IBM-Experte Thomas Rechnitzer: „Cloud ist ein Enabler der digitalen Transformation“

Thomas Rechnitzer, IBM Vice President Geschäftsbereich Versicherungswirtschaft DACH. Quelle: IBM

Cloud-Lösungen bieten auch den Versicherern die Möglichkeit, ihre veraltete IT zu modernisieren. Wie die Branche entsprechende Lösungen datenschutzkonform für sich nutzen können, erläutert Thomas Rechnitzer, IBM Vice President Geschäftsbereich Versicherungswirtschaft DACH, im Gespräch mit VWheute.

VWheute: Public Clouds gewinnen zunehmend an Bedeutung. Welche Rolle spielen Cloudsysteme für Versicherer und was könnte dies für die Modernisierung der IT-Systeme in der Branche bedeuten?

Thomas Rechnitzer: Die Versicherungsbranche steht insgesamt vor der Herausforderung, sich zu verändern und in Teilen möglicherweise sogar neu zu erfinden. Die Gründe dafür sind vielfältig und reichen von externen Faktoren wie Regulierung und Wettbewerbsdruck bis hin zu internen Strukturen und Abläufen. Die IT kommt dabei in zwei Dimensionen vor. Zum einen sind die technologischen Entwicklungen in der IT, wie zum Beispiel Cloud, AI oder Blockchain, Treiber der Transformation. Auf der anderen Seite ermöglichen diese Technologien aber auch erst den Wandel.

So hat uns die durch COVID-19 aufgezwungene Dynamisierung der digitalen Transformation gezeigt, dass Cloud-Lösungen gerade durch ihre Flexibilität und Skalierbarkeit die schnelle Bereitstellung neuer, innovativer Lösungen für praktisch alle Geschäftsprozesse, interne wie externe, ermöglicht. Zudem konnten wir in zahlreichen Projekten zeigen, dass in der Cloud die regulatorischen Anforderungen erfüllt werden können. Als öffentlich bekannteste Beispiele möchte ich die elektronische Patientenakte oder das eRezept nennen.

Grundsätzlich ermöglicht die Cloud einen schnelleren Einsatz neuer Technologien oder innovativer Geschäftsmodelle. Nach unserer Einschätzung wird es aber im Thema Cloud kein „Alles oder Nichts“-Prinzip geben. Wir verfolgen strategisch einen hybriden Ansatz, d.h., es werden eigene Systeme modernisiert, teilweise in die Cloud verlagert und in Kombination mit reinrassigen Cloud-Lösungen zu einem Netzwerk verknüpft, in der die Geschäftsprozesse abgewickelt werden. Das ist der Kern einer Hybrid Cloud Strategie, die wir unseren Kunden empfehlen. Alle diese Entwicklung ermöglichen Versicherungsunternehmen, jeden Bereich ihrer Geschäftstätigkeit auf organisatorischer und technologischer Ebene neu zu überdenken und zu prüfen, inwieweit diese neuen Möglichkeiten zur eigenen Effizienz oder zur Wertschöpfung und damit zum Geschäftserfolg beitragen.

VWheute: Stichwort Datenschutz: Welche regulatorischen Vorgaben muss die Branche bei einer Cloud berücksichtigen und inwieweit wäre dies mit der DSGVO vereinbar?

Thomas Rechnitzer: Die regulatorischen Vorgaben der Aufsichtsbehörden sind bei Nutzung einer entsprechend zertifizierten Cloud-Lösung wie der IBM Cloud in der Regel ohne Probleme zu erfüllen. Selbst den strengen Vorgaben der gematik für die Sicherheit der Datenverarbeitung im Rahmen der elektronischen Patientenakte oder des eRezepts werden wir gerecht. Sehr hilfreich für die Versicherungsunternehmen, aber auch für uns als Anbieter, sind sicherlich die vom Gesamtverband GDV entwickelten Leitlinien für die Nutzung der Cloud. Technische Lösungen wie Keep-your-own-Key oder das sogenannte Confidential Computing Modell ergänzen optimal die vorhandenen Ansätze.

Wenn sie als Versicherungsunternehmen im Keep-your-own-Key Verfahren vollständig autonom selbst die Schlüssel verwalten, können wir als Cloud Provider rein technisch nicht auf ihre Daten zugreifen. Dass unsere Cloud-Kunden auch alle Vorgaben der DSGVO erfüllen können, versteht sich praktisch von selbst. Die Herausforderungen der DSGVO liegen nach meiner Einschätzung denn auch weniger in der Nutzung von Cloud-Technologien, sondern eher in organisatorischen Fragestellungen. Wie reagiere ich als Unternehmen auf eine Anfrage eines Kunden gemäß DSGVO. In Hinblick auf einzuhaltenden Formen und Fristen sind hier Vorkehrungen zu treffen, die mögliche Verstöße und damit Schäden bzw. Strafen verhindern.    

VWheute: PBM ist seit 2016 als digitaler Anbieter unterwegs. Wie sind Ihre bisherigen Erfahrungen mit der Versicherungsbranche und wo sehen Sie derzeit noch Nachholbedarf in der Branche bei Cloudlösungen?

