Pickel: „Tendenziell wird mehr Cyber gekauft“

Michael Pickel. Quelle: Hannover Rück

Durch den Corona-Virus setzen viele Unternehmen derzeit auf Homeoffice. Dennoch bleiben die Gefahren aus der Cyberwelt durchaus real. Und wie reagieren die Rückversicherer darauf? „Tendenziell wird mehr Cyber gekauft, weil es teilweise Marktstandard ist und zur Entlastung des Managements und zum Risikomanagement gehört“, erläutert Michael Pickel, Vorstand der Hannover Rück, im Exklusiv-Interview mit VWheute.

VWheute: Die Industriesparte steht seit einiger Zeit unter Druck. Worin machen Sie aktuell die Gründe fest?

Michael Pickel: Das Thema ist vor allem die Ertragslage. Egal, welche Statistik man heranzieht, die letzten Jahre sind mit kombinierten Schaden-Kostenquoten weit über 100 Prozent gelaufen. Da muss man sich natürlich fragen, woran liegt es? Zum einen liegt es an der Frequenz von Feuer-Industrie-Schäden. Die Konjunktur ist gut gelaufen, die Wartungsarbeiten in den Industrieanlagen, um diese sicher zu halten wurden zurückgestellt. Wenn es dann brennt, ist es verkraftbar, wenn man eine adäquate Rate bekommen hat. In vielen Fällen hat man diese aufgrund des weichen Marktes aber nicht bekommen. Daher kann man sagen, dass alle Versicherer ihre Sanierungspläne gemacht haben, diese aber unterschiedlich umgesetzt wurden.

VWheute: Inwieweit können Sie darauf noch reagieren und welche Stellhebel haben Sie für zur Verfügung?

Michael Pickel: Wir haben als Rückversicherer nur eine indirekte Möglichkeit einzuwirken. Denn wir haben einen Kunden, einen Erstversicherer, den wir rückversichern und von seinen Entscheidungen sind wir abhängig. Also haben wir im Prinzip zwei Möglichkeiten: Wir sagen ja oder nein zu seinen Risiken und dann zeichnen wir das Geschäft gegebenenfalls nicht. Meistens hat es dazu geführt, dass in diesen Zeiten, wo die Schäden aufgetreten sind, die Versicherer überlegten ihre Selbstbehalte zu erhöhen und den Großteil ihrer Schäden selbst getragen haben. Dann hat es die Rückversicherer nicht so stark getroffen, weil die Erstversicherer auch auf ihr nichtproportionales Geschäft ausgewichen sind.

Dies hat dann meistens zu einer schlechteren Nettolage unserer Kunden geführt und eben auch den Druck verschärft. Jetzt haben wir wieder die gleiche Entscheidung: Trauen wir dem Sanierungskonzept, wie lange läuft es und wie zeichnen wir es. Wir haben aber ein sehr großes Zutrauen in das Segment Feuer-Industrie. Wie gesagt, wir haben die Stellhebel nur indirekt: Wir schauen uns dabei an, wie stark wird saniert, was ist ungefähr die Vorstellung wo das Delta ist und wie zügig wird es umgesetzt. Dies ist wirklich wichtig für uns.

VWheute: Gibt es denn eine Zielmarke, bei der Sie in dieser Sparte wieder mit einem Gewinn rechnen können?

Michael Pickel: Wenn man rein auf Feuer-Industrie in Deutschland schaut, ist letztes Jahr mit kombinierten Schaden-Kostenquoten um die 100 Prozent ein gutes Jahr gewesen, nachdem diese zuvor bei rund 115 Prozent gelegen haben. Zehn Prozentpunkte ist schon ein ganz schöner Schadenaufwand, der nun weniger ist.

Nun ist die Frage, wie geht es weiter? Ich würde nicht in langen Zeithorizonten denken – zehn Jahre sind eindeutig zu weit. Da kommt immer noch einer, der eine Marktopportunität sieht. Ich würde aber dennoch sagen, dass man in den nächsten Jahren die Ertragsmarge machen kann.

Aber das ist auch konjunkturabhängig. Tendenziell korreliert ein Abschwung in der Wirtschaft auch damit, dass die Maschinen still stehen und besser gewartet werden und wir so ein besseres Marktumfeld für die Feuer-Industrieversicherung sehen.

VWheute: Cyberpolicen gewinnen für Versicherer zunehmend an Bedeutung. Welche Rolle kann und sollte Cyber in der Industrieversicherung spielen?

Michael Pickel: Wir sind immer ein Rückersicherer gewesen, der Cyberrisiken angenommen hat. Wir kommen dabei aus dem Jahr 1999 mit dem sogenannten „Millennium-Bug“, wo wir aktiv Cybergeschäft gezeichnet haben. Aktuell sind es weltweit etwa 330 Mio. Euro Prämie, die wir zeichnen, davon zwei Drittel aus Großbritannien und aus den USA.

