Das Geschäftsmodell japanischer Versicher wackelt

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Gegen Nullzinsen, eine alternde Bevölkerung und nationale Katastrophen wie Erdbeben und Tsunamis sind Japans Versicherer kampferprobt. Wachstum entstand aus Gewinnen an den Aktienmärkten und durch Akquisitionen im Ausland. Eine Pandemie bringt dieses Geschäftsmodell nun ins Wanken.

In Japan sind seit vielen Jahren deutsche Unternehmen aktiv, die auf eine 160-jährige Handelsbeziehung zwischen beiden Staaten zurückgreifen. Den Marktzugang fördern auch die verwandten rechtlichen Verhältnisse oder das jüngst in Kraft getretene Freihandelsabkommen mit der EU. Wir Deutschen schätzen Japans stabilen Wohlstand, den technologischen Fortschritt und die traditionsreiche Kultur, die sich auch in der Geschäftspraxis und der Arbeitskultur widerspiegelt.

Zur Tradition gehört auch das Bestaunen der jährlich im April blühenden Kirschblüte, die das ganze Land mit atemberaubenden rosa Blüten bedeckt. Infolge der Covid-19-Pandemie-Maßnahmen ist die Kirschblütenschau (japanisch: Hanami) dieses Jahr in weiten Teilen des Landes leider ausgeblieben. Selbst die in den Regierungskreisen seit 1952 durchgeführte Kirschblütenparty im Nationalgarten Shinjuku Gyoen in Tokio wurde abgesagt. Grund hierfür war allerdings eher die Kritik der Opposition, dass die mit Mitteln des Steuerzahlers geplante Feier nicht den Transparenzanforderungen genügte, weil nur Unterstützer der Regierungspartei auf der Gästeliste standen.

Drittgrößter Versicherungsmarkt

Eine große Bedeutung hat auch die japanische Versicherungsbranche. Denn bemessen an den Prämieneinnahmen, erwirtschaftet der fernöstliche Inselstaat mit seinen über 126 Mio. Einwohnern weltweit den drittgrößten Versicherungsmarkt. Japanische Versicherer sind damit schon lange Global Player, die vor allem ihre Marktpräsenz in Übersee ausbauen und mit Investitionen im Ausland Aufmerksamkeit erregen. Für uns ist der japanische Versicherungsmarkt aber vielmehr durch die langjährigen Niedrigzinsen und dem demografischen Wandel sowie den Folgen des Tohoku-Erdbebens und der Nuklearkatastrophe charakterisiert.

Hinzu kommt jetzt die Herausforderung der Covid-19-Pandemie. Dennoch schaffte es Japan bisher die Krisenzeiten zu überwinden und ihre Marktstellung immer wieder zu behaupten. Infolge der Parallelentwicklungen, vor allem bei der Zinskurve, wurde oftmals die Frage gestellt, ob wir von den Japanern lernen können. Allerdings kämpft auch Japan infolge der alternden Bevölkerung und der niedrigen Geburtenrate mit seiner versicherungswirtschaftlichen Blütezeit. Vor diesem Hintergrund gibt der vorliegende Beitrag einen Einblick in die gegenwärtigen Fakten des Versicherungsmarktes in Japan wieder.

Kollektive Lösungsansätze bei Katastrophen

Die Covid-19 Pandemie stellt auch die japanischen Versicherer vor nicht erfasste Aufgaben. Anders als in anderen Ländern aber, haben die Versicherer dort bereits eine ähnliche Katastrophe im März 2011 durchlebt, als sich in der Region Tohoku ein schweres Seebeben ereignete, das einen Tsunami auslöste, durch den etwa 16.000 Menschen starben. Anschließend kam es zum Reaktorunglück des Atomkraftwerks Fukushima Daiichi, dessen wirtschaftliche und soziale Auswirkungen die Japaner heute noch verfolgen.

Es entstand ein wirtschaftlicher Verlust von geschätzten 192 Mrd. Euro, von denen ca. 31 Mrd. Euro versichert waren. Hinterbliebene scheiterten zunächst bei der Geltendmachung von Leistungsansprüchen gegen Lebensversicherer wegen dem bestehenden Leistungsausschluss bei Katastrophen. Auf Nachdruck der FSA sowie der Verbände, erklärten sich die betroffenen Lebensversicherer gemeinsam einverstanden, unabhängig von den staatlichen Unterstützungen Sonderzahlungen an Hinterbliebene zu erbringen.

