ALH-Vertriebs-Chef Kettnaker: „Um ehrlich zu sein, das Image der Branche ist grottenschlecht“

Frank Kettnaker, Vertriebsvorstand der ALH Gruppe. Quelle: ALH Gruppe

Die Pandemie hat in den letzten Jahren deutliche Spuren bei der ALH Gruppe hinterlassen. Welche Folgen Corona für den Vertrieb hat, warum die Branche bei Jugendlichen besser als ihr Ruf ist und wie es derzeit um den Insurtech-Markt steht, erläutert Vertriebsvorstand Frank Kettnaker im Gespräch mit VWheute.

VWheute: Welche Folgen hatte die Pandemie für den Vertrieb?

Frank Kettnaker: Wenn man rein auf die Produktionszahlen schaut, könnte man den Eindruck haben, keine. Wir haben 2021 und 2020 mit einem überproportionalen Plus abgeschnitten. Dennoch muss man ehrlicherweise sagen, hat die Pandemie auch ihre Spuren hinterlassen. Wir waren reiseunfähig und in Teilen auch kontaktunfähig. Damals haben wir sehr schnell vom Risikomodus in den Chancenmodus geschaltet. 2017 haben wir die Videoberatung Flexperto im Unternehmen eingeführt – lange vor der Pandemie, mit der ja niemand gerechnet hat. Zwei Jahre lang haben wir sie mit ersten Vertriebspartnern im Pilotprojekt getestet. Damit hatten wir zu Beginn der Pandemie ein Werkzeug im Koffer, das plötzlich total gefragt war. Und wir haben sehr schnell gemerkt, dass sich die Kontaktfrequenz per Video erhöht. Auch für Gespräche von einer Viertelstunde oder 20 Minuten wurde Kontakt aufgenommen. Das hybride Arbeiten ist in den letzten zwei Jahren in unseren Alltag übergegangen und der digitale Vertrieb hat sich etabliert. Das ersetzt aber nicht wirklich das persönliche Jahresgespräch und ich sage auch aus voller Überzeugung: Empathie ist nicht digitalisierbar.

VWheute: Hat sich auch das Kundenverhalten verändert?

Frank Kettnaker: Ja, das hat sich verändert. Vor der Pandemie ging es vor allem um die Frage: Wie unterstützt mich das Unternehmen persönlich bei meinem Anliegen? Nach der Pandemie hat sich das digitale Denken durchgesetzt, der Kontakt muss nicht mehr von Angesicht zu Angesicht stattfinden. Wir stehen nun vor der Herausforderung, unsere Vertriebsservices entsprechend der neuen Positionierung der Maklerhäuser zu gestalten. Die digitale Vielfalt der Unterstützung stellt uns durchaus vor eine Herausforderung.

VWheute: Hat die klassische Vermittlung noch eine Zukunft?

Frank Kettnaker: Wenn man sich die Insurtech-Branche anschaut, stellt man fest: Alle Start-ups, die vor zwei Jahren mit dem Gedanken des Direktvertriebs an den Start gegangen sind, haben mittlerweile auf den digitalen Vertrieb umgestellt. Sie haben gemerkt: Allein einen Bildschirm in den Markt zu halten, bringt mir keine Kunden. Ja, ich glaube, dass der klassische Vertrieb mit der persönlichen Beratung beim Kunden, natürlich mit Unterstützung digitaler Tools, eine Zukunft hat. Doch es gibt drei wesentliche Herausforderungen. Der erste Punkt: Die Zahl der klassischen Einzelagenten wird in den nächsten fünf bis zehn Jahren, allein schon aus demografischen Gründen, abnehmen. Wir werden auch deshalb verstärkt Zusammenschlüsse oder Pools sehen, weil die technischen Herausforderungen allein nicht mehr zu stemmen sind.

Mit der Digitalisierung und der Regulierung haben Einzelmakler einen hohen Aufwand, der alleine schwer zu bewältigen ist. Der zweite Punkt sind Kundenzentrierung und Digitalisierung. Die dritte Herausforderung ist der War for Talents. Fast alle Branchen stehen vor der gleichen Herausforderung, dass immer weniger Potenzial zur Verfügung steht, auf das wir zurückgreifen können. So wie wir dringend Handwerker brauchen und die sozialen Berufe stärken müssen, benötigen wir Menschen, die sich mit Versicherungen auskennen. Dieser War for Talents wird uns noch stark beschäftigen. Aber wir sind ein Unternehmen, welches auf eine mehr als 200-jährige Geschichte zurückblickt. Wenn ich daran denke, dass unsere Vorgänger nach dem Zweiten Weltkrieg den Vertrieb praktisch im Alleingang ohne einen einzigen Vertrag neu aufbauen mussten, bin ich zuversichtlich, dass wir auch diese Herausforderung meistern werden.

