Vertrieb und Digitalisierung: „Kunden nicht auf unfaire Weise zu vermehrten Abschlüssen drängen“

Quelle: Bild von Gerd Altmann auf Pixabay

Bis zum Jahr 2030 könnte das weltweite Wachstumspotenzial im Bereich Digitalisierung und Künstliche Intelligenz (KI) nach Schätzung von Experten etwa 30 Billionen US-Dollar betragen. Die Vision, dass eines Tages im Rahmen eines „Internet of Everything“ alles mit allem vernetzt sein könnte, entwickelt sich Schritt für Schritt hin zur Realität. Die Pandemie hat in vielen Branchen einen starken Innovationsschub im Bereich KI bewirkt. Der Begriff fand erstmals im Jahr 1955 Verwendung, so Diane Robers, Professorin für Service-Innovation und Entrepreneurship an der EBS Universität für Wirtschaft und Recht, Wiesbaden.

Anlässlich einer virtuellen Wissenschaftstagung des Bundes der Versicherten (BdV), Hamburg, schlug die Wissenschaftlerin einen Bogen von dem Megatrendthema KI hin zur Versicherungsbranche. Ihr Thema im Rahmen der Tagungsreihe „Faire Vermittlung im Spannungsfeld zwischen Versicherungsunternehmen und Versicherten“ lautete „Service-Innovationen im Zusammenhang mit dem Projekt ‚Next best customer‘ und weitere Möglichkeiten, die die Digitalisierung bietet“.

„Im Kopf des Kunden denken, im Herzen des Kunden fühlen“, dieser nicht gerade neue Grundsatz in Marketing und Vertrieb habe durch die Digitalisierung und die Instrumente der KI eine verstärkte Aktualität gewonnen. Besonders Finanz- und Versicherungsunternehmen erwarten einen Digitalisierungsschub. Für die Versicherer ergeben sich neue Möglichkeiten für Service-Innovationen und die Festigung der Kundenbeziehung.

Früher haben die Anbieter einen anderen Ansatz verfolgt, indem sie erstklassige neue Produkte entwickelten und diese dann durch intensive Verkaufsstrategien den Kunden schmackhaft machten. Diese Vorgehensweise hält Robers mittlerweile für überholt. Der „Next best customer“-Ansatz will mit den Dienstleistungen direkt bei den individuellen Bedürfnissen und Lebensumständen des Kunden ansetzen und mit entsprechenden Angeboten „zur richtigen Zeit, am richtigen Ort“ einen Mehrwert für diesen schaffen. Dies eröffne auch neue Felder für die Einführung personalisierter Tarife bei bestimmten Versicherungen.

Um zu erkennen, was die aktuellen Interessen von Versicherten sind und „cleverer im Umgang mit den Kunden zu werden“, bedarf es Data Analytics. Dabei entscheidet nicht die Quantität des Datenmaterials, sondern die Qualität. Sie ermöglicht es, die Bedürfnisse nicht nur herauszufinden, sondern in gewisser Weise auch zu antizipieren. Für die Versicherer wie für andere Branchen lautet das kaufmännische Ziel des „Next best customer“-Ansatzes die Zahl der Abschlüsse bei weniger Zeitaufwand zu halten bzw. zu erhöhen.

Die Erforschung des Kunden durch Instrumente der Digitalisierung oder der KI sollte allerdings, so Michael Ortmann, Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat des BdV, Grenzen haben. Man dürfe den Kunden, der dafür empfänglich ist, nicht auf unfaire Weise zu vermehrten Abschlüssen drängen. Im Extremfall sei dies sogar ein Fall für die Aufsichtsbehörden. Diane Robers: „Rüdes Handeln gegenüber den Kunden, können sich zumindest die namhaften Versicherer nicht erlauben. Dies würde sehr schnell zu einer schlechten Presse führen.“

Interessante Resultate brachte eine abschließende Umfrage unter den Teilnehmern der Tagung zur Bedeutung der Künstlichen Intelligenz: Demnach vertrat eine Mehrheit von 56 Prozent die Auffassung, dass digitale Vermittlungen die Beratung vom Mensch zu Mensch bestenfalls unterstützen, nicht aber ersetzen können. 33 Prozent war der Meinung, dass Versicherungen primär über einen aktiven Vertrieb zustande kämen und die KI nur dabei helfe, affine Kunden zu identifizieren. Lediglich eine Minderheit sah den Kunden und seine Bedürfnisse als treibende Kraft. Das könnte sich in Zukunft allerdings ändern.

Autor: Mathias von Bredow

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