Massenschäden und Missstandsaufsicht prägen den 39. Münsterischen Versicherungstag
Wie funktioniert eine parametrische Versicherung? Was hat der preußische Jurist Carl Gottlieb Svarez mit dem aktuellen Urteil des Bundesverwaltungsgerichts zur Missstandsaufsicht zu tun? Welchen Einfluss hat die Digitalisierung auf Massenschäden in der Rechtsschutzversicherung? Ein Tagungsbericht von Johanna Scheiper, LL.M., wissenschaftliche Mitarbeiterin, Forschungsstelle für Versicherungswesen Münster.
Am Samstag, dem 20.11.2021 hat der 39. Münsterische Versicherungstag mit circa 130 Teilnehmerinnen und Teilnehmern im Fürstbischöflichen Schloss Münster stattgefunden. Nachdem der traditionelle Vorabend im Zeichen der Luftfahrt und Luftfahrtversicherung stand, bot sich den Teilnehmerinnen und Teilnehmern am Samstag ein vielfältiges Programm aus versicherungsvertragsrechtlichen, versicherungsaufsichtsrechtlichen, verfassungsrechtlichen und prozessualen Themen sowie einem Einblick in das noch neue Feld der parametrischen Versicherung.
Letzteres stellte Herr Dr. Leif Heimfarth (Senior Underwriter, Hannover Rück SE) vor und erläuterte hierbei nicht nur, wie eine solche Versicherung im Grundsatz funktioniert und welche Einsatzmöglichkeiten es gibt, sondern ging auch anschaulich auf die verschiedenen Daten und Datenquellen ein, die für eine solche Versicherung verwendet werden können. Zudem hob er die besondere Bedeutung solcher Versicherungen in Schwellen- und Entwicklungsländern hervor, wo sich, etwa aufgrund der weit verteilt lebenden Versicherungsnehmer und fehlenden Versicherungs-Infrastruktur, eine schadenbasierte Versicherung kaum lohnt.
Bei der diesjährigen Paneldiskussion wurden Massenschäden in der Rechtsschutzversicherung zur Sprache gebracht. Vertreten auf dem Panel war mit Herrn Till Humpe, LL.M. (Leiter Fachaufsicht Rechts-Service, ARAG SE) sowohl die Rechtsschutzversicherer-Perspektive, als auch mit Herrn Dr. Knut Pilz (Rechtsanwalt und Fachanwalt für Versicherungsrecht, Pilz Wesser & Partner Rechtsanwälte mbB) die Perspektive der Rechtsanwälte. Zudem brachte Herr Michael Kneist (Vorsitzender Richter am OLG Düsseldorf) als Moderator die Sichtweise der Justiz mit in die Diskussion ein. Das Fazit: Solange die Akteure verantwortlich und fachlich qualifiziert handeln, sei die Rechtsverfolgung auch in Massenverfahren nicht zu beanstanden. Das Verfahrensrecht müsse allerdings dringend novelliert werden. Letzteres insbesondere vor dem Hintergrund, dass, wie Herr Humpe berichtete, aktuell circa 100 Fälle beobachtet werden, welche sich noch zu Massenschäden entwickeln könnten.
Zwei weitere Referenten befassten sich mit der aktuellen Entscheidung des BVerwG zur Missstandsaufsicht. Herr Dr. Jan Schröder, LL.M. (Rechtsanwalt und Partner, Allen & Overy LLP) nahm das Urteil zum Anlass, um über die, vor dem Hintergrund des von der BaFin eröffneten Handlungsspielraums, zentralen, allgemeinen Grenzen aufsichtsbehördlichen Handelns und die Bedeutung des Rechtsstaatsprinzips in diesem Kontext zu sprechen. Herr Prof. Dr. Lothar Michael (Professor für Öffentliches Recht und Direktor des Instituts für Versicherungsrecht, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf) hat das Urteil dagegen vor allem verfassungsrechtlich eingeordnet und den Bezug zu den Grundrechten untersucht. Einig waren sich beide Referenten, dass eine realistische Möglichkeit besteht, dass sich auch der EuGH noch mit diesem Thema befassen wird.
Auf der versicherungsvertragsrechtlichen Seite stand dieses Jahr die Haftpflichtversicherung im Fokus. Dr. Jendrik Böhmer, LL.M. (Rechtsanwalt, BLD Bach Langheid Dallmayr Rechtsanwälte Partnerschaftsgesellschaft mbB) sprach zu Inhalt und Grenzen des haftpflichtversicherungsvertraglichen Deckungsanspruchs und bezog kritisch Stellung etwa zur Reichweite einer Abtretung des Anspruchs gegen den Versicherer, zu den Sorgfaltspflichten des Versicherers bei der Prüfung der Haftpflichtfrage und zum Umfang der Kostentragung.
Der Kurzvortag des diesjährigen Preisträgers des Helmut-Kollhosser-Preises, Dr. Dennis Fritz, stellte ausgewählte Ergebnisse seiner Dissertation „Der Organhaftungsvergleich zwischen Aktien- und D&O-Versicherungsrecht“ (erschienen 2021 im Carl Heymanns Verlag) vor.
Insgesamt handelte es sich um eine facettenreiche Veranstaltung, an welcher sich auch das Publikum mit zahlreichen Diskussionsbeiträgen rege beteiligt hat. Freuen kann man sich auch schon auf den nächsten Versicherungstag. Dieser wird am 19. November 2022, wie gewohnt mit einer Vorabendveranstaltung am 18. November 2022, in Münster stattfinden. Weitere Hinweise zu dieser und weiteren Veranstaltungen finden sich auf der Website der Forschungsstelle für Versicherungswesen Münster.
Autor: Johanna Scheiper