Reiseflaute 2020: Erreichen Versicherer wieder die Haftungsgrenze von 110 Mio. Euro?

Quelle: David Miller auf Pixabay

Die coronabedingte Reiseflaute 2020 kommt die Versicherer teuer zu stehen. Aber auch die öffentliche Hand wird nochmals tief in die Tasche greifen müssen, hat die Bundesregierung es doch nach der Insolvenz des Reiseveranstalters Thomas Cook im September 2019 nicht rechtzeitig geschafft, dieses Feld genügend und EU-konform neu zu ordnen. Damit wird sie wohl wie im Fall von Thomas Cook für nicht ausreichend versicherte Insolvenzen aufkommen müssen.

Am Dienstag wurde die weltweite Reisewarnung für nicht notwendige oder touristische Reisen im Zuge des Pandemie-Schutzes bis zum 14. Juni 2020 verlängert. Damit ist über den Sommerurlaub im Ausland zwar noch nicht endgültig entschieden, aber die Zeit wird knapp. In sechs Bundesländern, darunter auch dem Bevölkerungsreichste, Nordrhein-Westfalen, beginnen die Sommerferien noch im Juni (ab dem 22. Juni 2020).

Weltweiter Tourismus dürfte mit Blick auf EU-Einreisebeschränkungen an den Außengrenzen, Quarantänebestimmungen in Deutschland bei Rückreise, den EU-Binnengrenzkontrollen und der weiter grassierenden Pandemie in Kürze illusorisch bleiben.

Der Deutsche Reiseverband (DRV) hatte bereits in der Woche zuvor Alarm geschlagen: „Zwei von drei Unternehmen bewerten ihre Situation so dramatisch, dass sie sich unmittelbar von einer Insolvenz bedroht sehen. 80 Prozent der Unternehmen haben bereits bei der Bundes- oder Landesregierung Hilfen beantragt. Drei Viertel der Unternehmen sind aktuell schon auf Kurzarbeit.“ Dies hatte eine Umfrage des Verbandes unter seinen Mitglieder ergeben. Der DRV vertritt rund 4.000 Reiseveranstalter und -büros, die über 90 Prozent des Pauschalreise-Marktes ausmachen. Befürchtet wird, dass die Mehrheit der 11.000 Reisebüros und über 2.300 Reiseveranstalter die existenzielle Bedrohung durch die Corona-Pandemie nicht überstehen.

Bedingter Schutz

Gegen eine Insolvenz ihres Reiseveranstalters sind die Kunden im Rahmen der Reisepreisabsicherung geschützt. Doch diese Kautionsversicherung funktioniert allenfalls bedingt. Denn die Haftung für den einzelnen Absicherer von Kundengeldern (Versicherer oder auch Kreditinstitut) ist in §651r BGB auf maximal 110 Millionen Euro je Geschäftsjahr (in der Tourismusbranche vom 1. November bis 31. Oktober) begrenzt – unabhängig davon, wie viele Reiseveranstalter er versichert. Das Gesetz verpflichtet zwar den „Reiseveranstalter … Sicherheit (zu) leisten“, was beispielsweise auch durch den Einkauf von Deckungen bei mehreren Versicherern geschehen könnte, doch mangelt es hier an Kontrollen, wie von Marktkennern zu hören ist. Das ist auch nicht verwunderlich, sollen die Reiseveranstalter doch eine Leistung zu Gunsten eines Dritten, nämlich des Kunden, eingehen, die sie nur kostet, ihnen selbst aber nichts nützt. Denn ein insolventes Unternehmen braucht auf seinen Ruf nicht mehr zu achten.

Eine Handvoll Anbieter

Bei Thomas Cook regulierte der Reisepreisabsicherer Zurich die Schäden aus der Insolvenz mit der Quote von 17,5 Prozent. Für den restlichen Schaden hat die Bundesregierung erklärt aufzukommen, reguliert ist von diesen 82,5 Prozent aber noch nichts. Neben der Zurich, die nach wie vor in diesem Markt aktiv ist, gibt es nur wenige weitere Absicherer. Marktkenner sprechen hier von insgesamt fünf bis maximal zehn Anbietern und demzufolge mit einem Haftungsvolumen von etwas mehr als einer halben bis einer Milliarde Euro. Der Gesamtumsatz der Reiseveranstalter in Deutschland belief sich laut Destatis 2019 auf über 35 Mrd. Euro.

