BWV-Vorstand Höhn: „Das Berufsbild Versicherungskaufmann ist auf den aktuellen und zukünftigen Bedarf ausgerichtet“

Katharina Höhn, Geschäftsführendes Vorstandsmitglied beim Berufsbildungswerk der Deutschen Versicherungswirtschaft (BWV). Quelle: BWV

Der Beruf Versicherungskaufmann/-frau feiert seinen 70. Geburtstag. Dr. Katharina Höhn, Geschäftsführendes Vorstandsmitglied beim Berufsbildungswerk der Deutschen Versicherungswirtschaft (BWV), hat mit der Zeitschrift Versicherungswirtschaft einen Blick nach hinten, aber vor allem nach vorne gewagt. Sie erklärt, warum die Ausbildung neu ausgerichtet werden muss und was nötig ist, dass der Beruf zukunftsfest bleibt.

VERSICHERUNGSWIRTSCHAFT: Es gibt in diesem Jahr viel zu zelebrieren in der Bildungswelt der Versicherungsbranche. Was genau feiern Sie aktuell noch?

KATHARINA HÖHN: Ja, tatsächlich ist 2021 für uns ein Jubiläumsjahr. Herzlichen Glückwunsch an dieser Stelle auch noch mal zum 75. Geburtstag Ihres Branchenmagazins Versicherungswirtschaft. Gemeinsam haben wir in den vielen Jahren wichtige Informationsarbeit geleistet, vielen Dank dafür.

Wir feiern die großen Meilensteine der beruflichen Bildung unserer Branche: Den langjährigsten Erfolg kann sich unsere Versicherungsausbildung zuschreiben. Sie wurde 1951 unter dem Namen Versicherungskaufmann/-frau erlassen und feiert deshalb ihren 70. Geburtstag. 20 Jahre später, also vor genau 50 Jahren, hat die Versicherungswirtschaft eine Fortbildung, die nahtlos auf die Ausbildung aufbaut, eingeführt. Die Geburtsstunde des/der Versicherungsfachwirts/-fachwirtin mit branchenübergreifendem IHK-Abschluss. Und zu guter Letzt dürfen wir in diesem Jahr auch noch 30 Jahre Vermittlerqualifizierung, den/die Geprüfte/n Versicherungsfachmann/-frau feiern. Was zunächst als freiwillige Branchenprüfung startete, wurde später verpflichtender IHK-Sachkundenachweis. Die drei Jubiläen verdeutlichen, wie lange und zuverlässig sich die Versicherungswirtschaft schon für ein hohes Bildungsniveau einsetzt.

Und Ende September reiht sich der jüngste Jubilar ein – unser Bildungskongress der Deutschen Versicherungswirtschaft findet zum 20. Mal statt und bringt erneut alle Bildungsverantwortlichen zum Austausch und Netzwerken zusammen.

VERSICHERUNGSWIRTSCHAFT: Wie hat sich die Bildungswelt in der gesamten Zeit, aber besonders auch im letzten Jahr gewandelt?

KATHARINA HÖHN: Die Bildungswelt hat sich in den vielen Jahrzehnten stets verändert, ab den 50ern mit beginnender Digitalisierung sicherlich schneller als zuvor, mit dem Beginn der Corona-Pandemie in 2020 so radikal wie nie zu vor. Anhand der Mottos unseres BIKOs von „Bildung gestalten im Wandel der Branche“ auf dem ersten BIKO 2002, über „Innovative Aus- und Weiterbildung“ und „Digitale Transformation“ bis hin zum aktuellen „Das neue NORMAL“ kann man gut die Trends des beruflichen Lernens der letzten Jahre ablesen.

VERSICHERUNGSWIRTSCHAFT: Der Bildungskongress der Deutschen Versicherungswirtschaft, der jährlich vom BWV Bildungsverband und der DVA gemeinsam ausgerichtet wird, findet dieses Jahr unter dem Motto „Das neue NORMAL – Chancen für das Lernen“ statt. Wie kamen Sie zu dieser Themenwahl für 2021, warum wurde gerade dieser Titel gewählt?

KATHARINA HÖHN: Wir im BIKO-Programmausschuss wollten in diesen unruhigen Zeiten beleuchten, wie die Branche im „New Normal“ der Corona-Zeit und des vermehrten Homeoffices angekommen ist und wie insbesondere das Lernen, Lehren und die Personalentwicklung unter diesen Umständen funktionieren. Jeder von uns ist von diesen Auswirkungen im eigenen Arbeiten und im eigenen Unternehmen betroffen, gleichzeitig haben sich neue und kreative Ansätze, Prozesse und Methoden ergeben. Diese als Chance zu begreifen und deren Früchte zum allgemeinen Vorteil weiterzugeben, ist und war unser zentrales Anliegen.

