Grün, grüner, ESG? Die Assekuranz auf ihrem Weg in eine tiefgrüne Zukunft

Gordon Diehr ist COO der Liechtenstein Life. Quelle: Liechtenstein Life

Das Thema „Nachhaltigkeit“ breitet sich sukzessive auf alle Lebens- und Wirtschaftsbereiche aus und dringt dabei immer tiefer in die einzelnen Branchen vor. Vor allem die Assekuranz zeigt sich angesichts der im März eingetretenen EU-Transparenzverordnung zu neuen Höhenflügen beim Megatrend berufen. Der Druck wächst aber auch stetig – aufseiten des Gesetzgebers wie aufseiten der Kundinnen und Kunden. Die angesprochene Offenlegungsverordnung der Europäischen Union zur Nachhaltigkeit von Fonds (Sustainable Finance Disclosure Regulation oder kurz SFDR) sollte vor allem Transparenz schaffen. Ein Gastbeitrag von Gordon Diehr, COO der Liechtenstein Life.

Dieses Vorhaben wird unter anderem dadurch erschwert, dass mit der steigenden Nachfrage auch die Vielfalt und Anzahl nachhaltiger Fonds beständig wächst. Laut dem deutschen Fondsverband BVI ist das in nachhaltigen Fonds verwaltete Vermögen im ersten Quartal 2021 erheblich angestiegen. Allein in Deutschland erhöhten sich die Investments um 107 Milliarden Euro auf eine neue Höchstmarke von 254 Milliarden Euro. Der Anteil nachhaltiger Fonds macht mittlerweile acht Prozent des gesamten Fondsmarkts aus. Dies ist eine Steigerung von drei Prozentpunkten zum vierten Quartal in 2020. 

Dass der Megatrend längst auch die Versicherungsbranche erreicht hat, ist unbestritten. Allerdings stellt sich die Frage, wie transparent die Investments in Bezug auf Nachhaltigkeit wirklich sind. Um das zu beantworten, hilft ein Blick auf den Status quo: Wie nachhaltig sind Fonds mit ESG-Label aktuell und überhaupt?

Status quo: Nachhaltigkeit bei ESG-Fonds

Zunächst ist der Begriff „ESG” zu definieren. ESG ist ein Akronym und steht in der Finanzwelt für Environment, Social und Governance. Grundsätzlich soll mit ESG-Kriterien ein ethisches und nachhaltiges Investment sichtbar gemacht und weitere Investments gefördert werden.

Damit werden Fonds erstmals nicht nur nach herkömmlichen Kriterien wie “Rentabilität”, “Liquidität” und “Sicherheit”, sondern auch anhand von Kriterien bewertet, welche die Fonds auch auf ihre Auswirkungen auf “Umwelt”, “Soziales” und “Verantwortungsvolle Unternehmensführung” prüft. Zwei grundlegende Herangehensweisen stehen sich hierbei gegenüber: Einmal der Ausschluss, also die Desinvestition aus unethischen Anlagen (betrifft z. B. Anlagen von Unternehmen mit Produktionsstätten in Ländern, in denen die Todesstrafe praktiziert wird) sowie die Auswahl und Investition in Fonds, die den ESG-Kriterien entsprechen. 

Dabei unterscheiden sich jedoch auch die einzelnen ESG-Fonds voneinander. Auch wenn das ESG-Label ein Set von Parametern bereitstellt, um Fonds auf ihre Nachhaltigkeit zu prüfen, ist eine reine Orientierung am Label problematisch. Es zeigt sich, dass unterschiedliche Auslegungen existieren, wann das ESG-Label vergeben werden kann. Dies hängt damit zusammen, dass es eine Vielzahl an ESG-Label-Anbietern gibt, die jeweils eigene Standards zur Vergabe verwenden. Daraus resultiert, dass sich gelegentlich hinter einer grünen Fondsfassade, Gesellschaften aus Branchen wie dem Kohleabbau, der Kreuzfahrt oder dem Flugverkehr wiederfinden, die eine schlechte CO2-Bilanz aufweisen. Um dies zu vermeiden, ist eine EU-weite Regulierung zur Vergabe eines ESG-Labels 2022 geplant. Um die geltende Transparenzverordnung bereits jetzt richtig umzusetzen, müssen Vermittler ihre Kunden und Kundinnen entsprechend über die Nachhaltigkeitsaspekte ihrer Fonds aufklären. Also wie grün sind die Fonds zum jetzigen Zeitpunkt wirklich?

Grün, grüner, ESG? 

