Kleines 1×1 – Gedanken im Januar von Meinhard Miegel

Die Rechnung ist einfach. Wenn – wie in Deutschland – über viele Jahrzehnte hinweg etwa jede fünfte Frau – gewollt oder ungewollt – kein Kind bekommt, dann bleibt über kurz oder lang ein Drittel der Bevölkerung ohne Enkel und die Hälfte ohne Urenkel. Die zwangsläufige Folge: Ohne ständig wachsende Zuwanderung nimmt die Zahl der Menschen mit immer größerer Geschwindigkeit ab und ihr Altenanteil steigt rapide an. Sie schrumpft und vergreist.

Eine Gesellschaft kann das hinnehmen und sich auf ihr allmähliches Erlöschen einstellen. Oder sie kann versuchen, dem gegenzusteuern. Eine Möglichkeit: wieder mehr eigene Kinder. Das aber ist leichter gesagt als verwirklicht. Schon im antiken Griechenland und Rom halfen zum Teil drakonische Maßnahmen nur wenig, den periodisch extremen Kindermangel zu überwinden. Und in der Neuzeit vermochten hierzulande weder Kaiser noch Führer noch Demokraten, die Geburtenrate auf einem bestandserhaltenden Niveau zu halten.

Der letzte Jahrgang, der sich in Deutschland in der Zahl seiner Kinder ersetzte, war der Geburtsjahrgang 1881. Nachdem dieser in den 1920er Jahren seine Kinder gehabt hatte und ein zunehmender Anstieg der Lebenserwartung keinen Ausgleich mehr schaffen konnte, begann die einheimische Bevölkerung trotz zeitweise engagierter Familienpolitik zahlenmäßig abzunehmen. Mit den Bedingungen und Verlockungen unserer Kultur konnten und können Kinder nur bedingt mithalten.

Das hat Bestrebungen gefördert, das Land oder besser noch ganz Europa zu einer Art Festung auszubauen, nicht zuletzt um so die ausdünnende und zunehmend altersschwache einheimische Bevölkerung noch für eine Weile zu schützen. Die Schwächen dieser Strategie liegen auf der Hand. Die Menschen hinter den Mauern schrumpfen und altern noch schneller als wenn die Tore offen stünden.

Freilich sind offene Tore für die Eingesessenen eine Herausforderung, die zu meistern gelernt sein will. Denn größere Zuwandererkohorten, die erkennen, dass sie für die Einheimischen unverzichtbar sind, unterwerfen sich nicht bedingungslos den Normen und Bräuchen, der Sprache und Religion und noch nicht einmal der „Leitkultur“ des aufnehmenden Landes. Die Geschichte ist hier eindeutig. Stets haben nicht nur die „Alten“ den „Neuen“ sondern umgekehrt auch die „Neuen“ den „Alten“ ihren Stempel aufgedrückt und mitunter auch deren Kultur durch ihre eigene ersetzt.

Das muss nicht so kommen, aber darauf gilt es sich einzustellen. Was dürfen Völker erwarten, die noch vor einigen Generationen ein Drittel der Menschheit stellten und die Welt beherrschten, jetzt aber auf einen Bruchteil abgenommen haben und andere mit zumindest ebenso lauter Stimmen sprechen? Ist das der Weltuntergang? Mit Sicherheit nicht. Aber es ist ein neues Kapitel in der Menschheitsgeschichte, in dem die Karten neu gemischt werden und neue Regeln gelten. Je eher die Völker der früh industrialisierten Länder das begreifen, desto besser werden sie künftig mithalten können.

Sie müssen begreifen, dass sie existenziell gefährdet sind, wenn sie ihre Alten, Kranken und Pflegebedürftigen nicht mehr aus eigener Kraft angemessen versorgen können, hunderttausende von Lehrstellen sowie qualifizierter und nicht qualifizierter Arbeitsplätzen mangels geeigneten Personals unbesetzt bleiben und Zukunftsvisionen schwinden, weil immer mehr Menschen keinen Sinn mehr in ihren Anstrengungen sehen. Wozu in einen Handwerksbetrieb oder in eine Anwaltskanzlei investieren, wenn es keinen Nachfolger mehr gibt?

Zusammen mit anderen Ländern befindet sich Deutschland heute an einem Punkt, wo es sich eingestehen muss: Die Bevölkerung kann nicht mehr fest auf den eigenen Beinen stehen. Sie muss von Menschen gestützt werden, die willens und in der Lage sind, die

Lasten einer schrumpfenden und alternden Gesellschaft mitzutragen. Solche Menschen sind rarer als manche glauben. Um sie muss geworben und gegebenenfalls auch gerungen werden. Eine kluge und vorausschauende Einwanderungspolitik verbunden mit einer aufrichtigen Willkommenskultur ist dabei unverzichtbar.

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