BWV-Vorstand Katharina Höhn im Interview: „Es besteht einmal mehr die Möglichkeit, sich als Branche auf die Seite des Guten zu stellen“

Dr. Katharina Höhn, Geschäftsführendes Vorstandsmitglied des BWV im Gespräch.

„Einseitige Bildung ist keine Bildung“, referierte bereits Goethe. Das weiß auch der BWV Bildungsverband – Berufsbildungswerk der Deutschen Versicherungswirtschaft und deren Geschäftsführendes Vorstandsmitglied Katharina Höhn. Warum und wann die Ausbildung zum Versicherungskaufmann geändert wird, eine neue Berufsbezeichnung kommen und Online-Azubi-Betreuung bald Standard sein wird, erklärt sie im Gespräch. Jeder, der Auszubildende und Weiterbildung nicht nur vom Hörensagen kennt, sollte das Interview aufmerksam lesen.

VWheute: Kürzlich fand in Berlin der Bildungskongress der Deutschen Versicherungswirtschaft statt. Was nehmen Sie davon mit, was sind die Trends, was verlor an Wert?

Katharina Höhn: Nach drei Bildungskongressen, die die Veränderung der Arbeitswelt zum Thema hatten, haben wir in diesem Jahr das Motto „Wort halten – Wert halten – Nachhalten“ ausgegeben. Wir fragten uns, welche Beitrag die Versicherungswirtschaft leisten kann, um die Klimakrise abzuwenden und wie wir uns positionieren sollten. Es besteht einmal mehr die Möglichkeit, sich als Branche markant und mutig „auf die Seite des Guten“ zu stellen. Das würde uns gut zu Gesicht stehen. Als Bildungsverantwortliche können wir hier viel anschieben.

Unser Kongress ist in 18 Jahren zu einem nicht mehr wegzudenkenden Branchentreffen der Bildungsverantwortlichen geworden: „Wir sehen uns auf dem BIKO!“ ist eine häufig gehörte Verabredung von weit über 300 Teilnehmern. In diesem Jahr war alles anders. Wir sind dankbar, dass wir den Bildungskongress überhaupt durchführen konnten. Bis zum letzten Tag haben wir gebangt, ob wirklich alle reisen können, die in Berlin vor Ort dabei sein wollten. Tatsächlich waren knapp 100 Personen in Berlin, und etwa noch einmal so viele vor den Screens von daheim.

Atmosphärisch war dieser BIKO ein wenig sonderbar: bei vergleichsweise wenigen Teilnehmern kam man leichter in Kontakt mit neuen Kolleginnen und Kollegen, es ging familiär zu, und die Dankbarkeit für den persönlichen Austausch, der Zauber der darin steckt, war greifbar. Gleichzeitig war es möglich, Referenten aus unterschiedlichen Unternehmen, die ein Forum gemeinsam gestalten, von ihrem jeweiligen Homearbeitsplatz zuzuschalten. Dieses Konzept funktioniert, auch wenn es technisch aufwändig und gewöhnungsbedürftig ist. Natürlich gab es zahlreiche Technikpannen. Für alle – Teilnehmer, Referenten und Veranstalter – war es ein großes Lernfest. In zwei Wochen beginnen wir mit der Planung des BIKO 2021, und wir sind selbst gespannt, welches Format wir austüfteln werden. Der Anspruch, dass man auch von zuhause an einem Kongress teilnehmen kann, wird sicher bleiben.

Der BWV Bildungsverband hat ein weitreichendes Bildungsangebot. Die wesentlichsten und besten Werke können im Verlag Versicherungswirtschaft bestellt werden.

VWheute: Zuletzt wurde die Ausbildung des Versicherungskaufmanns aufgefrischt. Was verändert sich dadurch für die Schüler und was müssen die Unternehmen tun?