Es gibt bereits eine beträchtliche Bandbreite an wirklich grünen Fonds. Die Branche ist auf einem guten Weg und erkennt die Bedeutung von Nachhaltigkeit für eine Zukunft, die Wohlstand und Nachhaltigkeit vereint. Da sich die ESG-Fonds enorm gut verkaufen lassen, kann es aber dazu kommen, dass ESG-Labels leichtfertig vergeben werden. Das kann zu einem Missverständnis in Bezug auf die Nachhaltigkeit von Anlagen, zwischen Anbieter und Anlegern führen. Hinzu kommt, dass allein im Jahr 2020 laut der Ratingagentur Morningstar mehr als 500 neue ESG-Fonds auf den Markt gebracht wurden. 

Hierbei wurden auch konventionelle Fonds so umgepolt, dass sie ein ESG-Label erhalten haben. Um Greenwashing zu verhindern, obliegt dem Gesetzgeber die Entscheidung darüber, ob Mindeststandards eingeführt werden, die die Vergleichbarkeit unterschiedlicher ESG-Fonds ermöglichen. Die EU-Taxonomie-Verordnung, das EU-Klassifizierungssystem für Nachhaltigkeit, ist hier eine gute Hilfe. Gemeinsam mit der SFDR wurde ein regulatorischer Rahmen etabliert, der es erlaubt, die Fonds unterschiedlich zu klassifizieren. Zur Harmonisierung unterschiedlicher nachhaltiger Fonds wird nun zwischen “hellgrünen” Produkten (nach Artikel 8, die ökologische oder soziale Merkmale bewerben [ESG-Fonds]), “dunkelgrünen” Produkten (nach Artikel 9, die nachhaltige beziehungsweise zukunftsfähige Investitionen anstreben) sowie sonstigen Finanzprodukten unterschieden. Dennoch bleiben Lücken: Unterschiedliche Auslegungsmöglichkeiten rühren vermutlich daher, dass der SFDR aus der englischen Originalfassung in die vielen europäischen Sprachen umständlicher übersetzt wurde, als zunächst erwartet. 

Das Spektrum an unterschiedlichen „grünen” Fonds wird mit Blick auf den Megatrend Nachhaltigkeit immer breiter. Doch die gesetzlichen Regularien gehen noch nicht so weit, dass völlige Trennschärfe besteht und Transparenz für alle Beteiligten gegeben ist. Wie können Versicherer und Vermittler ihre Kundinnen und Kunden trotz teilweise noch fehlender Abgrenzung unterschiedlicher Fonds zu Nachhaltigkeitsaspekten beraten?

Hilfe von Informationsanbietern und Datenlieferanten nutzen 

Grundsätzlich obliegt die Entscheidung wie nachhaltig ihr Fondsportfolio ist, den Versicherern. Diese haben die Möglichkeit, die Fonds bereits während des Auswahlverfahrens auf Nachhaltigkeit zu prüfen und mit ihren Ansprüchen in Einklang zu bringen. Wichtiger jedoch ist es, dass Versicherer ihren Vertriebspartnern valide Daten zum Nachhaltigkeitsgrad des gesamten Fondsportfolios bereitstellen können. Es gibt bereits jetzt eine Handvoll Datenlieferanten wie beispielsweise die Ratingagentur Morningstar, die Versicherern Nachhaltigkeitsratings zu Fonds bereitstellen. Zum Jahr 2022 und 2023 sind neue gesetzliche Regulierungen vorgesehen, die die Nachhaltigkeit in der Branche weiter vorantreiben sollen, darunter beispielsweise eine Benchmarkverordnung, die der Assekuranz Vergleichsmaßstäbe an die Hand gibt. 

Wir sind also noch auf dem Weg in eine tiefgrüne Zukunft. Schaut man sich jedoch die großen Schritte an, die die Branche bis hierhin gegangen ist, zeigt sich, dass trotz verschiedener Baustellen, das Investment in nachhaltige Anlagen immer mehr an Bedeutung gewinnt – für alle Beteiligten. Es wird jetzt in der Transformationsphase zu klimaneutralen Fonds darauf ankommen, ein klares Verständnis darüber zu haben, welche Anlagen wie nachhaltig sind, sodass dieses Wissen mit den Kunden und Kundinnen geteilt werden kann. Das schließt Greenwashing bereits zu Beginn aus und erhöht die Ansprüche an einen nachhaltigen Fonds aufseiten der Anbieter wie aufseiten der Anleger – ein Gewinn für alle.

Über den Autor:
Gordon Diehr ist COO der Liechtenstein Life. Der erfahrene Manager blickt auf über 20 Jahre Erfahrung in verschiedenen Positionen im Finanz- und Versicherungssektor zurück. Diehr gehört zum Gründungsteam der Liechtenstein Life und baute dort zunächst die Bereiche Operation und Vertriebssteuerung auf. Er lehrt außerdem als Dozent in Zürich an der Fachhochschule für Versicherungswirtschaft.