Helvetia-Vorstand Lanfermann: „Ein Sachbearbeiter im klassischen Sinne wird künftig nicht mehr ausreichen“

Thomas Lanfermann, Ressortleiter Komposit und Mitglied der Geschäftsleitung Helvetia Deutschland. Quelle: Helvetia

Welche Rolle spielt künstliche Intelligenz künftig in der Schadenregulierung der Versicherer und kann die neue Technik die Dienste des Sachbearbeiters bald ablösen? Im Exklusiv-Interview mit der Versicherungswirtschaft spricht Thomas Lanfermann, Mitglied der Geschäftsleitung und Vorstand Komposit bei Helvetia, über den wachsenden Einfluss digitaler Hilfsmittel auf das Schadenmanagement von heute.

VWheute: Das Schadenmanagement ist ein wesentlicher Bestandteil des „guten Versicherns“. Wo liegen die strategischen Schwerpunkte von Helvetia?

Thomas Lanfermann: Einfache (Zahl-)Schäden sollen unbürokratisch für den Kunden reguliert werden. Dafür nehmen wir uns mehr Zeit für Fälle, bei denen der Kunde Unterstützung benötigt. Hier wollen wir mit unserer umfangreichen Erfahrung den Kunden helfen und sie zusammen mit unseren Dienstleistern im Laufe eines Schadenfalles begleiten. In beiden Fällen ist dabei die Schnelligkeit der wichtige Aspekt, an dem wir arbeiten. Die Digitalisierung der Prozesse ist dafür stark in unserem Fokus. So konnten wir jetzt auch das Versprechen abgeben, dass eine Schadenerstbearbeitung innerhalb von 24 Stunden nach der Meldung bei Helvetia erfolgt.

„Keinen Sinn machen für uns die verschiedenen App-Lösungen, die den Kunden in einer außergewöhnlichen Stress-Situation wie dem Schadenfall auch noch diverse Mehraufgaben aufbürden.“

Thomas Lanfermann, Mitglied der Geschäftsleitung und Vorstand Komposit bei Helvetia Deutschland

VWheute: Welche aktuellen Trends im Schadenmanagement sind aus Ihrer Sicht sinnvoll, welche nicht?

Thomas Lanfermann: Auch wenn es ein sehr alter Trend ist – er gilt immer noch: Telefonischer oder persönlicher Kontakt ist bei komplexen Schäden nach wie vor unersetzbar. Und wird immer wichtiger. Die Nutzung von OCR hat sich erfolgreich bei uns etabliert. Die Bilderkennung ist ebenfalls auf einem sehr guten Weg – aber dieser ist noch lang. Doch der Nutzen wird bereits jetzt laufend wichtiger. Standard-Kleinschäden werden zunehmend voll digital bearbeitet – hier braucht es keinen Schadenexperten. Die nötigen Prüfungsschritte können „dunkel“ erfolgen. Keinen Sinn machen für uns die verschiedenen App-Lösungen, die den Kunden in einer außergewöhnlichen Stress-Situation wie dem Schadenfall auch noch diverse Mehraufgaben aufbürden.

VWheute: Was kann KI im Schadenmanagement wirklich leisten?

Thomas Lanfermann: KI in einer künftigen Ausbaustufe kann die Schadenexperten stark unterstützen durch Informationszulieferung und Analyse von bekannten Daten. Somit werden die Prozesse deutlich beschleunigt. Eine erhebliche Entlastung bietet beispielsweise die automatische Deckungsprüfung. Oder Datenzulieferung zu Wetterereignissen. Ebenfalls deutlich profitiert die Betrugsbekämpfung. Schon heute ist es der Bereich, in dem KI bei uns am häufigsten eingesetzt ist. Nicht unerwähnt sollte bleiben, dass Big Data im Schadenbereich auch dazu beiträgt, in der Produktentwicklung und im Pricing besser zu werden.

„KI kann hier nur die Basis liefern für komplexe Sachverhalte, Schadenhöhen aus diversen Deckungen, Vergleichen und Kulanzen.“

Thomas Lanfermann, Mitglied der Geschäftsleitung und Vorstand Komposit bei Helvetia Deutschland

VWheute: Wo stößt KI an ihre Grenzen?

Thomas Lanfermann: Im Retailbereich ist das Potenzial deutlich größer als im differenzierten Firmenkundengeschäft und bei Spezialdeckungen. Es gibt bei der Schadenregulierung nicht nur schwarz und weiß. Der Graubereich ist größer als allgemein vermutet. KI kann hier nur die Basis liefern für komplexe Sachverhalte, Schadenhöhen aus diversen Deckungen, Vergleichen und Kulanzen. Der direkte Kundenkontakt im Sinne einer umfassenden Beratung des Kunden im Schadenfall kann durch KI nur unterstützt werden.

VWheute: Wird das Schadenmanagement in zehn Jahren noch so aussehen wie heute? Eine Prognose bitte.

Thomas Lanfermann: Wir befinden uns in einer Umbruchphase. Zu oft sind wir noch dabei, nur die alten Werte der Schadensachbearbeitung zu digitalisieren. Dies ändert sich kurzfristig fundamental. Alles wird deutlich schneller gehen. Die Entscheidungskriterien werden sich von den AGB zu den Kundenerwartungen verlagern. In zehn Jahren werden wir vielleicht gar nicht mehr von Schäden reden – sondern endlich von Leistungserbringung. Wir werden mehr Zeit aufwenden, um Kunden beispielsweise bei einem Hausbrand intensiver zu unterstützen. Die dadurch entstehende Verminderung der Schadenkosten ist für Kunde und Versicherer gleichermaßen positiv. Wir werden unser Wissen rund um das Thema Schadenfälle auch dazu nutzen, um es mit den Kunden zu teilen – im Sinne von Prävention. Dafür ist die Zeit nach vielen Jahrzehnten auf jeden Fall endlich gekommen. Dazu entwickeln wir derzeit im Leitungswasserbereich diverse Angebote.

Die Fragen stellte VWheute-Chefredakteur Michael Stanczyk.

Das vollständige Interview lesen Sie in der aktuellen November-Ausgabe der Versicherungswirtschaft.

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