Digitalisierung: Wie proaktiver Wandel und Innovation gelingt

Karsten Schmitt. Quelle: Adesso

Groß sind die Unterschiede zwischen den verschiedenen Branchen bei der Entwicklung und Umsetzung einer Digitalisierungsstrategie. Laut einer Branchenumfrage des Nürnberger Fintechs Billomat belegt die Pole Position im Branchenranking wenig überraschend EDV/IT mit 91,8 Prozent. Ein Gastbeitrag von Karsten Schmitt.

Darauf folgt, genauso wenig überraschend, E-Commerce mit immer noch beachtlichen 90,9 Prozent. Den meisten Versicherern ist bewusst, dass sie ihr Geschäft stärker digitalisieren müssen und zu den erwähnten Branchen aufschließen müssen. Denn es treibt sie die Sorge um, dass sie von branchenfremden neuen Anbietern, Insurtechs oder sogar IT-Unternehmen überholt, wenn nicht sogar ersetzt werden könnten.

Kundenorientierung als Treiber für Digitalisierungsprojekte

Tatsächlich lohnt sich für Versicherer ein Blick auf Kundenorientierung und Customer Experience der Omnichannel-orientierten E-Commerce-Unternehmen. Gerade dort, wo „digital“ ein Teil der Business-DNA ist, werden die „Pain Points“ der Kundinnen und Kunden adressiert. Jeder kann sich selbst die Frage stellen, ob er lange Wartezeiten, unübersichtliche Formulare, unverständliche Vertragsklauseln und Gespräche mit unterschiedlichen Abteilungen von Amazon oder Zalando kennt. Vereinfachte und verbesserte Prozesse an der Kundenschnittstelle stehen deshalb zu Recht bei den meisten Versicherungen im Fokus der Digitalisierung, besagt auch eine Studie des Marktforschungs- und Beratungshauses ISG aus dem letzten Jahr.

Verstärkt wird diese Entwicklung sicherlich noch dadurch, dass Kundinnen und Kunden in Pandemie-Zeiten erkannt haben, welche Möglichkeiten Digitalisierung bietet, sowohl für die Kollaboration als auch für den Konsum. Die Nachfrage nach digitalen Produkten und Services wird deshalb zunehmen. Darauf reagieren Versicherer bereits, allerdings liegt es nicht selten an der Struktur der etablierten Versicherungskonzerne, dass ein Wandel, der nicht unbedingt disruptiv sein muss, Zeit benötigt.

Modernisierung hybrider Altsysteme ebnet der Innovation den Weg

Viele Versicherungsunternehmen gleichen großen Tankern statt Schnellbooten: Eine über Jahrzehnte selbst entwickelte und gewachsene heterogene IT-Landschaft lässt sich nicht „im Handumdrehen“ umkrempeln und modernisieren. Für viele Versicherer lautet die Herausforderung nach wie vor, die Legacy-IT zu modernisieren und analoge Prozesse in eine digitale Realität zu überführen. Es ist sicherlich mit dem Umfang solcher Projekte und auch mit internem Ressourcenmangel zu begründen, warum viele Versicherer noch nicht so weit sind, wie sie vor einigen Jahren sein wollten.

Dennoch gilt festzuhalten, dass die Branche verstanden hat, erst die Hausarbeiten erledigen zu müssen, beispielsweise Bearbeitungsprozesse zu automatisieren und Datensilos aufzulösen, um im nächsten Schritt Zukunftstechnologien wie Künstliche Intelligenz (KI) umfassend einsetzen zu können.

„Out-of-the-Box-Denken“: Ein Praxisbeispiel

Innerhalb bestehender Strukturen und Prozesse wirkliche Innovation zu erreichen, fällt nicht immer leicht. Einen eigenen Weg ist die Provinzial NordWest gegangen, die einen digitalen Gewerbeversicherer außerhalb der bestehenden Strukturen und Prozesse gegründet hat. Das Ziel war es, mit der andsafe AG genannten Tochtergesellschaft einen digitalen Versicherer mit einer 100-prozentigen Cloudstrategie aufzubauen. Denn das Angebotsportfolio für Gewerbekunden soll zukünftig einfach und schnell um weitere Produkte ergänzt werden können.

Im Rahmen eines agilen Projektumfelds wurde eigens eine Onlineplattform entwickelt. Darüber hinaus sollten zugehörige BiPRO-Normen umgesetzt, Sparkassen- und Ausschließlichkeitsorganisationen angebunden sowie ein Vermittlerportal integriert werden. Eine wichtige Voraussetzung zum Eintritt in das Zeitalter der digitalen Versicherung war es, gewachsene interne Prozesse, Hierarchien oder eine „Das war schon immer so“- Mentalität konsequent zu überwinden. Denn diese führen zu langwierigen Entwicklungsprozessen und damit zu unnötig langen Time-to-Market-Zyklen.

Digitalisierung ermöglicht proaktiven Wandel und Innovation

Der Blick über den Branchentellerrand lohnt sich. Dabei machen Unternehmen der E-Commerce-Branche vor, was Kunden an Services erwarten können, und beweisen, dass die Möglichkeiten der Digitalisierung dank technologischer Innovation immens sind. Digitale Kompetenz wird damit zukunftsentscheidend für Versicherer. Diese sind nicht gezwungen, sich von ihrem Kerngeschäft abzuwenden, das Gegenteil ist der Fall. Aber es ist höchste Zeit, IT-Landschaften zu modernisieren und so aufzusetzen, dass die Akteure der Versicherungswirtschaft den technologischen Wandel proaktiv gestalten können.

Gefragt ist eine ausreichende Flexibilität, um neue (digitale) Produkte einzuführen, Kooperationen mit anderen Marktteilnehmern einzugehen und sich dabei über alle „Touchpoints“ hinweg am Kundenbedürfnis auszurichten, sei es digital oder analog. Ziel ist eine persönliche und individuelle Betreuung, abgebildet durch robuste Prozesse und flexible Systeme. Die Digitalisierung wird zahlreiche moderne Geschäftsmodelle, deren Ideen und Konzepte schon seit einiger Zeit in der Forschung und Praxis bekannt sind, erleichtern und ihren wirtschaftlichen Betrieb überhaupt erst gestatten.

Autor: Karsten Schmitt, Head of Business Development der adesso insurance solutions GmbH

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