Wie Künstliche Intelligenz zum Differenzierungsfaktor der Zukunft wird

Bild von Markus Spiske auf Pixabay.

Was können Künstliche Intelligenz und virtuelle Assistenten  leisten? Und warum sollten Versicherer über KIaaS (KI-as-a-Service) nachdenken? Das und mehr erklärt Thomas Zwack, Partner für den Versicherungsbereich in Deutschland, Österreich und der Slowakei bei Capco, in seinem Gastbeitrag.

Mögliche Wettbewerbsvorteile durch den Einsatz von Künstlicher Intelligenz elektrisieren die europäische Versicherungsbranche. Die Verheißungen sind vielfältig – von Effizienzverbesserungen im Backend bis hin zu neuen Möglichkeiten an der Kundenschnittstelle. Während einige Versicherer bereits die Industrialisierung von KI-Anwendungsfällen im eigenen Unternehmen, beispielsweise mittels einer KI-Fabrik, vorantreiben, suchen andere immer noch nach dem richtigen Use Case für eine erste Pilotierung. Best Practice-Beispiele für den Einsatz smarter Algorithmen finden sich derzeit, insbesondere im asiatischen und nordamerikanischen Raum. Bei aller Euphorie rund um die Technologie gilt jedoch, dass eine frühzeitige Evaluierung der Chancen und Risiken essenziell ist, könnte der technologische Epochenumbruch doch auch neuen Herausforderern die Tore öffnen.

Beispiele für virtuelle Assistenten: Smarte KI-Algorithmen können z.B. als Unfallassistent im Kfz-Bereich die komplette Schadenaufnahme, gemeinsam mit dem Versicherten, inklusive Speicherung von Bild- und Geodaten übernehmen und die weiteren Schritte von der Schadenabwicklung bis zur Auszahlung durchführen. Ebenso denkbar ist der intelligente Auslandsreiseagent, der nicht nur die Arztsuche für Kunden im Ausland übernimmt, sondern parallel mit einem medizinischen Übersetzungsdienst hilft. Diese Beispiele zeigen: Die Einsatzfelder sind extrem vielfältig – der Komfortgewinn auch für den Endkunden kann enorm sein.

Virtuelle Assistenten

Durch Künstliche Intelligenz können Versicherer nicht nur befähigt werden, etwa den Grad der Dunkelverarbeitungsquote ihrer Prozesse deutlich zu erhöhen oder den Schadenaufwand durch intelligente Betrugserkennungs- und Prüftools zu senken. Gerade in der Kommunikation mit Kunden können intelligente Assistenten ihre Stärke ausspielen, indem sie bei der Bearbeitung wiederkehrender Aufgaben kontinuierlich unterstützen, den Sachbearbeiter entlasten und somit sowohl die Bearbeitungszeit als auch die Servicequalität im Versicherungsunternehmen deutlich verbessern. Schon heute werden digitale Assistenten beispielsweise im Underwriting, in der Kundenbetreuung, bei der Unterstützung von gebundenen Vermittlern oder Maklern, im Marketing für Produktempfehlungen und -vergleiche sowie in der Schadenbearbeitung eingesetzt. Sobald die eingesetzten Algorithmen erkennen, dass die vorliegende Aufgabe die eigene Kompetenz übersteigt und keine Lösung erzielt werden kann, wird automatisch ein Sachbearbeiter hinzugezogen.

Der Kunde ist König

Diese modernen Betreuungskonzepte berücksichtigen über die gesamte Wertschöpfung hinweg alle Serviceleistungen, die zur Verbesserung der Kundenbindung dienen. „Der Kunde ist König“ ist die Leitlinie und das sollte auch beim Konsumenten ankommen. Allen Kunden steht rund um die Uhr ein „qualifizierter“ digitaler Ansprechpartner, also Chatbot oder Sprachassistent, zur Verfügung. Dabei ist es gleichgültig, ob sie über das Telefon, intelligente Lautsprecher (z.B. Alexa), E-Mail oder Social-Media-Kanäle Kontakt aufnehmen. Zufriedene Versicherungsnehmer tragen zum langfristigen Unternehmenserfolg bei und Kaufentscheidungen werden nicht mehr nur über den Preis beeinflusst.

Entlastung der Sachbearbeiter

Durch den Einsatz von virtuellen KI-Assistenten werden auch die Mitarbeiter in den Service-Einheiten deutlich entlastet, wenn die virtuellen Helfer gezielt für das Beantworten von typischen Kundenanfragen eingesetzt werden. Mitarbeiter müssen sich nicht mehr mit einer Vielzahl von leicht zu bearbeitenden Routinefällen beschäftigen, sondern können sich auf komplexere Geschäftsvorfälle konzentrieren, dabei auch den Kunden proaktiver unterstützen.