Aber auch viele Klein- und mittelständische Unternehmen scheiterten, da Betriebsunterbrechungsversicherungen damals in Japan nicht verbreitet waren. Einige Versicherer nahmen die Situation zum Anlass, um auch solche Produkte nach deutschem Vorbild in Japan einzuführen. Heute investieren viele Unternehmen nicht nur in erdbebensichere Gebäude oder in die geografische Streuung ihrer Standorte, um mögliche Verluste infolge von Naturkatastrophen abzuschwächen, sondern auch in Betriebsunterbrechungsversicherungen. Bei dem Reaktorunglück haftete die private Versicherung des japanischen Atomtools (Japan Atomic Energy Insurance Pool) nicht, da dieser keine durch Erdbeben verursachten Schäden ersetzt.

Dreipunkteplan gegen die Krise

Vielmehr hat man auf die von dem Betreiber Tepco abgeschlossene private Haftpflichtversicherung zurückgegriffen, die aber nur eine Deckungssumme von ca. einer Mrd. Euro je Installation vorschreibt. Da der Schaden die Deckungssumme überschritt, hat der Staat den Betreiber auf Beschluss des japanischen Parlaments bei der Erfüllung der Schadensersatzforderungen unterstützt.

Anfang April hatte die japanische Regierung infolge der Covid-19-Verbreitung den Notstand (japanisch: hijô jitai) zunächst für sieben Präfekturen, später für ganz Japan erklärt. Die Präfekturregierungen sollten geeignete Maßnahmen schaffen. Daraufhin wurden teilweise Ausgangssperren (japanisch: gaishutsu kinshi), Hygienevorgaben und Mundschutzmasken angeordnet. Letzteres ist nichts Neues in Japan, weil im Schnitt 5,5 Milliarden Mundschutzmasken pro Jahr in Japan genutzt werden.

Der Notstand sollte zunächst bis zur Golden Week, also bis zu der traditionellen Woche, an der sich mehrere Feiertage Anfang Mai aneinanderreihen, gelten. Allerdings hat der Premierminister Abe den Notstand am 30. April 2020 um einen Monat bis Ende Mai verlängert. Trotz ihrer Nähe zu China, hatte sich das Coronavirus in Japan – abgesehen von den vielen Fällen auf dem Kreuzfahrtschiff am Hafen von Yokohama – offenbar nur schwach ausgebreitet.

Die FSA hatte bereits im März 2020 einen Dreipunkteplan vorgelegt, der vor dem Hintergrund des Versicherungsnehmerschutzes Mindestmaßnahmen für die Versicherer enthalten: (1.) Es sollen Vorkehrungen getroffen werden, die eine verlängerte Zahlungsfrist für die Versicherungsprämien und Vertragsverlängerungen vorsehen, (2.) die Versicherungsnehmer sollen über jede Maßnahme auf der Internetseite, in Zeitungen, durch Aushänge oder Informationsschreiben in Kenntnis gesetzt werden und (3.) sofern die persönliche Beratung und Verkauf am Schalter durch andere Maßnahmen ersetzt wird, sollen die Versicherer die Kunden hierüber unverzüglich durch Veröffentlichungen informieren.

Anschließend wurden die Finanzinstitute aufgefordert, für geeignete Maßnahmen gegen eine Ausbreitung der Infektion zu sorgen und Vorkehrungen zu treffen, um den notwendigen Geschäftsbetrieb fortzuführen. Hierfür hat die FSA ein Basiskonzept erarbeitet, an denen sich die Finanzinstitute orientieren können. Für die Versicherer gelten insofern den persönlichen Kundenservice und Kundenkontakt zu vermeiden und durch Onlinedienste oder Callcenter zu ersetzen sowie den Mitarbeitern – soweit möglich – die Arbeit von Zuhause aus zu ermöglichen. Der Mitarbeitereinsatz in den Geschäftsräumen soll reduziert und weitere Standorte vorübergehend geschlossen werden, sofern sie für den Geschäftsbetrieb nicht notwendig sind.

