Macht künstliche Intelligenz die Versicherer zu „hochriskanten“ Unternehmen?

Prof. Dr. Petra Pohlmann auf dem 38. Versicherungstag in Münster. Quelle: privat.

Am Wochenende fand der 38. Münsterische Versicherungstag. Über die Regulierung von KI, Nachhaltigkeit an den Finanzmärkten und Pandemieabdeckung wurde prominent debattiert. Teilnehmer waren unter anderem Karen Bartel, Leiterin Verbraucherpolitik und Datenschutz beim GDV, BDVM-Geschäftsführer Hans-Georg Jenssen und Juristen wie Stefan Perner, Institut für Zivil- und Zivilverfahrensrecht, Wirtschaftsuniversität Wien.

Auf dem 38. Münsterischen Versicherungstag, der am 21. November 2020 online stattfand, sprach sich Karen Bartel, Leiterin Verbraucherpolitik und Datenschutz beim Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft e.V., angesichts des für das erste Quartal 2021 zu erwartenden Vorschlags der Kommission zur Regulierung von KI dafür aus, den bestehenden Regulierungsrahmen zuerst auszuschöpfen, die Definition von KI eng zu fassen und Versicherer nicht in den stärker regulierten Bereich des hochriskanten KI-Einsatzes einzuordnen. Sie widersprach im letztgenannten Punkt dem Initiativbericht des Europäischen Parlaments. Für die, so Bartel, gut gefüllte Regulierungspipeline sei zu wünschen, dass bevorzugt Soft-Law-Instrumente eingesetzt würden.

Auch Tobias O. Keber, Professor für Medienrecht und Medienpolitik in der digitalen Gesellschaft an der Hochschule der Medien (HdM) sowie Mitglied des Leitungsgremiums des Instituts für Digitale Ethik (IDE) in Stuttgart, betonte, dass eine juristische Definition von KI spezifisch zu erarbeiten sei. Für die digitale Ethik, verstanden als auf die digitale Welt angewandte Ethik mit Schnittmengen zu Informationsethik, Roboterethik, KI-Ethik, Datenethik u.a., sah er für Versicherer das Vertrauen der Kunden als zentralen Aspekt. Versicherer seien durchaus in bestimmten Bereichen, z. B. der Personenversicherung, dem hochriskanten Bereich zuzurechnen. Und wie komme die Ethik in die Finanzprodukte? Selbstregulierung berge die Gefahr des „Ethics Washing“, so Keber. Er sprach sich daher für eine Pflicht zur Kennzeichnung von KI aus und für ein dezidiert transparentes und nachvollziehbares Design.

Das Thema Nachhaltigkeit

Eng verbunden mit ethischen Fragen ist auch die Forderung nach Nachhaltigkeit, die an die Finanzmärkte gestellt wird. Monica Mächler, Mitglied der Verwaltungsräte der Zurich Insurance Group AG und der Zürich Versicherungs-Gesellschaft AG, gab einen Überblick über die zahlreichen internationalen Agenden, Übereinkommen, Empfehlungen und Standards, über die EU-Regulierung und -Strategien sowie über nationale Entwicklungen. Nachhaltigkeit sei, so Mächler, heute eine Perspektive, unter der man alle Lebensbereiche betrachte, verkürzt zusammengefasst unter „Environmental, Social und Governance“. Versicherer hätten die Nachhaltigkeit auf qualitativer und quantitativer Ebene zu verwirklichen. Versicherungsregulierung solle aber, um Transparenz und Klarheit zu wahren, auf ihren Schutzzweck fokussiert bleiben. Sie solle nicht mit Lenkungszielen vermischt werden, die nicht durch die Versicherungsregulierung geschützt werden, aber gestützt auf andere, sektorübergreifende Erlasse verfolgt werden können.

Stefan Perner, Institut für Zivil- und Zivilverfahrensrecht, Wirtschaftsuniversität Wien, gab einen Überblick über die aktuellen Fragen der Betriebsschließungsversicherung und die dazu in Literatur und Rechtsprechung vertretenen Positionen. Er ging u.a. auf die Konsequenzen der unterschiedlich ausgestalteten Verweise in das Infektionsschutzgesetz ein als auch auf die Frage, ob der Lockdown eine Betriebsschließung im Sinne der Bedingungen darstellt oder hierfür eine von dem Betrieb ausgehenden Gefahr erforderlich ist. Perner betonte, dass die Interpretation der Verträge im Rückblick, mit dem Wissen um die Covid-19-Pandemie, vielleicht zu Ergebnissen führe, die dem Verständnis der Versicherungsnehmer bei Vertragsschluss nicht entsprächen.

Über die Zukunft der Pandemiedeckung diskutierten unter der Moderation von Oliver Brand, Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Privatversicherungsrecht, Wirtschaftsrecht und Rechtsvergleichung, Universität Mannheim, Christian Böhm, Leiter Corporate Insurance der Freudenberg-Gruppe, Vorsitzender des Arbeitskreises Versicherung des Bundesverbandes der Deutschen Industrie und Mitglied des Vorstands des Gesamtverbands der versicherungsnehmenden Wirtschaft e.V., Oliver Hauner, Leiter Sach- und Technische Versicherung, Schadenverhütung und Statistik beim Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft e.V., und Hans-Georg Jenssen, Geschäftsführender Vorstand, Bundesverband Deutscher Versicherungsmakler. Einig war man sich, das Lösungen sowohl auf nationaler als auch europäischer Ebene gefunden werden müssen. Hauner betonte, es handele sich um eine Generationenfrage; es müsse ein System entwickelt werden, das auch in 40 Jahren noch funktionieren würde. Böhm und Jenssen forderten, dennoch müsse möglichst schnell eine Lösung gefunden werden. „Role model“, so Jenssen, sei die Terror-Versicherung Extremus, ein Private Public Partnership. Eine Pflichtversicherung solle nicht eingeführt werden, sondern es solle dem, der sich nicht versichere, die auf zweiter Stufe eingreifende staatliche Unterstützung versagt werden – ein Punkt, der kontrovers diskutiert wurde.

Barbara Eggenkämper, Leiterin des Firmenhistorischen Archivs der Allianz Deutschland, warf anlässlich des 30. Jahrestages der Wiedervereinigung einen Blick zurück. Die Entwicklung in der DDR von der Privatversicherung zur staatlichen Einheitsversicherung und dann wieder zurück wurde nachgezeichnet. Frau Eggenkämper erläutertet auch die besondere Rolle der Allianz nach der Wende, ging aber auch auf die erforderlichen rechtlichen Rahmenbedingungen und Herausforderungen der Währungsreform ein.

Insgesamt fand trotz des Online-Formats eine rege Diskussion mit dem Publikum statt, das sich in Breakoutrooms auch in den Pausen treffen konnte. Der nächste Versicherungstag findet am 20. November 2021 statt. Weitere Informationen zum Thema KI in der Versicherung gibt es unter www.idi.science. Aktuelle Informationen zu den Auswirkungen der Corona-Pandemie stellt die Forschungsstelle für Versicherungswesen Münster monatlich in einem „Corona-Update“ zusammen.

Autorinnen: Petra Pohlmann und Johanna Scheiper

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