Alte Geschichte und dennoch jung geblieben: Der Aufstieg des Versicherungsstandortes Liechtenstein

Hohe Burg in Liechtenstein, Quelle: Bild von pasja1000 auf Pixabay

Einst galt das kleine Alpen-Fürstentum als „Armenhaus Europas“. Heute hat sich Liechtenstein dank der dort angesiedelten Banken einen durchaus zweifelhaften Ruf als Steueroase erarbeitet. Nach dem Ende des Kommunismus 1989/90 haben auch die Versicherungskonzerne das kleine Land zwischen Österreich und der Schweiz für sich entdeckt. Heute liefert der Versicherungsstandort Liechtenstein wichtige Impulse für verschiedene europäische Märkte – auch für den in Deutschland durchaus umstrittenen Provisionsdeckel.

Das Fürstentum Liechtenstein gehört zu den jüngsten Staaten auf der europäischen Landkarte. 1719 wurde die Grafschaft von Vaduz und die Herrschaft von Schellenberg von Kaiser Karl VI. zum Reichsfürstentum von Liechtenstein erhoben. Noch bis zu Beginn des 19. Jahrhunderts war das absolutistisch regierte Fürstentum von Armut geprägt, wurde sogar als „Armenhaus Europas“ bezeichnet. Viele Liechtensteiner wanderten in dieser Zeit aus oder pendelten als Gastarbeiter in die umliegenden europäischen Staaten. Bekannt wurden vor diesem Hintergrund unter anderem die „Schwabenkinder“ – Kinder armer Bauern aus dem gesamten Alpenraum, die sich saisonweise auf wohlhabenden Höfen in der Schwäbischen Alb verdingten. Heute hat sich das Verhältnis vollständig gedreht: Ein Drittel der Liechtensteiner Bevölkerung hat eine ausländische Staatsangehörigkeit, wobei es sich überwiegend um Deutsche, Schweizer und Österreicher handelt. Hinzu kommen zahlreiche Grenzgänger: Über 20.000 Menschen pendeln täglich aus den Nachbarstaaten. Ein Großteil der Pendler kommt dabei aus der Schweiz (55 Prozent) und aus Österreich (40 Prozent).

Nach Ende des Ersten Weltkrieges suchten die Liechtensteiner nach kreativen Lösungen, um der Armut zu entfliehen: Briefmarken, Lotterie und Etablierung von Sitz- bzw. Domizilgesellschaften waren erste Ideen, um Kapital ins Land zu holen. Aber auch der 1923 geschlossene Zollvertrag mit der Schweiz und die ein Jahr später eingeführte Währungsunion mit den Eidgenossen samt Einführung des Schweizer Franken als gesetzliches Zahlungsmittel trugen zum raschen wirtschaftlichen Aufstieg des Fürstentums bei. Mit knapp 40.000 Einwohnern auf 160 Quadratmetern ist Liechtenstein der sechstkleinste Staat der Erde. Außer der Tatsache, dass das Fürstentum mit einem beeindruckenden Bergpanorama aufwarten kann, war der Finanzplatz rund um das Schloss Vaduz vielen Anlegern bislang in erster Linie als Steueroase ein Begriff.

Gute Rahmenbedingungen für Neugründungen

Für kreative Lösungen ist das Fürstentum auch heute noch bekannt. Liechtenstein bietet beispielsweise mit dem Zugang zu zwei Wirtschaftsräumen, der Schweiz und dem EU-Raum, gute Rahmenbedingungen für die Niederlassung und Neugründung von Unternehmen. Schnelle und kurze Zulassungsprozesse erleichtern vielen jungen Unternehmen einen schnellen Markteintritt. Die Wirtschaftskammer Liechtenstein bietet mit „100pro!“ ein Ausbildungsprogramm für junge Leute und schaffte es damit, den von Fachkräftemangel geprägten Arbeitsmarkt wieder attraktiv und zukunftsfähig zu machen. Außerdem dient die Finanzmarktaufsicht FMA auch als zentraler Ansprechpartner für Start-UP-Unternehmen im Finanzbereich und unterstützt diese bei allen Fragen in Bezug auf Konformität mit EU Richtlinien. Die Behörde steht in ständigem Austausch mit anderen Aufsichtsbehörden wie der europäischen Eiopa.

