Bundesarbeitsgericht entscheidet über noch mehr Insolvenzsicherung in der bAV

Bundesarbeitsgericht in Erfurt. Quelle: BAG

Nach einem Urteil des EuGH am 19. Dezember 2019 zur Insolvenzsicherung bei Pensionskassen kam es sehr schnell zu einer deutlichen Ausweitung des Insolvenzschutzes für Pensionskassen in Deutschland. Die BetrAVG-Novelle trat am 24. Juni 2020 in Kraft. Damit konnte eine „Staatshaftung“ für gekürzte Pensionskassen verhindert werden.

Das Bundesarbeitsgericht hatte zwei weitere Fälle zur Insolvenzsicherung dem EuGH vorgelegt (Beschluss vom 16. Oktober 2018, 3 AZR 139/17 (A)). Der EuGH sollte dort Hinweise zur Auslegung von zwei europäischen Richtlinien, der sog. Betriebsübergangs-Richtlinie und der Zahlungsunfähigkeits-Richtlinie geben. Die beiden Fälle wurden vom EuGH am 9. September 2020 (C-674/18 und C-675/18) entschieden.

Am 26. Januar 2021 stehen nun die beiden Rechtssachen wieder auf dem Terminplan des Dritten Senats des Bundesarbeitsgerichts. Die Entscheidung wird mit hohem Interesse verfolgt – auch vom Bundesarbeitsministerium. Denn letztlich steht wieder der Umfang des gesetzlich geregelten Insolvenzschutzes in Deutschland auf dem Prüfstand. Reichen die deutschen Regelungen vor dem Hintergrund der EU-Regulierungen nicht aus, steht wieder die Staatshaftung im Raum und damit verbunden ein weiterer Eingriff in den gesetzlichen Insolvenzschutz noch in dieser Legislaturperiode.

Worum geht es? Die Parteien streiten über Betriebsrentenansprüche nach einem Betriebsübergang in der Insolvenz des Arbeitgebers. Damit sind gleich zwei Richtlinien der EU betroffen. Die Zahlungsunfähigkeits-RL (Richtlinie 2008/94/EG), die die Rechte der Beschäftigten bei einer Insolvenz des Arbeitgebers sicherstellt, und die Betriebsübergangs-RL (Richtlinie 2001/23/EG), die die Rechte der Beschäftigten bei einem Betriebsübergang regelt.

Nach dem zweiten EuGH-Urteil vom 9. September 2020 gibt es zwei große Fragen:

  1. Ist es weiterhin zulässig, dass in Deutschland bei einer Insolvenz mit anschließendem Betriebsübergang auf einen Betriebserwerber, der Betriebserwerber für Anwartschaften der betrieblichen Altersversorgung erst ab Stichtag der Insolvenz haftet. Der Pensions-Sicherungs-Verein (PSV) hingegen tritt für die bAV bis zum Eintritt der Insolvenz. Oder muss nach europäischen Recht der Betriebserwerber für die komplette Anwartschaft eintreten? Das würde den Betriebserwerb nach Insolvenz – gerade in der Pandemie – deutlich verteuern, bzw. eine Gesetzesänderung des § 613a BGB nötig machen. Die zentrale Frage ist, ob das Bundesarbeitsgericht an seiner Rechtsprechung aus 1980 festhält, das genau diese stichtagsbezogene Teilung in Deutschland institutionalisiert hatte.
  2. Wie ist mit verfallbaren Anwartschaften umzugehen? Bisher war es nach deutschem Recht und ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts so, dass diese komplett untergehen. Das EuGH hatte in seinem Urteil vom 9. September 2020 in seiner ergänzenden Auslegung der Zahlungsunfähigkeits-RL deutlich gemacht, dass Deutschland national zwar die Verfallbarkeit von Anwartschaften regeln kann. Allerdings muss nach Auffassung des EuGH bei Insolvenz trotzdem ein Mindestschutz in Höhe von 50 Prozent der zugesagten Betriebsrenten (und kein Unterschreiten der Armutsgefährdungsgrenze) gewährleistet sein. Diesen Mindestschutz kennt das Betriebsrentengesetz bisher nicht. Sollte dies vom Bundesarbeitsgericht nun konkretisiert werden, müsste das Betriebsrentengesetz entsprechend geändert werden.

