, dass weniger Garantie auch Aussicht auf mehr Leistung bedeuten kann,“ so Lucius.

 Zugleich spricht er sich dafür aus: „Das Arbeitsrecht muss hier dringend nachziehen, damit dem Arbeitgeber nicht Garantien aufgebürdet werden, die ein aufsichtsrechtlich regulierter Versorgungsträger so nicht mehr übernehmen kann.“ Er verweist auf einen „beiläufigen Hinweis“ im Urteil des Bundesarbeitsgerichtes (BAG) vom 12. Mai diesen Jahres, der „hellhörig“ mache. Danach könnten Niedrigzinsen eine mögliche Störung der Geschäftsgrundlage nach§313 BGB darstellen, die den Eingriff in den Future Service rechtfertigen würde. „Die in dieser Dimension nicht vorhersehbare Zinssituation sollte arbeitsrechtlich als proportionaler Grund für Eingriffe in zukünftig noch zu erdienenden Versorgungsanwartschaften anerkannt werden; insbesondere bei Bausteinzusagen, bei denen sich die Leistung mit jeder Beitragszahlung sukzessive ändert“, so Lucius. Bislang gilt, dass der Arbeitgeber haftet, wenn die bAV-Einrichtung die Rentenformel für künftige Leistungen absenkt, es sei denn, er kann sachlich-proportionale Gründe wie eine wirtschaftliche Notlage einwenden.

In der Praxis herrsche hier Rechtsunsicherheit, weil viele Arbeitgeberzusagen nicht klar geregelt seien. Oft werde der Arbeitnehmer bei der bAV-Einrichtung einfach angemeldet und auf dort auf die AVBs verwiesen, in denen Kürzungsmöglichkeiten aufgeführt seien. Die Frage solcher Änderungsvorbehalte sei aber streitanfällig.

Stefan Oecking, stellvertretender IVS-Vorstandsvorsitzender und Partner bei Mercer Deutschland, fordert, den HGB-Rechnungszins für Pensionsverpflichtungen einzufrieren und „sachgerecht neu festzulegen“. Zusammen mit der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände hat der IVS ein Positionspapier erarbeitet. Dieses den HGB-Rechnungszins bis Ende 2022 als Option für die Unternehmen auf dem Niveau des 31. Dezember 2019 einzufrieren. Dies Zeit dieses Zinsmoratoriums müsse genutzt werden, um gemeinsam mit den Sachverständigen, der Politik, der Finanzaufsicht, den Wirtschaftsprüfern und den Arbeitgeberverbänden einen neuen Ansatz für den HGB-Rechnungszins zu finden.

 Für den wichtigsten bAV-Durchführungsweg Direktzusage bilden die Arbeitgeber Pensionsrückstellungen in ihren Handelsbilanzen. Diese Pensionsrückstellungen müssen mit einem durchschnittlichen marktwertnahen Zinssatz auf Basis der vergangenen zehn Geschäftsjahre, dem HGB-Rechnungszins, abgezinst werden. „Diese gesetzliche Vorgabe führt jedoch aufgrund des anhaltenden Niedrigzinstrends seit Jahren zu erheblichem Nachdotierungsaufwand für die deutschen Unternehmen“, so Oecking. Da der HGB-Rechnungszins im Gefolge der allgemeinen Zinsentwicklung weiter sinke, werde dies die Unternehmen bis Ende 2022 mit ca. 80 Milliarden Euro ergebniswirksam belasten. Als Folge dieses Zinses würden die Unternehmen seit 2010 mit rund 50 Milliarden Euro Steuern auf Scheingewinnen belastet. Dieser Betrag werde sich ohne gesetzliche Eingriffe in den nächsten Jahren voraussichtlich verdoppeln.

 Statt eines kapitalmarktorientierten Rechnungszinses spricht sich der IVS für einen sachgerechten Zinses aus, der sich an der zugrundeliegenden Verpflichtung orientiert. „Wir halten es für sachgerecht, für die Bewertung eines solchen Schuldverhältnisses handelsrechtliche Maßstäbe anzulegen, die mit denen für die Bewertung von Darlehensverpflichtungen mit aufgeschobenen Zinszahlungen vergleichbar sind. Das bedeutet insbesondere, dass der Zinssatz für die Dauer des Schuldverhältnisses grundsätzlich unveränderlich festgelegt wird“, erklärt Oecking.

Autor: Monika Lier

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