43 Prozent der Bruttowertschöpfung werden durch die Industrie erwirtschaftet. Somit gehört Liechtenstein heute zu den Ländern mit den höchsten Industriequoten der Welt. Sowohl bei Standard & Poor’s als auch bei Moody’s wird das Fürstentum mit dem höchsten Bonitätsrating AAA gewürdigt. Laut Global Sustainable Competitiveness Index 2017 (GSCI) belegt Liechtenstein Platz 17 auf dem weltweiten Ranking von 180 Ländern. Der GSCI misst die nachhaltige Wettbewerbsfähigkeit eines Landes. Berechnet wird dieser Index anhand von verschiedenen Kriterien, darunter natürliche Ressourcen, soziales Kapital, intellektuelles Kapital und Ressourcenmanagement. 27 Prozent der Bruttowertschöpfungskette werden durch allgemeine Dienstleistungen und 23 Prozent im Finanzwesen generiert. Die restlichen sieben Prozent kommen aus der Landwirtschaft und Haushalten. 62  Prozent der Einwohner sind im Dienstleistungssektor tätig, wobei rund 6.000 Personen im Finanzbereich beschäftigt sind. Die Unternehmenssteuer beträgt moderate 12,5 Prozent, mindestens jedoch 1.800 Schweizer Franken und liegt damit weit unter dem europäischen Durchschnitt von 22,9 Prozent (Stand: 2016).

Die EWR-Mitgliedschaft und die bilateralen Handelsabkommen tragen erheblich zum Erfolg des Finanzdienstleistungssektors bei. Zudem gelten Kapitalanlagen in Liechtenstein als besonders sicher, da die Einlagen als Sondervermögen gesetzlich besonders geschützt sind. Insgesamt gibt es in Liechtenstein heute 14 Banken. Die LGT (Liechtenstein Global Trust) ist die größte Bank und ist auf den Privatkundenbereich spezialisiert. Geführt wird die LGT von der fürstlichen Familie Liechtenstein selbst. Liechtensteiner Banken beschäftigten 4.620 Mitarbeiter im In- und Ausland. Die durchschnittliche Kernkapitalquote beträgt 18,8 Prozent und liegt damit über dem europäischen Durchschnitt von 13 bis 17 Prozent. Der Liechtensteinische Bankenverband (LBV) nimmt an europäischen Gremien teil und wirkt aktiv bei der Gestaltung der Gesetze auf europäischer Ebene mit.

Lokale Versicherungsplayer: Uniqa, Fortuna und Valorlife

Als 1989 die innerdeutsche Mauer fiel, gab es im Fürstentum genau null Versicherer. Heute übersteigt die Zahl der Assekuranz-Institute sogar die der Banken in Liechtenstein. Das Fürstentum zählt heute 38 Versicherer, wovon 20 Lebensversicherungen, 15 Schadensversicherungen und drei Rückversicherungen anbieten. 1995 registrierte die FMA mit einer Niederlassung der österreichischen Uniqa in Vaduz den ersten Versicherer im Fürstentum, es folgten Fortuna und Valorlife. Ausschlaggebend für diese Entwicklung war die Unterzeichnung des EWR-Abkommens im Jahr 1995, dem eine europakonforme Gesetzgebung des Fürstentums in den Jahren danach sowie das Direktversicherungsabkommen mit der Schweiz im Jahr 1997 folgte, so dass Liechtensteiner Versicherer ihre Produkte sowohl im gesamten EU-Raum als auch in der Schweiz vertreiben konnten.