Der Fall: Der klagende Arbeitnehmer war zunächst bei der T. GmbH beschäftigt. Dort galt eine Versorgungsordnung in Form einer Gesamtbetriebsvereinbarung, in der den Arbeitnehmern unter anderem eine betriebliche Altersrente zugesagt wurde. Diese errechnet sich nach jährlichen Steigerungsbeträgen einerseits und dem Endgehalt vor Eintritt in den Ruhestand andererseits. In der Folgezeit ging das Arbeitsverhältnis auf die spätere Insolvenzschuldnerin über. Über deren Vermögen wurde am 1. März 2009 das Insolvenzverfahren eröffnet. Im April 2009 veräußerte der Insolvenzverwalter den Geschäftsbetrieb an die Beklagte. 

Der klagende Arbeitnehmer hat die Auffassung vertreten, das beklagte Unternehmen habe ihm eine Betriebsrente zu gewähren, bei deren Berechnung auch die vor der Insolvenz zurückgelegten Beschäftigungsjahre voll wertsteigernd anzusetzen seien. Abzuziehen seien die Beträge, die wegen der Insolvenz der Insolvenzschuldnerin der Pensions-Sicherungs-Verein (PSV) trage. Die Beklagte hat dem entgegengehalten, sie hafte nur zeitratierlich für die Zeiten seit Insolvenzeröffnung. 

Anmerkung: Der dritte Senat verhandelt am gleichen Tag 22 weitere, im Wesentlichen gleichgelagerte Fälle. Bei einigen Verfahren – insbesondere dem Verfahren – 3 AZR 878/16 -, das Gegenstand des Vorlageverfahrens unter dem Aktenzeichen C-674/18 war, besteht die Besonderheit, dass die Kläger vor dem Betriebsübergang noch keine unverfallbaren Anwartschaften erworben hatten, die wegen der Insolvenz vom PSV zu tragen wären.

Die bisherigen Urteile / Beschlüsse: Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen, das Landesarbeitsgericht hat ihr teilweise stattgegeben. Hiergegen richten sich die von beiden Parteien im Umfang ihres jeweiligen Unterliegens eingelegten Revisionen. 

Der Dritte Senat hat mit Beschluss vom 16. Oktober 2018 – 3 AZR 139/17 (A) – den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) um die Auslegung von Unionsrecht ersucht. Nach bisheriger nationaler Rechtsprechung sei § 613a Abs. 1 BGB für die Haftung des Betriebserwerbers bei einem Betriebsübergang während eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Veräußerers hinsichtlich der vor der Insolvenzeröffnung entstandenen Anwartschaften der Arbeitnehmer auf Leistungen der betrieblichen Altersversorgung einzuschränken. Streitentscheidend sei, ob diese Auslegung des nationalen Rechts mit Art. 3 Abs. 4 bzw. Art. 5 Abs. 2 lit. a der Richtlinie 2001/23/EG („Betriebsübergangs-RL“) und ggf. mit Art. 8 der Richtlinie 2008/94/EG (Zahlungsunfähigkeits-RL) vereinbar sei. 

Mit Urteil vom 9. September 2020 (verbundene Rechtssachen – C-674/18 – und – C-675/18 -) hat der EuGH entschieden, dass § 613a BGB in seiner Auslegung durch die bisherige nationale Rechtsprechung bei Insolvenzverfahren den Regelungen der Richtlinie 2001/23/EG (Betriebsübergangs-RL), hier insbesondere deren Art. 3 Abs. 1 und Abs. 4 sowie Art. 5 Abs. 2 lit. a nicht entgegensteht, sofern hinsichtlich des Teils des Betrags, für den der Erwerber nicht haftet, die zum Schutz der Interessen der Arbeitnehmer getroffenen Maßnahmen ein Schutzniveau bieten, das dem von Art. 8 der Richtlinie 2008/94/EG (Zahlungsunfähigkeits-RL) geforderten Schutzniveau zumindest gleichwertig ist. Der in Art. 3 Abs. 4 Buchst. b der Richtlinie 2001/23/EG iVm. Art. 8 der Richtlinie 2008/94/EG vorgesehene Mindestschutz darf den Arbeitnehmern durch § 613a BGB in seiner bisherigen Auslegung nicht verwehrt werden. Ob dies der Fall ist, hat – so der EuGH – das vorlegende Gericht selbst zu prüfen. Weiter erkannte der EuGH, dass Art. 8 der Richtlinie 2008/94/EG unter bestimmten, ebenfalls vom vorlegenden Gericht zu prüfenden Voraussetzungen unmittelbare Wirkung entfalten kann. 

Fazit: Die Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts werden aufgrund ihrer möglichen Auswirkungen für den Insolvenzschutz in Deutschland mit Spannung erwartet. Je nach Verfahrensausgang könnten nochmals gesetzliche Änderungen – möglicherweise noch in dieser Legislatur – nötig werden.

Autor: VW-Redaktion

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