Bundesfinanzhof: Hohe Hürden für die Fünftel-Regelung bei Pensionskassen und Direktversicherungen

Quelle: Bild von Gerd Altmann auf Pixabay.

Die Streitfrage, ob und wann die Fünftelungsregelung gerade bei den sogenannten versicherungsförmigen Durchführungswegen angewandt werden darf, hatte der Bundesfinanzhof (Urteil vom 6. Mai 2020, X R 24/19) zur Entscheidung. Die Entscheidung wurde am 10. Dezember 2020 veröffentlicht. Es ging im Streitfall um die Frage, ob auch bei der Einmalzahlung des Rückkaufswertes einer Pensionskasse die Regelung des § 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG (Tarifermäßigung für „Vergütung für mehrjährige Tätigkeit“) anwendbar ist.

Der Fall: Der Arbeitnehmer erzielte im Streitjahr 2016 Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Außerdem erhielt er von einer Pensionskasse eine Einmalzahlung in Höhe von rund 30.000 Euro. Die Einmalzahlung resultierte aus zwei Pensionskassenverträgen, die durch Entgeltumwandlung finanziert wurden. Die Beiträge waren gemäß § 3 Nr. 63 EStG steuerfrei behandelt worden. Die reguläre Auszahlung zugunsten des Arbeitnehmers sollte im Februar 2032 beginnen (Versicherungsfall).

Im Jahre 2015 wurden die Verträge aufgrund eines finanziellen Engpasses des Arbeitnehmers zunächst beitragsfrei gestellt und anschließend vom Arbeitgeber auf Wunsch des Arbeitnehmers gekündigt und mit Wirkung zum 1. Januar 2016 aufgelöst. Die aus Versicherungswerten und Überschussanteilen bestehenden Auszahlungsbeträge leitete der Arbeitgeber an den Arbeitnehmer weiter.

Der Arbeitnehmer verlangte von seinem Finanzamt die Anwendung der sog. Fünftel-Regelung gemäß § 34 Abs. 4 EStG. Das Finanzamt wollte die Zahlung in vollem Umfang als sonstige Einkünfte gemäß § 22 Nr. 5 S. 1 EStG besteuern. Dagegen klagte der Arbeitnehmer. Das Finanzgericht Berlin-Brandenburg (Urteil vom 12.6.2019, 3 K 3058/19) entschied zugunsten des Arbeitnehmers. Das Finanzamt ging in die Revision.

Das Urteil: Der Bundesfinanzhof entschied zugunsten des Finanzamtes und hob das Urteil des Finanzgerichts auf. Das Finanzgericht bekam „Hausaufgaben“ mit und muss nun erneut entscheiden.

Das sind die Leitsätze des Bundesfinanzhofes:

  1. Die (Einmal-)Zahlung des Rückkaufswertes einer Versicherung der betrieblichen Altersversorgung erfüllt die Tatbestandsmerkmale „Vergütung für mehrjährige Tätigkeiten“ i.S. des § 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG.
  2. Für die Bestimmung der Außerordentlichkeit dieser Einkünfte ist eine wertende Betrachtung aller Versicherungsverträge aus dem Bereich Direktversicherungen, Pensionskassen und Pensionsfonds vorzunehmen, die unter Geltung des AltEinkG durch eine einmalige Kapitalabfindung bei Rentenbeginn oder vorzeitig durch Kündigung bzw. durch sonstige Vertragsauflösung mit der Folge einer Auszahlung des Rückkaufswertes beendet worden sind.

Aus den Urteilsgründen

  1. Beitragszahlungen, die tatsächlich nach § 3 Nr. 63 EStG steuerfrei gestellt waren, sind in vollem Umfang als sonstige Einkünfte gemäß § 22 Nr. 5 S. 1 EStG einkommenssteuerpflichtig.
  2. Zur Anwendung des ermäßigten Steuersatzes (§ 34 Abs. 1 EStG) gibt der Bundesfinanzhof zwei Hürden vor.

Zum einen muss das Tatbestandsmerkmal „Vergütung für mehrjährige Tätigkeiten“ erfüllt sein, zum anderen das Merkmal Außerordentlichkeit.

