Gesundheitsfragen falsch formuliert: BU-Versicherer unterliegt im Prozess

Berufsunfähigkeit, auch zeitweilig, kann jeden treffen. (Bildquelle: Mohamed-Hassan/Pixabay)
Ein Versicherer warf einem Kunden vor, eine frühere Bronchitis sowie eine diagnostizierte Skoliose verschwiegen zu haben und verweigerte die Auszahlung einer Berufsunfähigkeitspolice. Das OLG Hamm sieht das anders und setzt damit enge Maßstäbe an die Auslegung von Gesundheitsfragen sowie an die formelle Wirksamkeit von Rücktritt und Anfechtung durch den BU-Versicherer.
Mit Urteil vom 4. April 2025 (Az. 20 U 33/21) hat das Oberlandesgericht (OLG) Hamm einen Berufsunfähigkeits-Versicherer zur rückwirkenden Zahlung einer Rente von über 60.000 Euro sowie zur Beitragsbefreiung verurteilt. Im Mittelpunkt standen zwei Fragen im Antragsformular, die der Kläger jeweils mit „nein“ beantwortet hatte:
- B4.2: „Sind Sie in den letzten 5 Jahren untersucht, beraten oder behandelt worden hinsichtlich: Atmungsorgane (z. B. wiederholte oder chronische Bronchitis, Asthma)?”
- B4.9: „… Wirbelsäule, Sehnen, Bänder, Muskeln, Knochen oder Gelenke (z. B. Rückenerkrankungen, Arthrose, Rheuma)?”
Der Versicherer warf dem Kläger vor, eine frühere Bronchitis sowie eine diagnostizierte Skoliose verschwiegen zu haben. Das OLG widersprach dieser Auslegung: Die Frage zu den Atmungsorganen bezog sich laut Formulierung ausdrücklich nur auf „wiederholte oder chronische“ Beschwerden. Eine einmalige, akute Bronchitis falle nicht darunter. Auch die Skoliose, die lediglich in einem über zehn Jahre alten Röntgenbefund erwähnt wurde, war laut Gericht nicht anzugeben – insbesondere, da weder eine Behandlung noch eine Beratung im abgefragten Zeitraum erfolgt waren.
Zudem hatte der Kläger im Antrag frühere BU-Versicherungsanträge nicht vollständig angegeben. Auch hier entschied das Gericht zugunsten des Klägers: Zwar sei die Antwort unvollständig gewesen, jedoch sei die Anfechtung verspätet erfolgt. Die Versicherung hatte sich erst im Prozess auf diese Angaben berufen – also außerhalb der einjährigen Frist, die § 124 BGB für eine Anfechtung vorgibt. Das Gericht machte deutlich: Anfechtungsgründe müssen innerhalb der Frist konkret benannt werden; pauschale Verweise auf Altunterlagen reichen nicht aus.
Rechtsanwalt Tobias Strübing begrüßt das Urteil: „Die Entscheidung sendet ein deutliches Signal an Versicherungsnehmer. Wer die Gesundheitsfragen korrekt und entsprechend dem Wortlaut beantwortet, ist vor späteren Auslegungsversuchen des Versicherers geschützt.“ Zudem unterstreiche das Urteil die Bedeutung formell einwandfreier und fristgerechter Anfechtungen durch die Versicherer.
Autor: VW-Redaktion