Bitte um flexible Auslegung der Versicherungsbedingungen

Die Versicherer sollen weiterhin ihre Leistungspflichten erfüllen. Versicherer sollen mögliche Verwirrung in jeder Situation von vornherein vermeiden, und werden gebeten, eine flexible Auslegung und Anwendung der Versicherungsbedingungen in Betracht zu ziehen und für jeden Versicherungsplan die erforderlichen Maßnahmen zum Schutz der Versicherungsnehmer auszuarbeiten, ohne sich an bestehende Präzedenzfälle zu halten.

Hierzu hat das japanische Gesundheitsministerium eine Stellungnahme zur rechtlichen Positionierung der Covid-19 Pandemie erstellt, nach dem sich die Versicherer richten können. Entsprechende Ankündigungen haben die Versicherer auf ihren Internetseiten bis auf Weiteres gemacht und leisten danach auch bei Tod infolge der Covid-19 Infektion oder für die entstandenen Krankenhauskosten.

Ähnlich wie die nach dem Tohoku-Erdbeben gemachten Sonderzahlungen, haben sich diesmal einige Schadensversicherer gemeinsam bereit erklärt, Zahlungen für die Betriebsunterbrechung der Unternehmen zu leisten, obwohl die Pandemie hiervon ausgeschlossen ist. Wie sich die Situation in Japan weiterentwickeln wird, ist derzeit noch nicht abzusehen, da der Notstand bis zum 31. Mai 2020 andauert.

Erwartet wird zwar eine erhebliche Auswirkung auf die japanischen Versicherer durch eine globale Rezession infolge der Covid-19 Pandemie. Grund hierfür sind die Investition der Versicherer in ausländische Kreditprodukte, dem Währungsrisiko und der inländischen Aktien.42 Hinzu komme eine Verschlechterung der Risiken beim Asset- und Liability-Management, durch eine weitere Abflachung der Renditekurve in den Bilanzen der Lebensversicherer.

Die meisten japanischen Versicherer dürften aber nur minimale explizite Versicherungsverluste erleiden. Vor allem potenzielle direkt versicherte Nettoverluste aus der Krankenversicherung wären begrenzt, da die Regierung alle medizinischen Kosten im Zusammenhang Covid-19 übernimmt. Andere relevante versicherte Nettoschäden bei gängigen Krankenversicherungsprodukten wären gering, da die Schadenzahlungen für Krankenhauskosten aufgrund der Struktur typischer japanischer Krankenversicherungsprodukte minimal sind.

Fazit

Der japanische Versicherungsmarkt hat sich in den letzten 30 Jahren dem stetigen Wandel wiederholt angepasst. Trotz der Negativzinsen, den durchlebten Katastrophen im Jahr 2011 und einer nicht aufhaltbaren alternden Gesellschaft, sichert Japan seine Marktstellung. Es zeigt sich, dass eine Maßnahme allein für die Krisenbewältigung nicht ausreicht. Konsequente Stärkung der Risikotragfähigkeit, unternehmerisches Durchhaltevermögen, Kooperationen und Anpassung der regulatorischen Anforderungen sind Voraussetzungen für ein stabiles Geschäft in Krisenzeiten.

In den letzten Jahren konnte sich der Versicherungsmarkt in Japan erholen, was unter anderem einer positiven Preisentwicklung an den Aktienmärkten sowie der Rendite langfristiger Anleihen geschuldet ist. Zusätzlich sind bedarfsorientierte Produktgestaltungen unabhängig von Investmenteinkommen sowie mit Ansparcharakter erforderlich. Ob wir in Deutschland hieraus lernen können, wird sich in den nächsten Jahren zeigen. Wir nehmen aber die Herausforderung an. Denn ein japanisches Sprichwort besagt, dass der Hohe Berg nur den sich langsam bewegenden Wanderer fürchtet.

Autor: Köksal Sahin, LL.M, Rechtsanwalt, Manager im Bereich Legal Financial Services Insurance und Japan Desk bei der KPMG Law Rechtsanwaltsgesellschaft mbH tätig.

Den vollständigen Beitrag lesen Sie in der aktuellen Juni-Ausgabe des Magazins Versicherungswirtschaft.

Quelle: VVW GmbH

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