Lebensversicherung: Assekurata beziffert stille Lasten auf 80 Milliarden Euro

(Bildquelle: dg)
„Die deutschen Lebensversicherer profitieren in ihrer Erfolgsrechnung von der Auflösung der Zinszusatzreserve“, schreibt die Ratingagentur Assekurata in einer aktuellen Mitteilung. Dies wirke sich positiv auf aktuelle und künftige Rohüberschüsse aus. Allerdings belasten stille Lasten die finanzielle Position der Branche und eine anhaltend unterdurchschnittliche Nettoverzinsung das Anlageergebnis. Die strukturellen Unsicherheiten in der Altersvorsorgepolitik unter der neuen Bundesregierung bleiben.
Seit der abrupten geldpolitischen Wende 2022 bewegt sich das allgemeine Zinsniveau oberhalb der Zwei-Prozent-Marke. Auch wenn die Europäische Zentralbank (EZB) zuletzt angesichts konjunktureller Schwächephasen wieder mit Leitzinssenkungen reagiert, hat sich das Ertragsniveau der Lebensversicherer im Vergleich zur Niedrigzinsphase stabilisiert, schreibt Assekurata. „Ein wesentlicher Grund dafür ist, dass die Anbieter von den Mitteln profitieren, die aus der Zinszusatzreserve frei werden“, erläutert Lars Heermann, Bereichsleiter Analyse und Bewertung bei der Ratingagentur.
Zum Bilanzstichtag 2024 bezifferte die Ratingagentur das branchenweite ZZR-Volumen auf 84 Milliarden Euro, was einem Rückgang gegenüber dem Höchststand von 96 Milliarden Euro Ende 2021 entspricht. Die frei werdenden Mittel kommen den Versicherten über höhere Überschussbeteiligungen zugute. Die laufende Verzinsung im Neugeschäft klassischer Rentenprodukte liegt derzeit bei durchschnittlich 2,52 Prozent (Vorjahr: 2,46 %).
Der Anstieg bleibt moderat. Ein wesentlicher Grund: stille Lasten in den Portfolios, die Heermann aktuell mit rund 80 Milliarden Euro beziffert. Es sind verdeckte Buchverluste, die zwar handelsrechtlich nicht realisiert werden müssen, aber die Handlungsfähigkeit in der Kapitalanlage einschränken.

Konservatives Anlageprofil bremst Spielräume
Rund 80 Prozent der Kapitalanlagen der Lebensversicherer entfallen auf festverzinsliche Wertpapiere mit langen Laufzeiten. Diese konservative Ausrichtung sicherte in Niedrigzinsphasen die Einhaltung von Garantiezinsen, führt bei steigenden Zinsen jedoch zu bilanziellen Belastungen. Der Marktwert der Anlagen liegt dann unter dem Buchwert und stille Lasten entstehen.
Die Nettoverzinsung der Branche lag 2024 bei 2,4 Prozent und damit nur leicht über dem Vorjahreswert von 2,2 Prozent, analysiert Assekurata. Die Solvenzquoten bewegen sich mit durchschnittlich rund 300 Prozent auf robustem Niveau. Übergangsmaßnahmen spielen laut Heermann kaum noch eine Rolle: „Da sie im aktuellen Zinsumfeld nur noch bei einer Handvoll Unternehmen überhaupt eine Wirkung entfalten.“
Trotz Belastungen hat sich die Rohüberschusslage verbessert. Die Umsatzrendite stieg zuletzt auf über 17 Prozent. Während sie in der Niedrigzinsphase lange um die zehn Prozent schwankte, erwartet Assekurata für 2027 infolge weiterer ZZR-Rückflüsse eine Annäherung an die 20 Prozent-Marke. Die zusätzlichen Erträge erhöhen die Flexibilität der Anbieter – für höhere Überschüsse, Investitionen oder den Abbau stiller Lasten.
Wachstumsimpulse seien laut Assekurata bislang nur punktuell erkennbar. Zwar wuchs der Vertragsbestand 2024 um 2,7 Milliarden Euro bzw. 3,1 Prozent, doch dieses Plus ist vor allem auf Einmalbeiträge (+10,6 %) zurückzuführen. Die laufenden Beiträge legten lediglich um 0,3 Prozent zu. Zudem entfielen rund 90 Prozent des Prämienzuwachses allein auf Marktführer Allianz. „Ohne die Zahlen des Marktführers sähe das Branchenwachstum weniger positiv aus“, so Heermann.
Der Vertragsbestand schrumpfte im gleichen Zeitraum um rund 1,1 Millionen Policen auf 80,3 Millionen. „Angesichts einer Bevölkerungszahl von mehr als 83 Millionen Menschen ist die Faustformel, dass statistisch jeder Deutsche einen Lebensversicherungsertrag besitzt, schon nicht mehr ganz haltbar“, ordnet Heermann ein.
„Das Neugeschäft deckt die Abläufe nicht. Perspektivisch dürfte hier weiterer Handlungsdruck aufkommen, da in naher Zukunft viele Verträge zur Auszahlung kommen“, betont er. Potenziale sieht Assekurata insbesondere in der Wiederanlage ablaufender Verträge und im Ruhestandsmanagement. Die Babyboomer-Generation rückt dabei zunehmend in den Fokus.

Biometrie-Geschäft bleibt Hoffnungsträger
Ein Wachstumsfeld erkennt Assekurata in der Biometrieversicherung. Vor allem die Berufsunfähigkeitsversicherung (BU) entwickle sich stabil. In der Grundfähigkeitsversicherung dagegen herrscht Ernüchterung aufgrund intransparent formulierter Leistungsauslöser, Abgrenzungsprobleme zur BU bremsen den Vertrieb. Mittlerweile rücken neben Produktqualität auch Preisfaktoren stärker in den Wettbewerb, insbesondere bei Sterbegeld- und Risikolebensversicherungen, heißt es in der Analyse.
Regulatorische Vorgaben, technologische Anforderungen und gesellschaftlicher Wandel erhöhen den Konsolidierungsdruck in der Branche. „Die enormen Herausforderungen tragen dazu bei, dass mehrere Versicherer einen Zusammenschluss angekündigt haben oder diesen bereits vollziehen“, erklärt Assekurata-Chef Reiner Will. Eine umfassende Fusionswelle erwartet der jedoch nicht: „Ein Zusammenschluss ist nur dann erfolgversprechend, wenn der wirtschaftliche, strategische und kulturelle Fit groß genug ist.“
Gleichzeitig sieht Will politischen Handlungsbedarf. „Die von der neuen Bundesregierung geplante Frühstartrente könnte zwar zu vielen Neuverträgen der Lebensversicherer führen. Allerdings dürften die einzelnen Vertragsvolumina bei einem geplanten Förderbetrag von monatlich zehn Euro zu klein sein, um insgesamt zu einem echten Wachstumsschub in der Branche zu führen.“
Will fordert eine zügige Wiederaufnahme der Reformbemühungen: Die schwarz-rote Regierungskoalition solle möglichst zeitnah die Initiative für eine neue geförderte Altersvorsorge ergreifen.
Autor: VW-Redaktion