Katharina Höhn: Die letzte Auffrischung – Teilnovellierung – der Ausbildung zum Kaufmann/Kauffrau für Versicherungen und Finanzen liegt bereits ein paar Jahre zurück, sie fand 2014 statt. Im Sommer dieses Jahres haben die Sozialpartner der Arbeitgeberseite (BWV Bildungs¬verband) und der Arbeitnehmerseite (ver.di) ein Eckwertepapier beim Bundeswirtschafts¬ministerium eingereicht und damit das Verfahren der Neuordnung offiziell ausgelöst. Damit soll das Berufsbild grundlegend renoviert werden. Seit Ende September läuft die Erarbeitung im Detail durch die Sachverständigen. Wir streben an, dass das neue Berufsbild im August 2022 in Kraft tritt.

Es ist daher noch zu früh, die Auswirkungen der Neuerungen für Auszubildende und Ausbilder bzw. Berufsschullehrer zu benennen. Fest steht, dass digitale Kompetenzen für alle Auszubildenden stärker in den Ausbildungsinhalten verankert sein werden, und dass ein ganzheitlicher Beratungsansatz durch die Einführung von Kundenbedarfsfeldern wie z. B. Gesundheit oder Mobilität gestärkt wird. Außerdem soll es Wahlqualifikationen geben, die es den Ausbildungsbetrieben ermöglichen, die Ausbildung auf die zukünftigen Einsatzfelder auszurichten. Unser Ziel: Absolventen der Berufsausbildung sollen stark in der Kundenkommunikation sein, ein fundiertes Fachwissen besitzen und digital fit sein.

VWheute: Unter anderem ist eine „hybride Wahlqualifikation“ geplant, was bedeutet das?

Katharina Höhn: Digitalisierung und andere Einflüsse verändern Tätigkeitsprofile. Unsere Studie „Kompetenzlabor“ hat diesen Trend für die Versicherungswirtschaft bestätigt. Um diesem Bedarf gerecht zu werden, soll besonders interessierten und IT-affinen Azubis eine solche „hybride Wahlqualifikation“ zur Verfügung stehen. Das bedeutet: Versicherungsfachliches Wissen wird mit IT-Inhalten verzahnt, so dass die Azubis an der Schnittstelle zwischen Fachlichkeit und IT arbeiten können.

VWheute: Wird der Kaufmann für Versicherungen und Finanzen tatsächlich umbenannt, wenn ja, geschieht dies auch wegen des schlechten Images des „Klinkenputzers“?

Katharina Höhn: Die Bezeichnung für die neue Ausbildung steht noch nicht fest, sie wird im Zuge der Ausarbeitungen der Ausbildungsinhalte festgelegt. Aus Untersuchungen des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) wissen wir, dass die Berufsbezeichnung eine entscheidende Rolle bei der Berufswahl spielt. Im Wettstreit um die besten Bewerber hat auch die Versicherungswirtschaft großes Interesse an einer Bezeichnung, die ein positives Signal ausstrahlt. Um unsere Überlegungen an der jungen Zielgruppe auszurichten, unterstützt uns eine Arbeitsgruppe aus Jugend- und Auszubildendenvertretungen. Ganz frei sind wir jedoch nicht, es gibt zahlreiche Vorgaben. Anglizismen sind z.B. im Titel eines Berufsbildes nicht möglich.

VWheute: Wie verändert sich das Lernen in der Branche in diesem Jahr, was sehen Sie und was ziehen Sie daraus?

Katharina Höhn: Corona hat einen enormen Schub für digitale Lernformate und eigenverantwortliches, selbstgesteuertes Lernen gebracht. Auf diese unvorhergesehene Situation war die Branche offenbar gut vorbereitet. Wie gut Präsenzarbeitsplätze in Home Offices verlagert wurden, ist sensationell. Genauso bewundernswert ist es, wie die Bildungs-abteilungen es geschafft haben, ihre Präsenz-Bildungsangebote in Online-Formate zu transformieren. Bei den diesjährigen Einreichungen für unseren Bildungspreis InnoWard war das sehr gut abzulesen. Einen Einblick gewinnt man auf der Internet-Seite der Initiative unter Innoward.de. Eines der Leuchtturm-Preisträger-Projekte zeigt, wie innerhalb weniger Tage sämtliche Leistungen der Abteilung Berufsausbildung, von der Azubi-Gewinnung über das Einstellungsverfahren bis zur Betreuung der Azubis am Homeoffice-Arbeitsplatz auf Online umgestellt wurden. Wir gehen davon aus, dass alles, was ohne Reibungsverluste jetzt online erledigt werden kann, auch in Zukunft so abgewickelt wird. Und alles, was in Präsenz ablaufen soll, wird einer Rechtfertigung bedürfen. Ein „back to normal“ wird es nicht geben.

