Wie die ALH dem Fachkräftemangel begegnet und Nachwuchskräfte fördert: „Mitarbeitende müssen ein eigenes Frühwarnsystem entwickeln, wenn der Stress zu groß wird“

Frank Kettnaker, Mitglied der Vorstände ALH Gruppe und Dr. Bettina Klippel-Schröck, Leiterin Zentralbereich Personalentwicklung ALH. (Bildquelle: ALH)

Versicherer buhlen um Top-Manager, doch diese sind rar. Gute Führungskräfte kann man jedoch auch im eigenen Haus finden, wenn man sie entsprechend fördert – vor allem Frauen. Welche Maßnahmen die ALH-Gruppe ergreift, erklären Vorstand Frank Kettnaker und Dr. Bettina Klippel-Schröck, Leiterin Zentralbereich Personalentwicklung ALH, im Interview.

Seit 2007 ist Frank Kettnaker Vorstandsmitglied für Vertrieb und Marketing bei der Alte Leipziger – Hallesche-Gruppe. Vor einigen Wochen wurde er von ServiceValue und Versicherungsmagazin zur Vertriebspersönlichkeit des Jahres gekürt. Nicht zuletzt deshalb, weil er in den vergangenen Jahren maßgeblich zur Entwicklung und Umsetzung neuer Strategien in den Bereichen Vertrieb und Marketing beigetragen hat. Kettnaker, der sich selbst als Chancenfinder bezeichnet, setzt zudem auf direkte Kommunikation und Community-Building in den sozialen Medien, denn aus seiner Sicht ist der Austausch auf diesem Kommunikationskanal ein wesentlicher Teil seiner Rolle. Die Anzahl seiner Follower gibt ihm Recht. Unter #nachgefrankt bezieht er bei LinkedIn regelmäßig persönlich Stellung, z.B. zu den Themen Eigenverantwortung und auch mentale Gesundheit. Sein Post zum Thema Frauen in der Versicherungsbranche hatte Ute Geishauser, Beraterin, Business & Resilienz-Coach, zur Interview-Anfrage inspiriert. Das persönliche Gespräch mit Frank Kettnaker und Dr. Bettina Klippel-Schröck, Zentralbereichsleiterin der Personalentwicklung bei der ALH-Gruppe, fand vor einigen Wochen in der Direktion in Oberursel statt. 

Der Fachkräftemangel ist im Bereich Vertrieb deutlich spürbar, aber auch in allen anderen Bereichen der Versicherungswirtschaft. Welchen Weg geht die ALH-Gruppe, um die in der Branche besonders ausgeprägten Nachbesetzungsfragestellungen zu beantworten?

Frank Kettnaker: Wir setzen sehr stark auf unsere Inhouse-Potenziale und die Weiterentwicklung unserer Mitarbeiter:innen. Bereits 2018 haben wir einen Gesamtprozess für Potenzialentwicklung  zur systematischen Förderung von Nachwuchskräften aufgesetzt. Jedes Ressort führt eine sogenannte Portfolio-Konferenz durch, um eine Sicht auf Potenzialträger auf allen Ebenen zu erhalten. Im Austausch mit den oberen Führungskräften wird diskutiert, wohin sich Potenzialträger zentralbereichsübergreifend entwickeln können und welche Qualifizierungsmaßnahmen sie dafür benötigen.

In Ihren Social-Media-Beiträgen wird deutlich, dass Ihr Unternehmen auch das Thema Frauenförderung angeht.

Frank Kettnaker: Wir brauchen und wollen mehr Frauen in Führungspositionen in unserem Unternehmen. Es ist erwiesen, dass der Unternehmenserfolg mit gemischten Teams nachhaltiger ist. Zudem bringen Frauen mehr Dimensionen und Perspektiven ein. Bei uns wird nicht über Quoten diskutiert, sondern über die Frage, was wir dafür tun, damit mehr Frauen verantwortliche Rollen besetzen. Auch heute noch sehen sich Frauen häufig nicht sofort in der ersten Reihe. Wir haben z.B. festgestellt, dass Frauen vor einem Jobwechsel eine längere „Bedenkzeit“ benötigen als Männer. Unseren Ausschreibungsprozess haben wir daraufhin angepasst, sprich verlängert und legen besonderen Wert auf das Wording. Zugegebenermaßen erwischen auch wir uns noch bei Formulierungen wie „ich will den Besten“. Ich bin eben auch ein alter weißer Mann …

Frau Dr. Bettina Klippel-Schröck, Sie sind selbst Mentorin, Mitglied im VGA AK Frauen und Führung und haben in den letzten Jahren bei unterschiedlichen Versicherern bereits Konzepte zur Förderung von Vielfalt und Diversität in Führungsteams entwickelt und implementiert. Welche persönlichen Erfahrungen sind in das aktuelle ALH-Programm eingeflossen?

Bettina Klippel-Schröck: In den letzten Jahren habe ich Frauen kennengelernt, die richtig gut waren, sich aber nicht proaktiv für Führung positioniert haben, weil sie sich das nicht zugetraut haben. Einige dieser Frauen haben dann mit viel Ermutigung, Unterstützung und sanftem Drängen sehr erfolgreich eine Führungsposition übernommen. Das heißt für uns Führungskräfte, dass wir bei der Förderung von Frauen, bei denen wir Potenzial sehen, nicht so schnell aufgeben dürfen, sonst vergeuden wir unter Umständen echtes Führungspotenzial. Im Innendienst der ALH-Gruppe sind bereits 31% Frauen in Führung, im Vergleich zum Branchendurchschnitt von 28,9%. In letzter Zeit begegne ich immer mehr Frauen, die durchaus entschlossen sind, eine Führungsrolle zu übernehmen und das ist super.

