KPMG-Manager Prestinari: „Werden im Ruhestandsmanagement eine echte Innovation der Versicherungsprodukte sehen“

Schafft die Branche Innovationen im Ruhestandsmanagement? Bild von Michal Jarmoluk auf Pixabay

Die alternde Bevölkerung stellt die Branche vor Probleme. Wie die Versicherer ihr Ruhestandsmanagement auf den stetigen Wandel in diesem Bereich einstellen können, erklären Kai Prestinari und Claudia Fell von KPMG im Gespräch. Das Unternehmen hatte sich in einer Untersuchung mit dem Thema intensiv beschäftigt.

VWheute: Ein Ergebnis Ihrer Studie ist, dass das Ruhestandsmanagement für Versicherer an Bedeutung gewinnt. Woran machen Sie das fest?

Kai Prestinari: Die Versicherungsteilnehmer unserer Studie sehen heute zu 28 Prozent eine (sehr) hohe Bedeutung im Ruhestandsmanagement – aber 71% schätzen die zukünftige Bedeutung des Geschäftsfelds als (sehr) hoch ein. Das ist schon eine sehr deutliche Aussage. Untermauert wird diese Einschätzung durch Tatendrang: 69 Prozent der befragten Versicherer wollen kurzfristig in das Geschäftsfeld Ruhestandsmanagement investieren.

Claudia Fell: Und diese Einschätzung der Versicherer zur zunehmenden Bedeutung des Ruhestandsmanagements kommt nicht von ungefähr: die Kundenerwartung und der Bedarf der Generation 50+ wandeln sich. Die Kunden sind im Alter aktiver und wollen flexibler sein, gleichzeitig sind die Ansprüche an Services und Lebensqualität gestiegen. Zukünftig unterscheidet sich die Customer Journey der Zielgruppe 50+ von der klassischen Logik einer sequenziellen Anspar- und Auszahlungsphase traditioneller Versicherungsprodukte. Um diesen Kundenerwartungen gerecht zu werden, benötigen Versicherer Konzepte, die über die reine Vorsorgebetrachtung hinausgehen.

VWheute: Welche Aspekte umfasst das Thema, was sollten Versicherer abdecken und welchen Partnern überlassen?

Kai Prestinari: Wir haben das Thema bewusst nicht zu eng gefasst. Aus unserer Sicht umfasst Ruhestandsmanagement die klassischen Versicherungsprodukte (Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung), Finanz- und Rechtsberatung (inkl. Vermögensstrukturierung) sowie Services zum Erhalt der Lebensqualität (Freizeit, Gesundheit, Lebensunterstützung im Alter etc.). Gerade das zuletzt genannte Feld der Services zum Erhalt der Lebensqualität ist sehr weitreichend und vielfältig. Teilweise sind diese Leistungen sehr weit von der Kernwertschöpfung von Versicherungen entfernt. Denkt man beispielsweise an Anwendungsfälle im Bereich Ambient Assistent Living wie telemedizinische Vitalwertüberwachung oder die Vermittlung wohnungsnaher Dienstleistungen wird schnell klar, dass Versicherer das nicht notwendigerweise selbst übernehmen werden. Aufbau und Management von Kooperationen werden daher zentrale Bausteine zur Erschließung des Geschäftsfelds sein.

VWheute: Welche Rollen spielen  Partnerschaften und Ökosystemansätze?

Claudia Fell: Aus unserer Sicht spielen Partner und Ökosysteme eine sehr große Rolle – auch wenn das Schlagwort Ökosystem in der Branche ja mittlerweile etwas überstrapaziert ist. Für Versicherer ist das Ruhestands-Ökosystem sehr spannend, da Versicherer hier prädestiniert für die zentrale Rolle des Orchestrators sind. Das gilt neben dem Ruhestands-Ökosystem nur noch für das Gesundheits-Ökosystem, bei dem Versicherer auch leicht eine derart zentrale Rolle einnehmen können – in anderen Ökosystemkonstellationen werden Versicherer eher Zulieferer und Partner sein.

Kai Prestinari: Die Rolle des Orchestrators erlaubt Versicherern hier gestaltend tätig zu werden. Wir nehmen an, dass wir im Ruhestandsmanagement eine echte Innovation der Versicherungsprodukte sehen werden: beispielsweise Vorsorgeprodukte, die für das Alter nicht nur eine rein finanzielle Versprechung machen, sondern Wohlbefinden garantieren. Etwa eine Pflegeversicherung, die gleichzeitig einen gewissen Pflegeheimstandard (Größe des Zimmers, Betreuungsquote oder Ausstattung) vorsieht.

VWheute: Sie sehen Potenzial für die Versicherer, aber nur elf Prozent der befragten Unternehmen verfügen bisher über ein erstes Konzept zum Thema, warum?

