Finanzpsychologie: Wie man Lebenbestände im Verkauf fair bewertet

Der Erfolg von M&A-Aktivitäten im Leben-Bereich ist im Wesentlichen von „weichen“ Faktoren wie der richtigen M&A-Strategie und „harten“ Faktoren wie dem Kaufpreis sowie einer hinreichenden Financial Due Diligence als Basis für die Unternehmensbewertung abhängig. Häufig sind M&A-Aktivitäten aber unprofitabel, sodass verhaltensorientierte Erklärungen für diese Vorhaben gesucht werden, die bei der Entscheidungsfindung unterbewusst auftreten. Es stellt sich daher die Frage, wie finanzpsychologische Fehler bei M&A-Transaktionen zu vermeiden sind, um wertsteigernde Kaufentscheidungen zu treffen.

Während die „weichen“ Faktoren wegen der hohen Spezifität einer Transaktion nicht verallgemeinert betrachtet werden können, fokussieren sich die weiteren Ausführungen auf Fehler in der Unternehmensbewertung, die die Basis für die Kaufpreisermittlung darstellt. Dafür wird zunächst von den klassischen Unternehmensbewertungsverfahren zu den branchenspezifischen Bewertungskonzepten übergeleitet, die die Besonderheiten des Geschäftsmodells von Lebensversicherungsunternehmen berücksichtigen.

Hierfür werden der Market Consistent Embedded Value, die Solvabilitätsübersicht und Multiplikatorverfahren bei Versicherungsunternehmen betrachtet. Anschließen werden die finanzpsychologischen Fehlerquellen dargestellt, um daraus Kriterien abzuleiten, mit denen die branchenspezifischen Bewertungskonzepte gegenübergestellt werden. In einem abschließenden Fazit werden die Erkenntnisse aus dieser Gegenüberstellung zusammengefasst.

„Klassische und branchenspezifische Bewertungsverfahren

Bei den klassischen Bewertungsverfahren wird zunächst zwischen Einzel- und Gesamtbewertungsverfahren unterschieden. Während Einzelbewertungsverfahren eine separate Bewertung sämtlicher Aktiva und Passiva vorsehen, um zum Eigenkapital zu gelangen, basieren die Gesamtbewertungsverfahren auf dem Kapitalwertkalkül der Investitionstheorie. Bei den Einzelbewertungsverfahren werden Substanz und Liquidationswert unterschieden.

Die Bewertung der einzelnen Vermögensgegenstände und Schulden erfolgt dabei entweder mit oder ohne Annahme der Unternehmensfortführung. So ergibt sich der Substanzwert aus der Summe der Wiederbeschaffungswerte der einzelnen Vermögensgegenstände zum Stichtag. Der Liquidationswert beinhaltet den Barwert der Nettoerlöse, die sich aus der Veräußerung der einzelnen Vermögensgegenstände ergeben, abzüglich Fremdkapital und Veräußerungskosten.

Bei den Gesamtbewertungsverfahren wird zwischen den investitionstheoretischen und den Multiplikatorverfahren unterschieden. Hier wird mittels vergleichbarer Unternehmen oder vergleichbarer Transaktionen eine Bewertung aus Perspektive des Marktes hergeleitet. Aus den vergleichbaren Unternehmen oder Transaktionen als Bezugspunkte werden Multiplikatoren abgeleitet, die auf eine Erfolgskennzahl (z.B. Gewinn, Umsatz, EBITDA) ausgerichtet sind. So kann der Unternehmenswert z.B. als das Achtfache des Umsatzes ausgedrückt werden. Um den Wert des zu bewertenden Unternehmens zu ermitteln, wird der Multiplikator mit der unternehmensindividuellen Größe multipliziert. Die Güte dieser Bewertung ist primär von der Vergleichbarkeit des Bezugspunktes mit dem zu bewertenden Unternehmen abhängig.

Zwei-Phasen-Modell

Gedanklicher Ausgangspunkt der investitionstheoretischen Verfahren ist das Dividendendiskontierungsmodell, das zur Aktienbewertung verwendet wird, bei dem die künftigen Dividenden (als Ausschüttungen an die Anteilseigner) mit einem hinsichtlich Währung, Laufzeit und Risiko äquivalenten Zins diskontiert werden. Sämtliche investitionstheoretische Verfahren folgen diesem Grundkonzept und sehen die Diskontierung einer Cashflow- oder Ertragsgröße mit einem äquivalenten Zins vor.