Was macht Ihr Programm zukunftsfähig? 

Bettina Klippel-Schröck: Es hat sich gezeigt, dass familien- und lebensphasenbewusste Arbeitsbedingungen für alle Beschäftigten ein gutes Umfeld bieten, um persönliche Weiterentwicklung, Beruf und Familie miteinander zu verbinden. Deshalb berücksichtigen wir die unterschiedlichen Lebensphasen und die neuen Lebensmodelle unserer Mitarbeitenden. Und das sowohl im Recruiting als auch im Rahmen der Mitarbeiter:innen-Bindung. Dazu gehört unser Angebot an flexiblen Arbeitszeiten und variablen Teilzeitmodellen – auch für Führungspositionen. In Zusammenarbeit mit einem bundesweit tätigen Dienstleister bieten wir Unterstützung in allen Fragen der Kinderbetreuung sowie der Pflege und Versorgung hilfebedürftiger Angehöriger an.

Welche Inhouse-Maßnahmen eignen sich besonders zur Förderung von Führungsnachwuchskräften?

Frank Kettnaker: In der ALH-Gruppe gibt es seit einigen Jahren unser Potenzialentwicklungsprogramm. Um einen Blick auf die Stärken und Entwicklungsfelder unserer Potenzialträger zu erhalten, wird ein persönliches Beratungsgespräch für den Mitarbeitenden mit der Personalentwicklung, die aktuellen sowie ggfs. die übernehmende Führungskraft durchgeführt, aus dem ein Entwicklungsplan resultiert. Die Entwicklungspläne der jeweiligen Potenzialträger:innen können dabei sehr individuell zugeschnitten werden. Hospitations- und Mentoringangebote sind Maßnahmen, die häufig in diesem Zusammenhang angeboten werden. Angehenden Führungskräften bieten wir die Möglichkeit, tage- bzw. wochenweise innerhalb des Konzerns zu hospitieren, um die Sicht einer weiteren Führungskraft kennenzulernen und um andere Führungsmodelle anzuschauen.

Zudem sind inzwischen konzernweit 25 Führungskräfte als Mentor:innen im Einsatz. Mentees haben alle 3-6 Wochen ein Mentoring-Treffen auch bei meinen Vorstandskolleg:innen und bei mir, und das bereits seit einigen Jahren. Von dem Austausch mit den jungen Kolleg:innen profitieren auch wir als Mentoren sehr. Inzwischen sind insgesamt 44 Programm-Teilnehmer:innen aus dem Potenzialentwicklungsprogramm in Führungspositionen.

Gibt es eine besonders wichtige Erkenntnis aus Ihrer Mentoring-Erfahrung?

Frank Kettnaker: Das Thema Resilienz hat bereits einen hohen Stellenwert in der ALH-Gruppe. Wir sollten als Arbeitgeber zudem dazu beitragen, dass Mitarbeitende ein eigenes „Frühwarnsystem“ entwickeln, wenn der Stress zu groß wird. Als Mentorin konnte ich beobachten, dass gerade weibliche Mentees häufiger auf das Wohlergehen anderer schauen und sich selbst aus den Augen verlieren. Hier sind wir als Arbeitgeber in der Verantwortung, beim Resilienz-Aufbau zu unterstützen.

Resilienz wird als eine der wichtigsten Zukunftskompetenzen des 21. Jahrhunderts beschrieben. Auf welche weiteren „Future Skills“ setzen Sie bei Ihren angehenden Führungskräften?

Bettina Klippel-Schröck: Im ersten Schritt geht es in unseren Entwicklungsgesprächen um die Fähigkeit zur Selbstreflexion. Die Fähigkeit, eigene Emotionen und Handlungsmotive wahrzunehmen, ist eine wichtige Basis-Kompetenz von Führungskräften. Führung beginnt mit Selbstführung, denn wie ich mich führe, so führe ich andere. Die von der Generation Z gewünschte Eigenverantwortung erfordert ein hohes Maß an partizipativer Führungskompetenz, die – wenn nötig – auch durch gezielte Coaching-Maßnahmen verbessert werden kann und sollte. Zu den Zukunftskompetenzen zählt ebenfalls der Umgang mit zunehmender Komplexität, die eigene Veränderungskompetenz und die Bereitschaft zu lebenslangem Lernen. Aber auch Mut, Konfliktfähigkeit, Entscheidungsfähigkeit, Verantwortungsübernahme und Proaktivität. Um diese Kompetenzen geht es in den Entwicklungsgesprächen und auch um das Erkennen und Anerkennen eigener Grenzen und darum selbst „lernfähig“ zu sein.

Die Fragen stellte Ute Geishauser. Sie berät Versicherer und Maklerunternehmen im Rahmen der Nachfolgeplanung und Mitarbeiter*innenbindung im Innen- und Außendienst sowie bei dem Aufbau der Family & Social Fit Readiness. Mit FIM – dem FEMALE INSURANCE MENTORING hat sie das erste übergreifende Unterstützungsprogramm für Frauen in der Branche entwickelt, das neben dem Karriereaufbau, die Themen Resilienz und die gelungene Verbindung von Beruf- und Privatleben beinhaltet.

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