Die Zeit drängt: Neuausrichtung der Altersversorgung ist nötig

Guido Bader. Quelle: Stuttgarter

Die Niedrigzinsphase macht die Kalkulation von Altersvorsorgeprodukten nicht einfacher: Insbesondere die Garantiehöhe vs. einer angemessenen Renditeerwartung stehen auf dem Prüfstand. Mit der voraussichtlichen Absenkung des Höchstrechnungszinses zum 1. Januar 2022 auf 0,25 Prozent ist nach einer neueren Untersuchung der Deutschen Aktuarvereinigung (DAV) – selbst bei Ansatz von null Prozent Alphakosten (Abschluss- und Vertriebskosten) eine 100-Prozent-Beitragsgarantie nicht mehr darstellbar.

Guido Bader, Vorstand der Stuttgarter Lebensversicherung a.G. hat dazu einen Beitrag im Kompass 2/2021 „Abgesenkte Garantien, Sicherheit, Rendite, (betriebliche) Altersvorsorge und Niedrigzins“ veröffentlicht. Die Mitherausgeberin des Kompasses, Henriette Meissner, spricht mit ihm über den aktuellen Stand der Diskussion.

Henriette Meissner: Aktuare und Versicherer haben sich mit der Verfestigung der Niedrigzinsphase immer intensiver mit ihren klassischen und möglichen neuen Produkten befassen müssen. Die Versicherer haben nun auf breiter Front mit dem Absenken der Garantiehöhen reagiert. Die Beitragsgarantie war ja bisher so etwas wie der „heilige Gral“. Warum geht man jetzt an die Garantiehöhe? Ist das für sicherheitsorientierte Anleger, also den typischen Deutschen, noch bedarfsgerecht?

Guido Bader: Ja, das ist es. Ich möchte sogar noch weiter gehen. Es wäre nicht mehr bedarfsgerecht, würden wir die Beitragsgarantie noch aufrechterhalten. Schon heute lässt das Zinsniveau an den Kapitalmärkten im Zusammenspiel mit dem derzeit gültigen Höchstrechnungszins in Höhe von 0,9 Prozent quasi keine für unsere Versicherungsnehmer passende Produktgestaltung mit 100 Prozent Beitragsgarantie mehr zu. Fondsgebundene Produkte mit vollständiger Beitragsgarantie werden im Neugeschäft ihrem Namen inzwischen kaum mehr gerecht. Zu viel vom Beitrag fließt in das klassische Sicherungsvermögen und zu wenig in den Deckungsstock. Und im klassischen Sicherungsvermögen lässt der Niedrigzins zusammen mit den rigorosen Vorschriften von Solvency II zu wenig Spielraum für eine chancenorientierte Kapitalanlage.

Wollen wir unseren Kunden also Produkte anbieten, die eine reale Chance haben, eine Rendite oberhalb des Inflationsniveaus zu erwirtschaften, so ist die Beimischung von einem signifikanten Anteil chancenorientierter Assets, wie Aktien, Immobilien oder Alternatives zwingend erforderlich. Und dazu müssen wir uns vom Beitragserhalt verabschieden.

Dies wird erst recht unumgänglich, wenn der Gesetzgeber ab 2022, wie vom BMF vorgeschlagen und von der Deutschen Aktuarvereinigung (DAV) gefordert, den Höchstrechnungszins auf 0,25 Prozent absenkt. Die DAV hat aber das BMF auch explizit aufgefordert, vom garantierten Beitragserhalt abzurücken. Ich appelliere daher nachdrücklich an Berlin, zusammen mit der Absenkung des Höchstrechnungszinses auch den garantierten Beitragserhalt bei Riester und vor allem in der betrieblichen Altersvorsorge auf ein Niveau von z. B. 80 Prozent abzusenken. Nur so kann eine verlässliche Altersvorsorge langfristig funktionieren.

Henriette Meissner: In die Konstruktion neuer Altersvorsorge-Produkte ist viel Kreativität geflossen. Eins ist aber auch offensichtlich: Die neuen Produkte greifen häufig auf Fondsanlagen zurück. Ist damit der kollektive Gedanke der Lebensversicherung tot? Ist das der Abgesang, wie manche meinen, auf die Lebensversicherung?

Guido Bader: Im Gegenteil. Die private und betriebliche Altersvorsorge ist quicklebendig. Wir erleben derzeit eine Pandemie, auf die die Staaten weltweit mit einer nie dagewesenen Neuverschuldung antworten. Dazu stehen wir in Deutschland am Vorabend des demografischen Wandels. Die Menschen da draußen haben verstanden, dass sie selbst vorsorgen müssen und sich nicht auf den Staat verlassen können. Und genau das tun sie auch. Das Neugeschäft in der Lebensversicherung entwickelt sich gerade in der Krise sehr positiv.

Dies ist aber auch ein Zeichen, dass die Menschen auf kollektives Sparen setzen. Denn der kollektive Gedanke ist trotz Fondskomponenten in den Policen keineswegs ausgeschaltet. Jede Form von Garantie – und ich halte Garantien, wenn auch angepasst an das niedrige Zinsniveau, für die Planbarkeit der Rente für unerlässlich – wird am effizientesten kollektiv im Versicherungsmantel dargestellt. Und dann müssen wir auch an die Entsparphase denken.

Lebenslange Renten sind nur im Kollektiv darstellbar – auch dies ist übrigens eine sehr werthaltige kollektive Garantie, die außer den Lebensversicherern niemand darstellen kann. In der derzeitigen politischen Diskussion um die Zukunft der Altersvorsorge wird mir viel zu sehr an die Ansparphase und viel zu wenig an die Rentenphase gedacht. Der kollektive Gedanke steckt also weiterhin in unseren Produkten und unterscheidet diese im positiven Sinne von anderen Sparmöglichkeiten.

Henriette Meissner: Man munkelt und es herrscht Unruhe. Müssen wir uns angesichts der neueren Entwicklungen Sorgen um die Versicherer und die Altbestände machen?

Guido Bader: Auch dem möchte ich widersprechen. Natürlich ist die schon seit Jahren anhaltende Situation mit niedrigen oder Negativzinsen für die Lebensversicherer mit ihren hohen Garantien im Policenbestand herausfordernd. Aber die Unternehmen haben auch ihre Hausaufgaben gemacht. Sie haben Ihr Produktportfolio überarbeitet – durchaus im Sinne ihrer Kunden, wie ich oben schon ausgeführt habe. Sie haben hohe stille Reserven in ihren Kapitalanlagen, die sie nutzen, um die aufsichtsrechtlich vorgeschriebenen Reserven zu bilden und damit die Garantien in ihren Beständen auszufinanzieren. Sie erzielen nennenswerte biometrische Erträge, die sowohl die Solvenz als auch die Versicherungstechnik stabilisieren.

Und sie haben gewaltige Anstrengungen unternommen, um digitaler und effizienter zu werden und damit ihre Kostenergebnisse zu verbessern. All dies hat eine stabilisierende Wirkung, wie auch die trotz der extremen Zinssituation immer noch respektablen Solvenzquoten zeigen. Dazu kommt, dass schon der leichte Zinsanstieg, den wir seit Jahresende sehen, bei den meisten Unternehmen zu einer Verbesserung der Solvenzquoten führen wird. Natürlich habe ich keine Glaskugel und weiß nicht, welche Unbilden die Zukunft für die Lebensversicherer noch bringen wird. Mit Sorge schaue ich derzeit aber eher nach Berlin als in die Bilanzen der Lebensversicherer.

Autor: VW-Redaktion

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