Die HanseMerkur Reiseversicherung AG (HMR) hat eigenem Bekunden ca. 1.300 hauptsächlich kleine und mittelgroße Reiseveranstalter unter Vertrag. Ihre „Kautionsversicherung für Reiseveranstalter“ erwirtschaftet jährlich knapp vier Millionen Euro Beitrag. „Unser Portefeuille ist über Quotenrückversicherung  und Jahresschadenexcedenten-Rückversicherung abgesichert“, sagt Unternehmenssprecher Heinz-Gerhard Wilkens. Zur Insolvenzbedrohung der Reisebranche will er sich nicht äußern, stimmt aber dem DRV zu, dass für die Tourismusbranche bisher zu wenige wirksame Maßnahmen auf die Beine gestellt worden seien.

Die R+V versichert seit 1994 mehr als 6.000 überwiegend kleine und mittlere Reiseveranstalter sowie Reisebüros und Gelegenheitsveranstalter. „Aufgrund der aktuell geltenden Reisebeschränkungen erwarten wir im Jahresverlauf deutlich steigende Insolvenzzahlen in dieser Branche. Ob die gesetzliche Haftungsobergrenze erreicht oder gar überschritten wird, ist aufgrund unseres breit gestreuten Portfolios schwer abzuschätzen und bleibt abzuwarten“, sagt eine Unternehmenssprecherin auf Anfrage.

Wenig bis praktisch nichts ist über den Deutschen Reisepreis-Sicherungsverein (DRS) zu erfahren. Dieser Versicherungsverein sichert immerhin die Kundengelder des Reiseriesen TUI, der auf einen Marktanteil von etwa 18 Prozent kommt, sowie bis vor kurzem auch des Marktzweiten, der Rewe-Tochter DER Touristik, ab. Eine Homepage hat der DRS nicht. Auch veröffentlicht er seine Geschäftsberichte nicht im Bundesanzeiger. Das Handelsblatt hatte schon im November gemeldet, dass die Bafin die Insolvenzabsicherung von Tui, der Rewe-Tochter DER Touristik und der DB-Tochter Ameropa über die DRS für unzureichend befunden habe.

Am 24. April veröffentlichte die TUI unter „Kontinuität bei der Kundengeldabsicherung für Pauschalreisen“ auf ihrer Website, dass sie die „Eigenmittel des langjährigen Versicherers DRS aufgestockt“ habe. Die  Konzepte zur Stärkung des DRS seien von der zuständigen Aufsichtsbehörde BaFin genehmigt worden. TUI hätte dem ebenfalls bereits vor der Bewilligung des staatlichen KfW-Überbrückungskredits zugestimmt. Neben der Kapitaleinlage sei eine zusätzliche Stärkung des DRS über ein Rückversicherungskonzept geplant.

Das deutet darauf hin, dass die Solvenz des Vereins offensichtlich noch nicht ausreicht. Die Deutsche Presseagentur (dpa) meldete, dass TUI, „die wegen des beispiellosen Einbruchs im Reisegeschäft mit einem staatlichen Hilfskredit von 1,8 Mrd. Euro gestützt werden, die Eigenmittel des DRS laut einem Konzernsprecher bis Juli schrittweise auf 110 Mio. Euro aufstocken (wollen). Dem Vernehmen nach soll die Summe sogar auf 130 Mio. Euro wachsen“. DER ist seit Ende April bei der R+V unter Vertrag.

Die Reisepreisabsicherung zählt der GDV zur Kreditversicherung. Die drei großen Kreditversicherungsgruppen Atradius, Coface und Euler Hermes zeichnen dieses Geschäft aber nicht.

Mögliche Klagewelle

40 Prozent der Deutschen haben einer Umfrage von Yougov im Auftrag der Roland Rechtsschutz vor Corona-Ausbruch eine Reise gebucht, die bereits ausgefallen ist bzw. aller Wahrscheinlichkeit nach ausfallen wird. 46 Prozent derer, deren Reise schon storniert wurde, haben ihre geleisteten Zahlungen zurückerstattet bekommen. 31 Prozent haben ihr Geld zwar noch nicht zurück, rechnen aber mit der vollständigen Erstattung. 12 Prozent der Reisekunden erwarten, dass sie zumindest teilweise auf den Kosten sitzen bleiben. Bei elf Prozent der Befragten steht dies sogar bereits fest.

Bei 54 Prozent der von einem Reiseausfall Betroffenen geht es um einen Betrag von unter 500 Euro. Für zehn Prozent beläuft sich der finanzielle Schaden auf über 1.000 Euro. 15 Prozent der Geschädigten planen, rechtliche Hilfe zur Klärung des Sachverhalts in Anspruch zu nehmen oder haben dies bereits getan.

Autorin: Monika Lier

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