VERSICHERUNGSWIRTSCHAFT: Der BIKO wurde im vergangenen Jahr bereits in hybrider Form ausgerichtet. Nun gehen Sie in den zweiten Pandemie-BIKO: Was wird sich im Vergleich zum Vorjahr ändern, was bleibt gleich?

KATHARINA HÖHN: Wir haben hier viel aus den Erfahrungen des letzten BIKO gelernt, insbesondere wissen wir jetzt, dass sich nicht jeder Beitrag für die hybride Durchführung eignet. Auf dem BIKO legen wir von jeher sehr viel Wert auf interaktive Workshops und Foren, um einen größtmöglichen Austausch zwischen allen Akteuren, Referierenden wie auch den teilnehmenden Branchenexpert:innen zu ermöglichen. Diesen lebendigen Diskurs bei der Koordination zwischen Live-Teilnehmer:innen und Onlineakteuren zu schaffen, ist eben auch eine große Herausforderung. Gemeinsam mit unseren Referententeams haben wir deshalb bewusst entschieden, welcher Beitrag hybrid umgesetzt werden kann. In jedem Fall können alle Vorträge, Foren, und Werkstätten sowohl vor Ort in Berlin als auch online erlebt werden.

In diesem Jahr gibt es vier vollständig hybride Beiträge. Alle anderen Workshops und Foren werden separat jeweils in Präsenz und online getrennt durchgeführt. Wie schon im vergangenen Jahr setzen wir für maximale Sicherheit auf ein strenges Hygienekonzept und die 3-G-Regel: Zugelassen zur Präsenzveranstaltung sind nur geimpfte, genesene oder getestete Personen, jeweils mit aktuellem Nachweis.

Das Interview mit Frau Höhn erschien in der Versicherungswirtschaft 09/2021.

VERSICHERUNGSWIRTSCHAFT: Was kann man Ihrer Meinung nach an dem Ausbildungsberuf noch verbessern bzw. welche Inhalte noch vermitteln oder mehr in die Praxis gehen?

Das heutige Berufsbild Kaufmann/Kauffrau für Versicherungen und Finanzen, wird seit September 2020 neu geordnet. Bisher fanden hierzu sieben Sachverständigensitzungen statt. Das neue Berufsbild wird 2022 in Kraft treten.

Die Inhalte, die in der neuen Ausbildungsordnung zum Tragen kommen, wurden gemeinsam mit der Branche entwickelt. Regelmäßig nimmt der BWV Bildungsverband den Ausbildungsberuf unter die Lupe und prüft, ob die Inhalte noch den Anforderungen der Branche entsprechen. Im Rahmen des Kompetenzlabors, ein Instrument der Zukunftsprognose, ermittelte der BWV Bildungsverband die Tätigkeitsfelder und deren Kompetenzen, die in Zukunft in der Branche benötigt werden. Diese bildeten die Grundlage für die derzeitige Anpassung der Ausbildungsinhalte. An der Neuordnung beteiligten sich über 100 Personen aus der Branche als Sachverständige, als Koodinator:innen und Expert:innen von thematischen und regionalen Spiegelgremien. Hierbei wurden die Erfordernisse der Praxis gehört und berücksichtigt. Das neue Berufsbild ist somit auf den aktuellen und zukünftigen Bedarf der Branche ausgerichtet und wird zum 1. August 2022 in Kraft treten.

Das Berufsbildungswerk der Deutschen Versicherungswirtschaft (BWV) e.V. ist der Berufsbildungsverband für die Versicherungs- und Finanzdienstleistungsunternehmen. Finden Sie, dass der Verband mit seinen Anliegen bei der Politik auf nationaler und europäischer Ebene immer auf offene Ohren stößt oder waren der Einfluss und die Beziehungen zur Politik auch schon mal besser?