Um den Unternehmenswert mit diesen Methoden ermitteln zu können, ist eine Prognose der künftigen Erträge bzw. Cashflows erforderlich. Diese Prognose erfolgt im Rahmen des 2-Phasen-Modells zunächst über einen begrenzten Zeitraum im Detail, worauf anschließend ein unendliches Rentenmodell folgt. Außerdem erfolgt die Bewertung deterministisch, d.h. es wird nur der Wert mit der höchsten Eintrittswahrscheinlichkeit kalkuliert. Die Unsicherheiten in der Bewertung sind damit nicht evident. Es werden keine Informationen über die Schwankungsbreiten und die Eintrittswahrscheinlichkeiten künftiger Risiken vermittelt.

Aufgrund der Besonderheiten des Geschäftsmodells von Lebensversicherungsunternehmen, sind die investitionstheoretischen und Multiplikatorverfahren aber nicht unmittelbar anwendbar. Den investitionstheoretischen Bewertungskonzepten liegt das Shareholder-Value-Konzept zugrunde, bei dem der Unternehmenswert anhand der Wertschöpfung für die Anteilseigner gemessen wird. Unternehmenswertsteigerungen bei Lebensversicherungsunternehmen sind aber nicht nur mit Risiken für Aktionäre, sondern auch für Versicherungsnehmer verbunden: Das von den Versicherten angesammelte versicherungstechnische Fremdkapital hat hinsichtlich seiner Vergütung teilweise Eigenkapitalcharakter, da die Ansprüche der Versicherungsnehmer wegen der Überschussbeteiligung vom Unternehmenserfolg abhängen.

Besonderheiten des Versicherungsgeschäfts

Die Überschussbeteiligung und die vertraglichen Optionen und Garantien sind dabei explizit zu modellieren, um sie als Nicht-Aktionärs-Cashflows berücksichtigen zu können. Da die Cashflows aus der Überschussbeteiligung nach der handelsrechtlichen Rechnungslegung ermittelt werden, ist eine – ggf. vereinfachte – Modellierung der HGB-Bilanz erforderlich. Dabei besteht eine hohe Abhängigkeit von der künftigen Kapitalmarktentwicklung. Eine rein deterministische Vorgehensweise bei der Bestimmung der künftigen Kapitalanlageerträge wäre dabei aufgrund der unsicheren und volatilen Kapitalmarktentwicklung nicht sachgerecht. Für die Kapitalanlagen ist daher eine stochastische Modellierung durchzuführen. Dasselbe gilt auch für das Risikogeschäft, da dem Versicherungsgeschäft naturgemäß Stochastizität innewohnt.

Letztlich sind aufgrund der Langfristigkeit der Verträge die Cashflows vergleichsweise sicher schätzbar. Die Berechnung einer ewigen Rente im Rahmen des 2-Phasen-Modells der investitionstheoretischen Verfahren ist daher nicht sachgerecht, wenn man den Versicherungsbestand bewertet. Um die Branchenspezifika bei der Bewertung eines Versicherungsbestandes zu berücksichtigen, wurden die Embedded-Value-Konzepte entwickelt, die einen Best Estimate der Aktionärs-Cashflows aus einem Versicherungsbestand ermitteln und damit den Wert eines Portefeuilles von Versicherungsverträgen darstellen. Nachdem das CFOForum den traditionellen Embedded Value zunächst zum auf zwölf Prinzipien basierenden European Embedded Value vereinheitlicht hat, erfolgte in 2008 mit dem Market Consistent Embedded Value (MCEV) eine Weiterentwicklung, um ein konsistentes und transparentes Reporting zu gewährleisten.

„Seit der Einführung von Solvency II müssen Versicherungsunternehmen in der Solvabilitätsübersicht Bericht über die Vermögenslage nach aufsichtsrechtlichen Vorschriften erstatten.“