  • Die Auszahlung des Rückkaufswertes der beiden Rentenversicherungen erfüllt das Tatbestandsmerkmal „Vergütung für mehrjährige Tätigkeiten“ der Tarifbegünstigungsvorschrift (§ 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG). Denn die Fünftel-Regelung kann nach der Rechtsprechung des BFH grundsätzlich auf alle Einkunftsarten angewandt werden.

Die „Tätigkeit“ besteht bei Alterseinkünften in der früheren Leistung von Beiträgen. Die Voraussetzung der Mehrjährigkeit ist erfüllt, wenn die früheren Beitragszahlungen sich über mindestens zwei Veranlagungszeiträume erstreckten und einen Zeitraum von mehr als zwölf Monaten umfassten. Hiernach kann die einmalige Kapitalabfindung eines Anspruchs auf laufende Altersbezüge grundsätzlich als Vergütung für mehrjährige Tätigkeiten angesehen werden. 

  • Die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes erfordert jedoch sowohl nach dem Wortlaut des § 34 Abs. 1 EStG als auch nach dem Einleitungssatz des § 34 Abs. 2 EStG zusätzlich die „Außerordentlichkeit“ dieser Einkünfte. Der Bundesfinanzhof setzt hier das Kriterium „Atypik“ als entscheidend an. Die Argumentation des Finanzgerichts, warum die Auszahlung eines Rückkaufswertes „atypisch“ sein soll, reicht nicht.

Denn dazu hatte der Bundesfinanzhof in zwei Entscheidungen aus 2019 schon folgende „Hürden“ aufgebaut: In den Fällen, in denen es um die Begünstigung einer Einmalzahlung nach § 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG gehe, setze dies voraus, dass eine solche Einmalzahlung –in den dort zugrunde liegenden Verfahren: die Kapitalisierung laufender Ansprüche auf Altersbezüge– für den betreffenden Lebens-, Wirtschafts- und Regelungsbereich atypisch sei. Ob darüber hinaus in dem konkreten Vertrag die Möglichkeit einer Kapitalabfindung bereits von Anfang an vorgesehen gewesen sei oder nicht, stelle sich danach als ein Indiz dar, das allenfalls gewisse Rückschlüsse darauf zulassen möge, ob eine Kapitalabfindung im betreffenden Lebens- oder Wirtschaftsbereich typisch oder atypisch sei, aber nicht von alleinentscheidender Bedeutung sei.

Auch der Rückkauf eines Pensionskassenvertrags ist nach Auffassung des BFH nicht atypisch. Der BFH widerspricht hier der Argumentation des Finanzgerichts. Denn ein Rückkauf eines bAV-Vertrages im laufenden Arbeitsverhältnis sei – anders als das Finanzgericht angenommen hatte – weder vertrags- noch gesetzeswidrig. Denn das BetrAVG lässt Abfindungen im laufenden Arbeitsverhältnis zu.

Und ein Aufhebungsvertrag zwischen Versicherer und Arbeitgeber mit Einverständnis der versicherten Person sei nach allgemeinen Vertragsrecht auch ohne ausdrückliche Regelung in den Versicherungsverträgen möglich. Nach Auffassung des Senates greift auch nicht die Überlegung, dass die Kündigung und vorzeitige Auszahlung des Rückkaufswertes dem Zweck von Altersvorsorgeverträgen widerspreche. Denn der Gesetzgeber selbst hat Möglichkeiten zur Kapitalisierung von Altersversorgungsverträge eingeführt. Das spricht dafür, dass eine Kapitalisierungsmöglichkeit im Bereich der Schicht zwei nicht atypisch ist. Dies gilt auch für die Zahlung eines Rückkaufswertes. Die nach Auffassung des BFH damit nicht atypisch ist.

  • Der Bundesfinanzhof öffnet eine Tür zur Fünftel-Regelung und schlägt als Kriterium für die Atypik eine statistische Auswertung vor, die das Finanzgericht, das den Fall neuerlich prüfen muss“ in der „zweiten Runde“ beibringen soll. Die obersten Finanzrichter können mangels statistischen Materials nicht beurteilen, ob es nur in atypischen Einzelfällen zur Kapitalabfindung bei Rentenbeginn bzw. zur vorzeitigen Beendigung von Versicherungsverträgen aus dem Bereich der betrieblichen Altersversorgung durch Kündigung oder sonstige Aufhebung verbunden mit einer Auszahlung des Rückkaufswertes kommt oder nicht. Dies soll das Finanzgericht — erforderlichenfalls durch Anfragen bei Organisationen, die über entsprechendes statistisches Material verfügen dürften, wie z.B. Verbraucherschutzorganisationen sowie Verbände der Anbieter (Versorgungseinrichtungen)– festzustellen haben.
  • Insgesamt ist bei der Beurteilung der Einmalzahlung zu differenzieren zwischen Altersvorsorgeverträgen (Riester) und den drei versicherungsförmigen Durchführungswegen Direktversicherung, Pensionskasse und Pensionsfonds, die zu Leistungen führen, die gemäß § 22 Nr. 6 Satz 1 EStG zu versteuern sind.