„In unserer Branche wird Bildung großgeschrieben“, erklärt Frau Höhn. Die Literatur des BWV im Verlag Versicherungswirtschaft hilft bei den Lernzielen.

VWheute: Generell scheint aktuell das Branchenmotto zu sein: „digital ist gut, mehr Digitalität ist noch viel besser“. Können alle Probleme mit mehr Digitalität gelöst werden?

Katharina Höhn: Digitalisierung ist kein Selbstzweck, sondern sollte als ein möglicher Ansatz verstanden werden, um Probleme zu lösen oder Kundenbedarfe besser zu verstehen und in Lösungen umzusetzen. Außerdem werden unter dem Begriff „Digitalisierung“ viele unterschiedliche Dinge verstanden: vom Kundengespräch mittels Skype über den Einsatz maschinellen Lernens hin zur „künstlichen Intelligenz“. Jede Fragestellung benötigt eine eigene Analyse, wie sie unter Einsatz zeitgemäßer Technologie bestmöglich beantwortet werden kann. Wenn es zum Beispiel im Vertrieb flächendeckend gelingt, Kunden online so gut zu beraten wie im persönlichen Gespräch, dann wird das vom Kunden gerade jetzt positiv aufgenommen, und die Reputation kann dadurch insgesamt steigen. Wenn Kunden die Erfahrung machen, dass Schäden sich schnell, unkompliziert und über eine intuitive Bedienung der App regulieren lassen, dann trägt das zur Reputation bei. Wenn es gelingt, gute Kundenerfahrungen gerade auch mittels digitaler Lösungen zu generieren, dann wäre „Digitalisierung“ gut eingesetzt.

VWheute: Wenn Sie drei Dinge zur Bildung in der Branche sofort ändern könnten, was wäre das?

Katharina Höhn: In unserer Branche wird Bildung großgeschrieben, das ist eines unserer Aushängeschilder, und darum schätzen wir uns glücklich. Doch wenn wir Wünsche frei haben, dann folgende:

Wunsch eins: Selbstverantwortung: Jeder erkennt für sich selbst den ungeheuren Wert, der im Lernen steckt – ob dies durch Lernen am Arbeitsplatz oder formale Weiterbildungen geschieht. Dann könnte sich jeder selbstverantwortlich fragen: Was kann ich und was will ich können, um schließlich die Lernmöglichkeiten zu finden, um dies zu erreichen. Von diesem Wunschbild sind wir alle, die wir im Tagesgeschäft hängen, meist weit entfernt.

Wunsch zwei: Gesetzliche Vorgaben, die die Branche bei ihren Bildungsaktivitäten nicht ausbremsen, sondern womöglich noch beflügeln. Ausgebremst wurden wir bei der Einführung von Mindeststandards bei der Qualifizierung und Weiterbildung der vertrieblich Tätigen. Mit unseren freiwilligen Initiativen – Einführung der Fachmann-Prüfung vor 30 Jahren sowie Einführung von gut beraten vor sechs Jahren – haben wir als Branche gerade dann Elan und Wirkung im Interesse des Kunden entfaltet, bevor die jeweiligen gesetzlichen Vorgaben eingeführt wurden.

Wunsch drei: Lassen Sie uns diesen noch offen halten – für alle Fälle.

Die Fragen stellte VWheute-Redakteur Maximilian Volz.

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