Torben Geppert, FSI Audit & Assurance/Insurance Deloitte GmbH

Aus der Besonderheit des Versicherungsgeschäfts ergibt sich außerdem die Notwendigkeit, besondere Rechnungslegungsvorschriften zu definieren. So folgen Bilanz und GuV von Versicherungsunternehmen nicht den Gliederungsvorschriften der §§ 266 und 275 HGB, sondern den Formblättern der RechVersV. Außerdem werden die allgemeinen Ansatz- und Bewertungsvorschriften durch §§ 341 ff. HGB sowie die Vorschriften der RechVersV ergänzt. Möchte man ein Versicherungsunternehmen mittels Multiplikatorverfahren bewerten, sind die gängigen Multiplikatoren, wie z. B. EBITDA und EBIT, deshalb nicht übertragbar, da sie für Versicherungsunternehmen keine Bedeutung entfalten. Folglich sind Multiplikatoren zu definieren, die den Branchenspezifika gerecht werden. Da die Güte der Bewertung mit Multiplikatoren von der Vergleichbarkeit des gewählten Bezugspunktes abhängig ist, ist zu prüfen, inwieweit börsennotierte Lebensversicherungsunternehmen als Bezugspunkt zur Verfügung stehen.

Neben den handelsrechtlichen und ergänzenden Vorschriften der RechVersV gibt es weitere aufsichtliche Vorschriften. Seit der Einführung von Solvency II müssen Versicherungsunternehmen in der Solvabilitätsübersicht Bericht über die Vermögenslage nach aufsichtsrechtlichen Vorschriften erstatten. Die Solvabilitätsübersicht kann dabei als Einzelbewertungsverfahren verstanden werden, dessen Grundgedanke die marktnahe Bewertung aller Vermögenswerte und Verbindlichkeiten ist.

Finanzpsychologische Fehlerquellen

Finanzpsychologische Fehler können durch Bias und Heuristiken auftreten und beeinflussen die Kaufpreisermittlung. Die Grundlage für den Kaufpreis bei M&A-Transaktionen stelltdie Unternehmensbewertung dar. Der tatsächliche Kaufpreis weicht dabei regelmäßig von dem in der Unternehmensbewertung ermittelten Wert ab. Mangels objektiver Fundierung sind diese Abweichungen primär fehlerbehaftet, doch können die finanzpsychologischen Fehler auch schon bei der Durchführung der Bewertung auftreten, insbesondere beim Treffen von Annahmen. Diese Fehler sind daher bereits bei der Unternehmensbewertung zu vermeiden.

Bias sind systematische Fehler, die bei kognitiven Prozessen auftreten. Beispiele für Bias sind Overconfidence, das zu exzessiv optimistischen Annahmen über die künftige Entwicklung führt, und der Confirmation Bias, bei dem Informationen, die die eigene Meinung bestätigen, stärker gewichtet werden als solche, die die eigene Meinung widerlegen. Heuristiken sind – allgemein formuliert – Abkürzungen bei der Entscheidungsfindung, die nicht auf einem formallogischen Prozess basieren. So z.B. die Verfügbarkeitsheuristik, bei dem schnell verfügbaren Informationen eine höhere Bedeutung beigemessen wird.

Um Entscheidungsverzerrungen aus diesen beiden finanzpsychologischen Fehlerquellen zu vermeiden, ist eine Bewertungsmethodik zu wählen, die der grundsätzlich subjektiven Bewertung mit Objektivität und Manipulationsresistenz begegnet. Dem steht entgegen, dass in der Bewertungspraxis zahlreiche Annahmen getroffen werden müssen. Einen einzig richtigen, objektiven Wert kann es daher nicht geben. Die bestmögliche Annäherung an eine objektive Größe stellt die typisierend subjektive Bewertung dar. Die Annahmen sind dafür weitestgehend auf beobacht- und nachprüfbare Marktdaten zu stützen. Außerdem ist eine Bewertungsmethode zu wählen, die transparent und verständlich ist, um subjektive Einflüsse in den Annahmen und Berechnungen zu erkennen und damit die Grundlage für die akkurate Ermittlung des Kaufpreises zu schaffen.

Da in M&A-Transaktionen grundsätzlich Informationsasymmetrien zwischen Käufer und Verkäufer bestehen, ist allgemein mit der Bewertungsmethodik sicherzustellen, dass das Geschäft und seine Spezifika vollständig abgebildet werden, sodass keine wesentlichen Bestandteile in der Bewertung und später im Kaufpreis unberücksichtigt bleiben.
Die Kriterien für die Würdigung der Bewertungsmethoden sind damit

  • Marktdaten als Basis (Objektivität und Manipulationsresistenz),
  • Transparenz und Verständlichkeit sowie
  • Vollständigkeit.

Autor: Torben Geppert, FSI Audit & Assurance/Insurance Deloitte GmbH

Lesen Sie mehr zum Thema in der Mai-Ausgabe des Magazins Versicherungswirtschaft.

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