Rezessionsangst: Wo bleiben die Innovationen Deutschland?

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Handelskonflikte und eine schwächere Weltkonjunktur bremsen die exportabhängige deutsche Wirtschaft aus. Doch auch die fehlende Innovationskraft der meisten Großkonzerne trägt zum Abschwung bei. „Made in Germany“ ist nicht mehr das, was es mal war. Ein Exkurs zum strukturellen Umbruch in der deutschen Wirtschaft.

Geht dem Standort D jetzt wirklich die Luft aus? Von der viel proklamierten Planungs-, Organisations- und Innovationskraft vergangener Tage jedenfalls scheint aktuell nicht mehr allzu viel übrig geblieben zu sein. Führende Konzerne stellen um auf Krisenmodus. Auf Gewinnwarnungen folgen Effizienzprogramme. Auf Effizienzprogramme folgen Kosteneinsparungen. Auf Kosteneinsparungen der Abbau von Stellen. Deutsche Bank, Deutsche Telekom, Siemens, Bayer, Thyssenkrupp, BASF – traditionsreiche Giganten setzen den Rotstift an. Die Deutsche Bank etwa erwägt den Abbau von weltweit bis zu  18.000 Arbeitsplätzen, BASF-Chef Martin Brudermüller will Verwaltung sowie Serviceeinheiten bei dem Ludwigshafener Konzern komplett neu aufstellen und bis 2021 rund 6.000 Stellen streichen. Bei VW werden 4.000 Stellen in den Zentralfunktionen nicht neu besetzt. Der Autobauer muss milliardenschwere Investitionen in die E-Mobilität und ins autonome Fahren tätigen. Solche Dimensionen gab es lange nicht. Dagegen wirken die Programme der Versicherer geradezu mickrig. Unternehmen reagieren auf das schwierige konjunkturelle Umfeld, sagt Kai Bender, Deutschlandchef der Unternehmensberatung Oliver Wyman. Sie wollen sich robust machen. 

Man verlässt sich lieber auf die Nachfrage aus dem Ausland als auf Innovationen

So etwas wie die letzte große Sparwelle hatte die deutsche Wirtschaft im Jahr 2012/13 erfasst, als viele Firmen Umsatzrückgänge verbuchten. Damals starteten 22 von 30 Dax-Konzernen Programme zur sogenannten Effizienzsteigerung. In fast jedem Fall traf es vor allem den Overhead, sprich Verwaltungen, Konzernstäbe, Einkaufs- und Finanzabteilungen.

Dass heute am Standort Deutschland zu wenig perspektivisch gedacht wird und zu stark von Tag zu Tag, bemängeln dagegen die Kritiker. Der Schweizer Journalist Beat Balzli bringt es nüchtern auf den Punkt: „Während andere hochkomplexe Tunnelsysteme termingerecht durchs Alpenmassiv treiben, kriegt das Land Berlin nicht mal den Bau eines Flughafens auf die Reihe. Während Länder wie Japan ihre Züge auf die Sekunde und den Millimeter genau an Bahnhöfen stoppen lassen, jagt die Deutsche Bahn ohne Halt der verlorenen Zeit hinterher. Während andere schon mit dem jüngsten Mobilfunkstandard 5G arbeiten, steckt Deutschland in der Funklochdebatte fest. Während andere hippe Elektroautos bauen, manipuliert die weltweit größte Autoindustrie lieber jahrelang die Abgaswerte.“ 

Deutschland hinkt hinterher, wirkt in Unternehmertum, Strategie und Innovation lethargisch. Wundern sollte das allerdings nicht unbedingt. Seit der letzten Wirtschafts- und Finanzkrise ging es bei den Unternehmen fortwährend bergauf. Die Geschäfte liefen quasi von allein, globale Exporte nahmen zu. Kam es in bestimmten Regionen zu Problemen, wurde das durch den Boom in China mehr als ausgeglichen. Umsatz und Gewinn wuchsen in fast allen Branchen. Nun jedoch flaut die Weltkonjunktur spürbar ab, China strauchelt. Die Probleme der Autoindustrie, die sich auf neue Antriebe und das autonome Fahren umstellen muss, lasten schwer. Dazu kommen weltweite Handelsauseinandersetzungen. Das große Problem einer Exportnation wie Deutschland: alles, was schlecht für den freien Welthandel ist, ist schlecht für das Land.