Fazit: Die Hürden für die Anwendung der Fünftel-Regelung bei Einmal-Kapitalzahlungen in den Durchführungswegen Pensionskasse, Direktversicherung, Pensionsfonds liegen sehr hoch. Der Bundesfinanzhof hat ein kleines (Hinter-)Türchen offen gelassen: Gibt es Statistiken, die beweisen, dass es nur in atypischen Einzelfällen zur Kapitalabfindung bei Rentenbeginn bzw. zur vorzeitigen Kündigung vor Erreichen der vereinbarten Altersgrenze kommt, dann könne die zweite Hürde „Atypik“ für die Anwendung der Fünftel-Regelung genutzt werden. Wenn das Finanzgericht dies nutzt oder nutzen kann, wird der Fall absehbar wieder vor dem Bundesfinanzhof landen. Denn die Finanzverwaltung steht der Anwendung der Fünftel-Regelung in diesen Durchführungswegen bekanntermaßen kritisch gegenüber.

Autor: VW-Redaktion

4 Kommentare

  • Ein ständiger Versuch der Finanzverwaltungen, Kriterien stets zu Lasten der Steuerzahler immer enger zu definieren, als es eigentlich ökonomisch fair und sinnvoll wäre – denn im Grunde wird natürlich die Rente aus einer bAV ebenfalls über (viel mehr!) Jahre gestreckt versteuert! Dass die Kapitalauszahlung nicht zumindest über 5 Jahre verteilt werden kann ist ein fiskalisches Unding!

  • Aus meiner Sicht ist die Außerordentlichkeit der Einkünfte und somit die Anwendbarkeit der Fünftelregelung schon alleine deshalb zu bejahen, weil es das Wort „außerordentich“ schon ausdrückt: Außerordentlich heißt außerhalb der Normalität, synonym außergewöhnlich oder anders: einmalig.

    Dies ist zweifelsfrei in den Fällen zu bejahen.

    Es kratzt aus meiner Sicht auch an der Menschenwürde, wenn ein Rentner, der evtl. aus gesundheitlichen Gründen (und kürzeren Lebenserwartung) die Negativrendite aus der Versicherung zumindest minimieren möchte, sich für die Kapitalauszahlung entscheidet und dafür nicht nur mehr (Fünftelregelung) sondern unverschämt mehr (Einmalige Zahlung als „reguläres, normales Einkommen) versteuern soll.
    Hingegen sich der Gesunde mit einer Selbsteinschätzung eines noch langen Lebens eher für die Rentenzahlung(und damit sehr sehr lang gestreckte und steuersatzvergünstige Besteuerung) entscheidet.
    Dies berücksichtigte der Versicherer bereits in seiner Kalkulation.

  • Meine Gehaltsumwandlung wurde in einer Summe ausgezahlt und soll nun gegulär versteuert werden mit fast einem sehr hohen Steuersatz. Dadurch schmälert sich mein Kapital um zigtausende Euro. Dieses Geld fehlt mir aber im Alter. Das ist mehr als ungerecht im Vergleich zur Besteuerung der monatlichen Rente.

  • Meine Gehaltsumwandlung wurde bereits ausgezahlt. Ich finde es ungerecht, daß ein sehr hoher persönlicher Steuersatz, den ich sonst niemals erreichen würde (außergewöhnlich), angesetzt wird und einen großen Teil meiner mühsam angesparten Zusatzrente verschlingt. Durch die Gehaltsumwandlung erhalte ich ja schon eine reduzierte Altersrente, da weniger in die Rentenkasse geflossen ist. Am Ende bleibt noch ein Drittel von der Auszahlung übrig. Dies ist eine Ungleichbehandlung ohnegleichen.

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