Umsetzung

Die Einführung dieser virtuellen Assistenten im eigenen Unternehmen ist oftmals nicht trivial. Üblicherweise werden zunächst die Kunden- und Wertströme in der Organisation analysiert und das zukünftige Einsatzfeld des virtuellen „Mitarbeiters“ festgelegt. Das Einsatzgebiet bestimmt die dazu notwendige Datenbasis, welche aus internen Daten oder Daten von Dritten besteht. Aufbauend darauf können auf einer geeigneten Big Data-Infrastruktur die entsprechenden Algorithmen und KI-Modelle gebaut, trainiert und kontinuierlich weiterentwickelt werden.

Typische Herausforderungen

  1. Die für den Aufbau der IT-Infrastrukturen und Schnittstellen notwendigen Experten stehen oftmals nicht – oder nur zu einem unzureichenden Anteil – im eigenen Hause zur Verfügung.
  2. Die für die Modellentwicklung notwendigen Kompetenzen (Data Engineer / Data Scientist / et al.) müssen entweder zunächst intern qualifiziert, vom Markt teuer eingekauft oder von Dritten übernommen werden.
  3. Die Datenqualität im eigenen Unternehmen ist nicht ausreichend für aussagekräftige Modelle.
  4. Das für die Umsetzung notwendige Budget ist bereits für höher priorisierte Vorhaben (z.B. zeitkritische regulatorische Anpassungen) verplant.
  5. Bei einer möglichen Kooperation mit externen Dritten (z.B. Kauf von bestehenden Lösungen) stellt man fest, dass der Markt unübersichtlich ist und das Leistungsversprechen oftmals nicht exakt verifiziert werden kann.

Gemeinsam stärker: KI-as-a-Service als Branchenkonsens?

In anderen Industrien haben sich bereits kleinere Unternehmen zusammengeschlossen und profitieren gemeinsam von einem KIaaS (KI-as-a-Service)-Ansatz. Für Versicherer könnte dies beispielsweise bedeuten, dass sie die für einen bestimmten Use Case relevanten Daten anonymisiert einem Konsortium bzw. dem KIaaS-Anbieter zur Verfügung stellen. Dieser Datenpool wird damit durch „2nd party data“, also gleichwertigen anonymisierten Daten von vielen Versicherern, angereichert und ausschließlich für das Training der Modelle genutzt. Diese Modelle gewinnen für alle partizipierenden Versicherer massiv an Aussagekraft und Verlässlichkeit. Auch Versicherer mit kleineren Datenbeständen könnten so von einer Vielzahl an leistungsstarken Modellen, die nicht mehr selbst trainiert werden müssen, und einer KI-Infrastruktur, die nicht mehr selbst teuer aufgebaut werden muss, profitieren. Im eigenen Haus würden schließlich die „Grundmodelle“ nur noch angepasst, um individuelle Akzente gegenüber den Mitbewerbern der Branche herauszustellen.

Wird die Algorithmen-Qualität zum wichtigsten Differenzierungsfaktor?

Eine Frage wäre auf jeden Fall im Vorfeld zu beantworten: Sind die Daten eines Versicherers noch immer das „wichtigste“ Betriebsmittel? Dann ist die Option, diese zu teilen, nicht denkbar. Geht man aber davon aus, dass sich Versicherer in einigen Jahren nur noch über leistungsstarke individuelle KI-Algorithmen von Mitbewerbern differenzieren, ist ein forcierter, gemeinsamer Ansatz eine attraktive Möglichkeit. Das geballte Know-how und die optimierten Algorithmen könnten auch die Eintrittshürde für ambitionierte Insurtechs wieder etwas höher legen.

Es bietet sich an, Kooperationen in einfacheren Anwendungsfeldern virtueller Assistenten zu erproben. Bereits heute existiert eine Vielzahl von Standardaufgaben, die bei jedem Versicherer in fast identischer Weise auftreten. Hier könnte sich eine zeitnahe Zusammenarbeit zwischen mehreren Versicherern im Sinne eines ersten Piloten durchaus lohnen.

Autor: Thomas Zwack ist Partner für den Versicherungsbereich in Deutschland, Österreich und der Slowakei bei Capco, einer globalen Unternehmens- und Technologieberatung mit Fokus auf die Finanzdienstleistungsbranche.