Was vor Jahren noch gut war, ist es auf einmal nicht mehr

Und da wäre natürlich noch die Digitalisierung. Sie schafft Arbeitsplätze, sie streicht Arbeitsplätze und führt vor allem dazu, dass Geschäftsmodelle neu ausgerichtet werden müssen. Deutschland bekommt gerade die volle Breitseite der Disruption zu spüren. Was vor ein paar Jahren noch gut war, ist es auf einmal nicht mehr. Exemplarisch für dieses Dilemma steht u.a. die Deutsche Telekom. Frei nach dem Motto“„Raus aus der Innenstadt, rein ins Internet“, strafft das Bonner Unternehmen die Zahl der Verkaufsstandorte und konzentriert sich auf digitale Services. Das Netz mit rund eigenen 500 Geschäften sei inzwischen überdimensioniert, sagte dem Handelsblatt ein Konzerninsider. Von den 4.500 Stellen seien rund 1.200 Jobs überflüssig geworden, heißt es. Das kuriose dabei: Erst 2013 eröffnete der Konzern neue Läden, um Wettbewerbern Paroli bieten zu können. Zwischenzeitlich verkaufte die Telekom in über 1.100 Filialen seine Leistungen, rund 800 davon gehörten dem Unternehmen direkt. Derzeit sind es gut 1. 000 Geschäfte, von denen die Hälfte dem Unternehmen gehört. Der Plan schlug fehl.

Es gebe immer noch Fallstricke und Unwägbarkeiten beim digitalen Umbau innerhalb deutscher Unternehmen, berichtet Fujitsu Manager Rolf Werner. Firmen würden auch aufgrund der falschen Zielsetzung durch den IT-Umbau keinen signifikanten Wettbewerbsvorteil erzielen. Doch ist das nicht genau das große Ziel? Fehlende Markierungspunkte, vor allem aber die Inszenierung von Digitalisierung als bunt-fröhliche Fabelwelt kritisiert Panos Meyer. „Je stärker wir uns eine Gute-Laune-Digitalisierung als Scheinwirklichkeit aufbauen und je mehr Konzerne ihr Heil in einem bunten Fassadenanstrich suchen, desto böser wird das Erwachen in einigen Jahren sein“, warnt der Geschäftsführer der Digitalagentur Cellular. Veränderung ist nicht immer nur Spaß, manchmal tut sie weh. 

Indes beginnen die Unternehmen beim Aufräumen in den Zentralen damit, Aufgaben von Maschinen erledigen zu lassen. Wo Buchhalter Überweisungen mit Tippfehlern und Zahlendrehern überprüfen, übernimmt der Algorithmus. Wo der Controller aufwendige Modelle zu Absatz und Liquidität aufstellt, liefert bald die Software Prognosen. „Technologien wie Big Data und künstliche Intelligenz ermöglichen es, die Geschäftsprozesse immer weiter zu automatisieren““ sagt Barbara E. Weißenberger, Professorin für Betriebswirtschaftslehre an der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf. 

Roboter erledigen nicht alles, es braucht Weiterbildung für Mitarbeiter

So attraktiv die neuen Chancen der Prozess-Automatisierung sind: Mit Technologien zur Kosteneinsparung allein können die Unternehmen den Wandel nicht bewältigen. Vor allem müssen sie Mitarbeitern Perspektiven aufzeigen und sie für neue Anwendungen qualifizieren. In der Autoindustrie etwa dürfte es nicht ganz so leicht werden, im anbrechenden Zeitalter der Elektromobilität Zehntausende Fachleute für Zylinder, Kolben und Benzinpumpen zu Experten für Lithium-Ionen-Batterien und Elektrophysik zu machen. Beispiel Volkswagen: Parallel zum Wegfall von Plätzen in der Verwaltung sollen 2.000 neue Jobs im Digital-Bereich aufgebaut werden. Es sind Probleme, die auch die deutschen Versicherer treffen – keine triviale Aufgabe, den Sachbearbeiter zum Data Scientist umzuschulen. 

Nach Angaben der OECD werden Geringqualifizierte in keinem anderen ihrer Mitgliedsländer so wenig weitergebildet wie in Deutschland. Nur ein Viertel der betroffenen Erwachsenen wird durch entsprechende Angebote geschult. Bei den Hochqualifizierten hingegen ist Deutschland mit einer Quote von rund 75 Prozent Spitzenreiter unter den OECD-Staaten. Forscher ihrerseits sehen die Weiterbildung von Mitarbeitern als zentrale Herausforderung für die Zukunftsfähigkeit der Unternehmen. „Es gibt weiter eine große Nachfrage nach qualifizierter Arbeit““ sagt Ludger Wößmann vom Münchner Ifo-Institut. In vielen Bereichen suchten Firmen händeringend nach Fachkräften. Das sei ein großer Unterschied zu früheren Konjunkturkrisen. Kein Grund also für Schwarzmalerei?