Thomas Rechnitzer:
PBM bietet eine hochinnovative Omni-Channel-Lösung zur Personalisierung des Kundendialogs im Versicherungs- und Bankensektor an. Die zentrale Lösung der PBM, die Business Engine, ist eine Cloud-basierte Plattform, die Kundenmedien für alle Kommunikationsformen wie Text, Audio und Video aufbereitet, personalisiert und digitalisiert. Kunden werden auf jedem Kanal und in jedem Format mit intelligenter und personalisierter Kommunikation abgeholt, was Rücklaufquoten, Aufmerksamkeit und Verbindlichkeit steigert. PBM bietet nicht nur eine exzellente Technologie mit hervorragenden Ergebnissen für unsere Kunden, sondern Ralf Pispers und sein Team wissen auch, worauf es bei einem erfolgreichen Kundendialog in der Branche ankommt.

Unserer Erfahrung nach waren Versicherer gerade am Anfang noch sehr zurückhaltend, was den Einsatz von Lösungen in der Cloud betrifft. Hier sehen wir eine zunehmende Offenheit, da der konsequente Schutz der Kundendaten auch von uns adressiert wird. Im Fokus steht auch weniger der Nachholbedarf, sondern die Einstellung zu Cloud-Lösungen. Versicherer haben durch diese die Möglichkeit, schneller als je zuvor innovative Mehrwerte für sich und ihre Kunden entlang ihrer Wertschöpfungskette zu generieren. Dafür ist ein agiles Mindset sicherlich vom Vorteil. Zusätzlich hat die COVID-19-Pandemie den Handlungsdruck in der Versicherungswirtschaft und bei Banken noch einmal deutlich verstärkt, über alle möglichen Kanäle individuell mit dem Kunden in Dialog treten zu können.

VWheute: Nach Ihrer Aussage stieg der Net Promoter Score bei den Kunden von PBM deutlich an. An welchen konkreten Auswirkungen machen Sie dies fest?

Thomas Rechnitzer: Die Aktivitäten der Kunden in der gesamten Customer Journey werden gemessen und den Versicherern auf einem Insights-Dashboard zur Verfügung gestellt. D.h. der Versicherer kann beispielsweise sehen, welcher Kunde schon auf der Landingpage war, wer sich das Video angeschaut und wer einen Versicherungs-Check durchgeführt hat. Den NPS konkret ermittelt PBM durch „klassische“ qualitative bzw. quantitative Fragen zur Messung des NPS.

Dazu gehören beispielsweise Fragen, warum der Kunde Kontakt aufgenommen hat oder wie wahrscheinlich es ist, dass er das Unternehmen auf Basis seiner Dialog-Erfahrung weiterempfiehlt. Diese Fragen bekommt der Kunde z.B. auf der Landingpage innerhalb seiner Journey gestellt. Auf dem eingangs erwähnten Dashboard hat der Versicherer dann einen Überblick zu den ausgewerteten Kennzahlen, wozu auch der NPS gehört. Anhand dieser Dashboards sieht man dann oft die Steigerung, von der Sie sprechen.

VWheute: Werfen wir einen kurzen Blick in die Zukunft: Welche Einsatzmöglichkeiten sehen Sie künftig für Clouds in der Versicherungsbranche?

Thomas Rechnitzer:
Technologien wie die Cloud bieten eine Menge Chancen, insbesondere, wenn sie eingesetzt werden, um das eigene Produkt- und Serviceportfolio im Sinne einer Business-Plattform umfassend neu zu denken. Ein Ansatz bietet unsere „Smart Insurer“ Strategie. Mit ihrer Hilfe lassen sich unter anderem schneller neue und individualisierte Angebote für Kunden zusammen- und bereitstellen. Ich möchte aber betonen, dass Cloud kein Selbstzweck ist. Der digitale Wandel beginnt bei den Geschäftsmodellen und dem Prozessmodell, stets mit dem Kunden im Zentrum aller Überlegungen.

Cloud ist also in diesem Sinne ein Enabler der digitalen Transformation, wenn auch ein sehr bedeutsamer. Erste Projekte in dieser Richtung sind in der Versicherungsbranche bereits im Einsatz, beispielsweise bei der Techniker Krankenkasse mit der elektronischen Gesundheitsakte (eGA), der Barmer mit der elektronischen Patientenakte (ePA) oder der Eergp Versicherung im Kontext mit der Migration der Bestandsverwaltung klassischer Lebensversicherungspolicen. Auch unser Partner PBM zeigt, wie die Digitalisierung in den Dienst des Kunden gestellt werden kann.

Mithilfe der dynamisch erzeugten Videos können Versicherungsunternehmen ihren Kunden individualisierte, verständliche Dialoge bieten. Wenn Videos oder die Startseite im Internet erst beim Aufruf generiert werden, benötigt das natürlich entsprechenden Kapazitäten. Mithilfe der IBM Cloud können diese sicher, DSGVO-konform, skalierbar und schnell bereitgestellt werden. Wenn man bedenkt, dass die digitale Transformation jetzt aber erst am Anfang steht, dann dürfte die Versicherungsbranche in den kommenden Jahren noch ordentlich in Bewegung geraten.

Die Fragen stellte VWheute-Redakteur Tobias Daniel.

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