Tendenziell wird mehr Cyber gekauft, weil es teilweise Marktstandard ist und zur Entlastung des Managements und zum Risikomanagement gehört. Dabei schauen wir, dass wir die Kumulkontrolle immer relativ eng halten, indem wir keine hohen Limite geben. Wir zeichnen originalseitig maximal ungefähr zehn Mio. Euro pro Risiko. Und auch wenn wir das Risiko dann mehrfach haben, ist es letztlich nicht so riesig.

In Deutschland wollen wir unseren Kunden vor allem im Mittelstand helfen, die Cyberrisiken zu decken. Im KMU-Geschäft bieten wir einen Cybertarif an. Und da ist es schon extrem wichtig, dass man auch ein Sicherungskonzept hat. Der Haken bei Cyber im Mittelstand ist jedoch die Sensibilisierung für Cyberrisiken.

Cyberschäden können beispielweise schon durch E-Mails entstehen: Der Anhang wird geöffnet und das Virus setzt sich fest. Dafür muss man Bewusstsein generieren. Solche Präventionsschulungen bieten wir an, zusammen mit Partnern, und haben den entsprechenden Cybertarif im Angebot.

Bislang sind wir damit zufrieden, wir haben eine Menge Kunden erreicht. Das Prämienvolumen in Deutschland hat allerdings noch Potential. Im deutschen Erstversicherungsmarkt beträgt es derzeit bei Cyberdeckungen circa 50 bis 60 Mio. Euro. Wenn man sich mal die Zahlen weltweit von etwa fünf Mrd. Euro anschaut, dann werden wir noch lange brauchen, bis wir dahin kommen.

VWheute: Sehen Sie denn einen größeren Bedarf an Cyberpolicen bei den einzelnen Unternehmen?

Michael Pickel: Ich sehe gerade größere Unternehmen, die bereits durch ihre eigene IT sicherheitsbewusster aufgestellt sind. Der größte Schaden den Versicherungsnehmer haben können ist ja ein Marktanteilsverlust.

Insofern haben größere Unternehmen in der Regel einen größeren Antrieb, entsprechend zertifiziert zu sein bei Cyberstandards und große IT-Abteilungen zu haben.Dann übernehmen Versicherer im Prinzip die Restdeckung. Die tatsächliche Gefahr ist wirklich bei den mittleren Unternehmen.

VWheute: Werfen wir einen aktuellen Blick auf den Rückversicherungsmarkt: Wie bewerten Sie die Ergebnisse der jüngsten Erneuerungsrunde und welche Herausforderungen sehen Sie in den kommenden Jahren auf die Rückversicherer zukommen?

Michael Pickel: Wir sehen das eigentlich sehr positiv. Es ist eigentlich immer ganz hilfreich, wenn die Aktionäre fragen, wo ist eigentlich das Geschäftsmodell. Und ich glaube, der Verkauf der Partner Re durch die Agnelli-Familie lässt vielleicht eine Interpretation zu wie, es hätte mehr sein können und wir mögen die Volatilität eigentlich nicht.

Jeder hat letztlich so seine Baustellen. Die einen haben vor allem unter den Naturkatastrophenschäden gelitten. Wir für unsere Größe eher weniger, weil wir wenig Kat-Kapazitäten in den Markt gegeben haben. Einer der wichtigen Punkte ist nun dabei, was man bei der Japan-Erneuerung machen kann, denn da haben wir gleich zwei größere Schäden gesehen.

Daher ist dies ein guter Zeitpunkt für eine Erneuerung und ich bin da ganz zuversichtlich, auf das was kommt. Man sieht ja auch in vielen Märkten, dass das Erstversicherungsgeschäft besser wird, wie zum Beispiel in Deutschland oder den USA.

VWheute: Stichwort Klimawandel: Die Schäden durch Naturkatastrophen machen der Konkurrenz spürbar zu schaffen. Wie bewerten Sie die Situation für die Hannover Rück und inwieweit spielt der Klimawandel eine Rolle bei der künftigen Risikobewertung?

Michael Pickel: Das ist genau das Thema, weshalb wir öfter sagen, dass die Preise unzureichend sind. Das Änderungsrisiko ist meist noch nicht richtig drin. Wir haben es in unseren Modellen allerdings schon integriert, denn wir arbeiten mit einem eigenen Modellierungstool. Deswegen kommen wir auch zu anderen Schlussfolgerungen und deswegen sind wir teilweise auch mit den Preisen noch nicht zufrieden.

Man muss als Rückversicherer beim Thema Klimawandel natürlich auch eine Rolle spielen. Wenn Sie sich die Weltkarte anschauen, sind die meisten größeren Städte an Häfen. Und diese werden auch weiter wachsen und immer reicher werden. Man muss schauen, dass es dort so viel wie möglich Naturkatastrophendeckungen gibt.

Diese Deckungen werden auch gebraucht, denn die Kapazitäten kann sonst keiner aufbringen. Insofern bin ich ganz zuversichtlich, dass selbst wenn der Klimawandel sich in mehr Schäden manifestiert, es eine adäquate Bezahlung geben wird, weil diese Deckungen gebraucht werden. Das ist keine Deckung ohne die man auskommt.

Die Fragen stellte VWheute-Redakteur Tobias Daniel.

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