Nach der Jahrtausendwende setzte ein regelrechter Take-Off der Liechtensteiner Versicherungswirtschaft ein. 1999 gründeten acht Versicherer in Vaduz den Liechtensteinischen Versicherungsverband (LVV), dem heute 28 Gesellschaften angehören. Der LVV setzt sich vor allem für die Weiterführung der bislang erfolgreichen Politik der Steuerkooperation ein und befürwortet auch die Aushandlung weiterer Doppelbesteuerungsabkommen. Heute sind etwa 971 Mitarbeiter in der Assekuranz in Liechtenstein beschäftigt. Ende 2018 betrug die Bilanzsumme 29,5 Mrd. Schweizer Franken. Im selben Geschäftsjahr verbuchte die gesamte Versicherungsbranche eine Bruttoprämie in Höhe von 5,4 Mrd. Schweizer Franken.

Impulse zur Diskussion um den Provisionsdeckel

Das kleine Alpen-Fürstentum hat bewiesen, dass es sich mit Ideenreichtum, einer schlanken Verwaltung, einer hohen Anziehungskraft für Fachkräfte, Schnelligkeit und einem unabhängigen Blick von außen – neue Märkte erschließen kann. Künftig muss der Schwerpunkt vor allem auf der digitalen Transformation der Versicherungswirtschaft liegen. Hier bieten sich Chancen, Versicherungsprodukte digital neu zu denken und somit für die Verbraucher attraktiver zu gestalten. Vor allem sollte die neue Technologie dafür eingesetzt werden, die immer noch zu hohen Kostenquoten gerade im Bereich Leben von durchschnittlich 20 Prozent zu senken. Allein dieser Bereich birgt erhebliches Einsparungspotential. Aber auch im Vertrieb sind vor dem Hintergrund der IDD-Richtlinie Veränderungen notwendig.

Der Versicherungsstandort Liechtenstein hat hier schon oft bewiesen, europäische Regulierungsvorgaben schnell und nachhaltig umzusetzen und dass die europäische Gesetzgebung mit zur Kernkompetenz des Fürstentums gehört. Wichtige Impulse für verschiedene europäische Märkte, besonders vor dem Hintergrund der anhaltenden Diskussion um den Provisionsdeckel in Deutschland kamen nicht zuletzt aus Liechtenstein, wo Nettopolicen samt digitalen Vertriebslösungen speziell für den deutschen Markt erfolgreich entwickelt wurden. Auch die verstärkte Nutzung von mobilen Endgeräten und damit verbundene steigende Popularität von App-Lösungen sind Lösungen, die in Liechtenstein entwickelt werden. Liechtenstein verabschiedete zudem am 28. August 2018 den Vernehmlassungsbericht zum neuen Blockchain-Gesetz (VGT). Ziel des neuen Gesetzes ist es, die Rechtssicherheit für Nutzer und Dienstleister zu stärken, um die positive Entwicklung der „Token-Ökonomie“ in Liechtenstein weiter voranzutreiben.

Um Talente, Ideen und Finanzierer zusammenzubringen, begann die bereits 2017 von Regierung und Fürstenhaus gemeinsam gegründete Standortinitiative digital-liechtenstein.li in diesem Jahr mit ihrer Arbeit. Der Initiative sind bereits 40 Liechtensteiner Unternehmen beigetreten, darunter aus den Bereichen Industrie (z.B. Hilti, Oerlikon balzers, thyssenkrupp) Bank (z.B. LGT, VP-Bank, Liechtensteinische Landesbank), Bildung (z.B. formatio, NTB, Universität Liechtenstein) und Versicherungswirtschaft (Baloise, Liechtenstein Life). Neben zahlreichen Maßnahmen wie Veranstaltungen und Fachbeiträgen fördert digital-liechtenstein.li besonders den Bereich der Aus- und Weiterbildung und leistet damit einen Beitrag, dass das Fürstentum auch in Zukunft modern und nachhaltig aufgestellt ist

Den vollständigen Beitrag lesen Sie in der August-Ausgabe der Zeitschrift Versicherungswirtschaft.