Claudia Fell: Aus unserer Studie ergibt sich, dass der Markt bisher wenig durchdrungen ist. Selbst bei den elf Prozent der Versicherer, die angeben erste Konzepte zu haben, muss man sehr differenziert hinschauen: hier sind bspw. erste Beratungskonzepte zu Rechtsfragen (Testament etc.) eingeschlossen, aber oftmals existiert noch kein umfassendes Konzept für die Belange des Ruhestands.

Kai Prestinari: Ein Grund dafür ist offenbar, dass viele Versicherer das Thema bisher nicht als ganzheitliches Bedarfsfeld verstanden haben. Mit dem Blick auf die Zukunft verändert sich diese Auffassung allerdings: 71% sehen zukünftig eine hohe strategische Bedeutung im Themenfeld Ruhestandsmanagement. Diejenigen, die sich nun mit aller Entschlossenheit dem Thema widmen, haben gute Aussichten auf Erfolg: der Bedarf für eine ganzheitliche Beratung ist hoch und es gibt schlicht noch kein Angebot, das Vorsorge, Finanz- und Rechtsberatung und Wohlbefinden im Alter zusammenbringt.

 VWheute: Wie sollten die Versicherer das Geschäftsfeld Ruhestandsmanagement angehen?

Claudia Fell: Mit dem klaren Anspruch, hier einen Mehrwert anzubieten, der deutlich über finanzielle Vorsorge hinaus geht. Wir empfehlen, das Thema groß zu denken und echte Lösungen für die Generation 50+ aufzuzeigen. Was die Kunden wirklich brauchen, sind Beratung, Convenience und jemanden, der als zentrale Anlaufstelle dient. Das Problem mit Testament, Vorsorgevollmacht und Pflegeversicherung ist doch, dass wir uns alle ungern mit bürokratischem Papierkram und unserem eigenen Älterwerden auseinandersetzen. Diese Hürde können Versicherer abbauen, indem sie durch die Kooperation mit relevanten Partnern eine zentrale Anlaufstelle schaffen, um Themen wie Testament, Vererbung, Finanzplanung, Vorsorge, selbstständiges Leben im Eigenheim und Pflege zusammenzubringen und eine ganzheitliche Beratung hierzu ermöglichen.

VWheute: Welche Rolle spielen Vermittler in diesem Geschäftsfeld?

Claudia Fell: Der Vermittler ist nahe am Kunden und genießt sein Vertrauen. Damit ist er prädestiniert, eine zentrale Rolle in der Beratung zum Ruhestandsmanagement einzunehmen. Zudem ist die Vermittlerinfrastruktur in Deutschland so beschaffen, dass der gesamte Markt mit persönlichen Ansprechpartnern abgedeckt werden kann. Das ist ein echtes Asset und für ein so komplexes Feld wie die Ruhestandsplanung dringend notwendig – eine derartige Beratung ist nicht alleine in einem Onlineportal zu erbringen. Und das ist natürlich auch einer der Gründe, warum Versicherer hier so gut aufgestellt sind, das Ökosystem Ruhestandsmanagment anzuführen.

Auch für den Vermittler birgt dieses Geschäftsfeld eine große Chance: Er wird Ansprechpartner für ein viel breiteres Portfolio an Dienstleistungen und damit zum Lebensbegleiter und zum ersten Ansprechpartner in allen Belangen der Altersplanung. Dafür braucht es natürlich auch neue Konzepte zur Befähigung der Vermittler. Dabei können digitalisierte und interaktive Beratungsansätze helfen, die auch die Einbindung von weiteren Experten wie Steuerberatern, Rechtsanwälten, Notaren oder Dienstleistern ermöglichen. Das Angebot und der Beratungsansatz müssen konsequent auf dieses Ökosystem und Leistungsspektrum ausgerichtet werden. 

VWheute: Welchen Schluss ziehen Sie aus Ihrer Studie und welchen sollten die Versicherer ziehen?

Kai Prestinari: Das Geschäftsfeld steht erst am Anfang und lässt sehr hohes Potenzial erwarten. Aus unserer Sicht kann ein durchdachtes und übergreifendes Beratungs- und Produktangebot im Ruhestandsmanagement der Lebensversicherung ein weiteres Standbein geben – was gerade in Zeiten von geringem Wachstum und anhaltenden Niedrigzinsen recht attraktiv erscheint. Darüber hinaus sind Versicherer immer auf der Suche nach Möglichkeiten, noch innovativer und kundenzentrierter zu sein. Das Ruhestandsmanagement ist ein zukunftsträchtiges Themengebiet, um diese beiden Aspekte zu vereinen und in einem vielversprechenden Angebot an den Markt zu bringen.

Im Gespräch: Kai Prestinari, Partner, Financial Services KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, sowie Claudia Fell, Partner, Financial Services, Head of FS Strategie- & Management-Beratung KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft.

Die Fragen stellte VWheute-Redakteur Maximilian Volz.