Ihre Frage würde ich gerne mit einem knappen Ja beantworten, die Politik nimmt uns wahr, hört unsere Sachargumente und entscheidet unter Berücksichtigung der Stimmen aller Akteure. Wichtiger als gehört zu werden ist es allerdings für unsere Branche und uns als einen spezifischen Interessensvertreter unserer Branche in Bildungsfragen, auch in der Umsetzung spürbare Berücksichtigung unserer Ideen und Vorstellungen zu erfahren. Zweimal ist uns als Branche diese Berücksichtigung schon fast idealtypisch gelungen und in beiden Fällen lag es u.a. an dem ausgeprägten Commitment der Branche und ihrem proaktiven Handeln.

VERSICHERUNGSWIRTSCHAFT: Und welche zwei Fälle sind das?

So wurden die Mindestanforderungen unserer Branchenprüfung sowohl hinsichtlich der Anforderungen wie auch der Prozesse nahezu unverändert als Sachkundeprüfung in die nationale Gesetzgebung übernommen und die Aufgabenerstellung für die Prüfung wie auch die Qualitätssicherung liegen bis heute in Branchenhand. Als nun die regelmäßige Weiterbildung für vertrieblich Tätige in Deutschland gesetzlich geregelt wurde, konnte die Branche schon auf einige Jahre Erfahrung zurückblicken und diese Erfahrungen in den Gesetzgebungsprozess einbringen. Die Branche war mit der Weiterbildungsinitiative gut beraten auch diesmal Vorreiter. Solche Erfolge setzen viel Kommunikation, einen Branchenkonsens und auch die enge Zusammenarbeit aller voraus. Ohne diese Zusammenarbeit auch auf europäischer Ebene, wo heute die Weichen für unsere nationale Gesetzgebung gestellt werden, könnten wir in Deutschland nicht so erfolgreich agieren.

Weitere Erfolgsfaktoren für „offene Ohren“ stellen Vertrauen und Verlässlichkeit, Kontinuität und fachliche Expertise dar. Diese Elemente muss man sich beinahe täglich erarbeiten – alleine auf über 70 Jahre Historie zurückzublicken reicht nicht – und für unsere Branche arbeiten wir gerne auch künftig daran, als kompetenter Gesprächspartner von der Politik gehört zu werden und in den Umsetzungsprozessen mit unseren Hinweisen und Wünschen berücksichtigt zu werden.

Versicherungsunternehmen haben nicht das beste Image als Arbeitgeber. Spürten Sie in den vergangenen Jahren diesbezüglich einen Wandel? Was sollten Versicherer tun, um für die Jugend anziehender als Arbeitgeber zu sein?

Das Thema Image beschäftigt die Versicherungswirtschaft schon viele Jahre. Genauere Untersuchungen zeigten hier jedoch immer, dass Fern- und Nahbild weit auseinandergehen und sich dieser Gap noch mehr verstärkt, wenn Menschen zu Mitarbeitenden der Branche werden. Hat man sich einmal für die Versicherungswirtschaft entschieden, bleibt man dieser auch viele Jahre treu. Ein Indiz dafür ist die im Branchenvergleich geringe Fluktuation. Diese liegt seit zehn Jahren bei nur rund fünf Prozent (AGV-Studie 2020). Auch beim neu einsteigenden Nachwuchs ist dieses positive Bild festzustellen. In den letzten drei Jahren wurden rund 90 Prozent der Ausbildungsplätze besetzt und mehr als 90 Prozent haben die Ausbildung auch abgeschlossen, sogar zu 99 Prozent erfolgreich.

Trotz dieser soliden Ausgangsbasis hat die Versicherungswirtschaft verstanden, sich um die knappen Talente und um den Nachwuchs weiterhin zu bemühen, ja, sich sprichwörtlich bei ihnen zu bewerben. Dabei geht es darum, unsere hochwertigen Ausbildungsmodelle mit den sehr attraktiven Rahmenbedingungen (Durchlässigkeit durch Aufstiegsfortbildungen, moderne Arbeitsmethoden und -bedingungen, gute Gehälter und Übernahmequoten) transparent darzustellen v.a. in der Sprache und auf den Kommunikationswegen der jungen Generation. Social-Media-Kanäle spielen eine entscheidende Rolle beim Azubi-Marketing. Die Relevanz hat sich in rund zehn Jahren mehr als verdoppelt, so das Ergebnis unserer Ausbildungserhebung 2020 (https://www.bildungsumfragen-versicherung.de/#/).

Das komplette Interview – in dem u.a. noch über Lobbyarbeit, den anstehenden Bildungskongress und neue Lernformen gesprochen wird – erschien in der Zeitschrift Versicherungswirtschaft 09/2021, das Sie HIER abonnieren können. Autor des Gesprächs war David Gorr.