VWheute: Nun hat die Versicherungsbranche im Kampf um Nachwuchs ja ein eher angestaubtes Image. Wie kann man Jugendliche überzeugen?

Frank Kettnaker: Um ehrlich zu sein: Das Image der Branche ist grottenschlecht. Viel schlechter, als es der Realität entspricht. Zum Beispiel haben wir eine enorme Ausbildungsvielfalt. Die Möglichkeiten nach der Ausbildung sind heute deutlich differenzierter als früher. Um Jugendliche davon zu überzeugen, haben wir unser Recruiting verändert. So sind wir heute in den sozialen Medien aktiv. Und wir haben gelernt: Lasst die jungen Leute sprechen und nicht unbedingt einen tradierten Manager mit Anzug und Krawatte. Lasst doch die sprechen, die in der Ausbildung sind. Viele unserer Azubis hätten nicht gedacht, dass ihre Ausbildung so „cool“ sein würde. In der Produktentwicklung führen wir z.B. viele Kundengespräche und lassen Kunden an den Produkten mitwirken. Und plötzlich merken junge Leute, dass unser Beruf extrem handlungsfähig ist. Sie dürfen gestalten. Früher war der Rahmen ein ganz kleines Gatter. Es gab Regeln, Richtlinien und Arbeitsanweisungen und wir haben die Finger abgeschnitten bekommen, wenn wir darüber hinaus gegangen sind. Heute sind gestaltungswillige junge Menschen gefragt.

VWheute: Wie würden Sie denn den Insurtech-Markt insgesamt bewerten?

Frank Kettnaker: Ich glaube, dass das Investitionsvolumen deutlich abnehmen wird, weil die Zinsen steigen und die Risikofreudigkeit in unsicheren Zeiten bei Anlegern rückläufig ist. Es war zwar schon immer Kapital am Markt, aber bei einer Nullzins-Strategie bis hin zu Strafzins waren die Bedenken der Investoren groß: Was tue ich mit dem Kapital, das im Markt ist? Da war die Insurtech-Szene in einer großen Partizipation bei diesem Engpass. Mit steigenden Zinsen haben die Investoren wieder vielfältigere Möglichkeiten, ihr Geld anzulegen. Das wird die gesamtfinanzielle Gemengelage senken, mit der Folge, dass sich erfolgreiche Geschäftsmodelle sehr viel schneller durchsetzen. Zudem wird in der Neuinvestitionsphase bzw. der Rekapitalisierungsphase sehr viel weniger Geld zur Verfügung stehen. Und dies wird zu einem schnelleren Aus für nicht erfolgreiche Geschäftsmodelle führen. Insofern haben sich Unternehmen wie Wefox oder Friendsurance bereits etabliert. Ich glaube, dass diese Firmen bereits in der zweiten Entwicklungsphase sind, weil sie Fehler korrigiert und neue Geschäftsmodelle integriert haben. Und mit weniger Geld wird es auch weniger Geschäftsmodelle geben, die dann finanziell gefüttert werden müssen.

Die Fragen stellte VWheute-Redakteur Tobias Daniel.

Das vollständige Interview lesen Sie in der aktuellen August-Ausgabe des E-Magazins „Der Vermittler“.

2 Kommentare

  • Sicherlich gibt es Teilnehmer, die durch den schlechten Ruf der Branche ungerechtfertigt geschädigt werden. Sie arbeiten sauber, sorgsam und kundenorientiert. Andererseits hören viele Anbieter nicht zu, wenn es um Verbesserung in der Kommunikation mit dem Kunden, beispielsweise bei Antragstellung geht. Das musste ich heute wiederholt erfahren. Wann endlich gibt es die Weiterbildungsverpflichtung für die Anbieter selbst. Eine zusätzliche Verbesserung wären klare und transparente Bestimmungen. Das wird wohl kaum lösbar sein, denn auch unsere Rechtsprechung ist individuell auch bei gleichen Delikten ausgelegt. Gäbe es mehr Engagement den Anbietern auf die Finger zu hauen, wenn was falsch läuft, wäre der Markt einanderer

  • Der Interviewte hat doch auch seinen Anteil in der Kooperation mit Hr, Göker dazu beigetragen!

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