Allianz-Chef Bäte: Deutsche müssen mehr arbeiten

Allianz-Chef Oliver Bäte. Bildquelle: Allianz/ Linkedin-Profil Oliver Bäte

Dass Deutschlands Beschäftigte im Jahr 2023 durchschnittlich 19,4 Tage krankgeschrieben waren, ist dem CEO des Allianzkonzerns ein Dorn im Auge. „Ohne den enorm hohen Krankenstand wäre die deutsche Wirtschaft im vergangenen Jahr nicht um 0,3 Prozent geschrumpft, sondern um knapp 0,5 Prozent gewachsen“, rechnet Bäte im Gastbeitrag für das Handelsblatt vor. Zudem müssten sich die Deutschen entscheiden, ob sie bereit seien, für ihren Wohlstand so viel zu arbeiten, wie es in anderen Industriestaaten üblich sei.

Laut Techniker Krankenkasse waren Deutschlands Beschäftigte 2023 im Schnitt 19,4 Tage krankgeschrieben. Das ist eine Steigerung von 0,4 Tagen gegenüber dem Vorjahr und eine Verdoppelung gegenüber 2008. „Die Krankmeldungen in Deutschland liegen damit weit über dem Niveau von Ländern wie den USA, Kanada oder der Schweiz“, kritisiert Bäte im Handelsblatt. „Schweizer Beschäftigte sind nur 7,6 Tage pro Jahr krankgeschrieben, die Tendenz ist überdies rückläufig, im Vorjahr betrug die Zahl dort noch 9,2 Tage.“

Ohne den enorm hohen Krankenstand wäre die deutsche Wirtschaft im vergangenen Jahr nicht um 0,3 Prozent geschrumpft, sondern um knapp 0,5 Prozent gewachsen, führt der Manager weiter aus. „Ohne Fachkräftemangel könnten deutsche Unternehmen bei Vollauslastung 49 Milliarden Euro mehr erwirtschaften. 2027, wenn die geburtenstarken Jahrgänge in Rente gehen, dürfte das Defizit auf über 70 Milliarden Euro steigen. Ein verheerender Großschaden für unsere Wirtschaft.“

Bäte fordert für Deutschland eine Trendumkehr. Es geht nicht nur darum, die Teilzeitarbeit anzugehen, sondern auch in Vollzeit mehr zu arbeiten. „In Schweden und in der Schweiz zum Beispiel – beide Länder sind bisher nicht als ‚Ausbeuterregime‘ bekannt – arbeitet eine durchschnittliche Arbeitskraft in Vollzeit pro Jahr 300 Stunden mehr als bei uns.“

Als wichtigsten Hebel macht der CEO weibliche Fachkräfte aus, die überproportional häufig in Teilzeit arbeiten. „Und zwar häufig nicht aus freien Stücken, sondern weil wir als Gesellschaft daran scheitern, eine verlässliche und bezahlbare ganztägige Kinderbetreuung zu ermöglichen.“ Zudem müssten die über 600.000 jungen Menschen besser den Weg in den Arbeitsmarkt finden. „Gleichzeitig bleiben fast 70.000 Lehrstellen unbesetzt, und mehr als ein Viertel der Auszubildenden bricht die Lehre vorzeitig ab“, so Bäte. Als dritten Punkt fordert er, den Zugang zum Arbeitsmarkt für qualifizierte Zuwanderer zu vereinfachen.  Man müsse Deutschland attraktiv für Talente aus dem Ausland machen.

Bezüglich der „sehr hohen gesamtgesellschaftlichen Krankheitskosten“, die gesenkt werden müssen, plädiert Bäte für eine Rückkehr zu mehr Eigenverantwortung im Gesundheitssystem. „Wie etwa in der Schweiz: Dort werden Versicherte mit einem jährlichen Fixbetrag und einem prozentualen Anteil an ihren Behandlungskosten beteiligt – auch in der gesetzlichen Krankenversicherung.“ Und weiter: „Wir sollten nicht nur all jene ermutigen, mehr zu arbeiten, die heute in Teilzeit oder gar nicht erwerbstätig sind. Auch jenen, die freiwillig mehr als 35 oder 40 Stunden arbeiten möchten, sollten wir das ermöglichen – und sie dafür belohnen. Natürlich brauchen wir in Tarifverträgen und Arbeitsschutzgesetzen weiterhin eine Höchstgrenze (…). Egal, ob 30, 40 oder 50 Stunden pro Woche: Mehrarbeit sollte sich immer lohnen. Die Einkommensteuer in Deutschland mit ihrer aggressiven Progression bewirkt leider genau das Gegenteil.“

Nach Angaben der OECD gab es im vergangenen Jahr in Deutschland 46 Millionen Erwerbstätige. Diese erbrachten allerdings insgesamt nur so viele Arbeitsstunden wie die 39 Millionen Erwerbstätigen im Jahr 1991. Der Hauptgrund dafür sei der gestiegene Anteil an Teilzeitbeschäftigten.

Munich-Re-Chef Joachim Wenning äußerte sich vor einigen Monaten in eine ähnliche Richtung. Er bezog sich auf einen späteren Renteneintritt. „Was wäre, wenn die Menschen in Deutschland einfach länger arbeiten und später in Rente gehen würden? Würde das helfen, das Problem zu lösen? Natürlich würde es das. Es würde nicht nur helfen, es wäre auch absolut notwendig – und dringend“, glaubt der Manager.

Laut Wenning würde es Deutschland „besser gehen, wenn die Menschen mehr arbeiten würden. Aber das wird nicht passieren, weil wir de facto Vollbeschäftigung haben und die finanziellen Anreize, zu arbeiten oder mehr zu arbeiten, nicht ausreichend sind.“ 

Autor: VW-Redaktion